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Fluch der Geburt

Fluch der Geburt

(2019)

Was ich auch arbeite, selber erreiche –
am Ende wiegt nichts, was ich mache, so schwer
wie die Frage, vor der ich seit Jahre gern weiche,
die immerzu gleiche: Wo komme ich her?

Ich will, was ich bin, ja auch gar nicht verleugnen:
so männlich und weiß bin ich privilegiert.
Aber soll man mich deshalb gleich morgen enteignen?
Da wäre ich, ehrlich gesagt, alarmiert.

Doch andererseits wär es sicher gerechter
(historisch betrachtet, so ganz allgemein),
denn ohne die kolonialistischen Schlächter
würd vieles für mich heute schwieriger sein.

Ich muss aber nicht mal historisch begründen,
wovon ich so privilegiert profitier.
Es lassen sich zahlreiche Beispiele finden
von Schieflagen zwischen „woanders“ und „hier“.

Das Wirtschaftsystem und die Art, wie wir leben,
ist, wo man auch schaut, auf Verlierern gebaut,
deren Elend und Blut nun am Wohlstandsmüll kleben.
Das Blut ist auch unseren Händen vertraut.

Wir greifen im Alltag mit schlechtem Gewissen
nach Dingen, die’s ohne das Leiden nicht gäb.
Ich empfinde es ehrlich gesagt als beschissen
und täglich belastender, wie ich grad leb …

Doch auch das ist nur privilegiertes Gelaber,
zu heulen, wie schwer diese Bürde doch sei,
und zu sagen: „Verantwortlich fühl ich mich, aber
ich fühle mich dadurch auch weniger frei.“

Ich kann mich da manchmal schon selbst nicht mehr hören,
noch schlimmer ist dann diese Koketterie:
Mich würde politisch so einiges stören
und mache ja was, doch genug sei es nie.

Und wenn ich so rede, dann klingt das am Ende
oft schäbig – da kann ich mich noch so bemüh’n,
denn es klappt nicht, egal, wie ich’s drehe und wende,
der privilegierten Geburt zu entflieh’n.

Was ich auch arbeite, selber erreiche –
zuletzt gibt dem eigenen Handeln den Sinn
eine Frage, um die ich seit Jahren schon schleiche,
die immerzu gleiche: Wo gehe ich hin?