Heilige Nacht

Heilige Nacht

(2009)

Am ersten Weihnachtsfeiertag betrat
der Herrgott schwankend, völlig sturzbetrunken
(als hätte man ihn dort hereingewunken),
den Kölner Dom bei minus sieben Grad.

Er stolperte durchs offne Kirchentor,
als wäre er hier völlig fehl am Platze.
Auf einer Mauer hockte eine Katze,
die leis miaute und die sichtlich fror.

Dem Kätzchen warf er seine Jacke über,
dann wankte er gleich weiter zum Altar,
wo eine Krippe aufbereitet war,
und leuchtend stand ein Plastikstern darüber.

Hier hatte man erst heute Staub gewischt,
die Krippe war gefüllt mit frischem Stroh
und diese goldnen Halme rochen so,
als wäre ein Parfum dazu gemischt.

Ganz selig lag das Jesuskind im Stall,
die Eltern standen ach so nett daneben
als lächelten sie schon ihr ganzes Leben
und Denken lang und einfach überall.

Auch Ochs und Esel waren vorzufinden,
drei Könige, ein Hirte, Hund und Schafe;
ein Engel spielte lieblich eine Harfe,
als könnte er die Kälte nicht empfinden.

Und Gott besah sich diese kleine Hütte
mit Krippe, Stern und grinsenden Figuren,
so unbefleckt von Dreck und andern Spuren,
ein blond gelocktes Kindlein in der Mitte …

„Ach, mögen Sie die Krippe auch so gern?“
ertönte eine Stimme von der Seite.
Gott fuhr herum. Da stand in voller Breite
ein Mann – nicht ganz so helle wie der Stern.

„Ich bin der Bischof“, stellte er sich vor.
„Auch ich bin immer wieder fasziniert
von Christkind, Königen und Engelschor,
und wie das alles herrlich harmoniert.

Ich glaube fast, dass das Modell gebaut ist
wie jener große Stall im nullten Jahr,
und dass der liebe Gott damit vertraut ist
und weiß, wie ähnlich damals alles war.“

Gott hatte – wie erwähnt – recht viel gezecht,
und das erwies sich nun als folgenschwer.
Ihm wurde bei den Bischofsworten schlecht,
er kotzte seinen Magen einmal leer.

Er gab sich auch nicht allzu große Mühe,
zurückzuhalten, was im Magen war.
Und so ergoss sich eine zähe Brühe
aus Halbverdautem über den Altar.

Im Anschluss stank die Krippe arg nach Bier,
das Christkind war von Kopf bis Fuß versaut,
verklebt mit Säure, wie auch jedes Tier.
Da hatte Gott so richtig Mist gebaut.

Der Bischof starrte ihn entgeistert an,
doch Gott sprach nur gelassen: „Am Realen
ist diese Stallversion jetzt näher dran.
Nun fällt es leichter, sich das auszumalen.“

„Welch Blasphemie!“ entfuhr’s dem Priester scharf.
Gott protestierte nicht, als ihn der Mann
im hohen Bogen aus der Kirche warf.
Er seufzte leise: „Ich gewöhn mich dran.“

Und so verbrachte er das Weihnachtsfest
wie jedes Jahr dort draußen in der Kälte
und schlief in einem Schuppen, wo der Rest
der Menschheit sich noch nie zu ihm gesellte.