Was bleibt

Was bleibt

(2019)

Wenn Pole schmelzen, Meeresspiegel steigen
und alle Stricke reißen, werden wir
als Menschheit sicher bald für immer schweigen
und jeder fragt sich dann: Was bleibt von mir?

Die Liebe, die ich andern Menschen schenkte?
Ein Augenblick, in dem ich Glück empfand?
Das kleine Ding, für das ich Blicke senkte?
Die Wahrheit, die ich niemals ganz verstand?

Wohl kaum. All dies wird sicher auch verschwinden.
Was Menschen einst gefühlt und einst gedacht,
ist ohne sie auf Erden nicht zu finden,
sie haben aber längst mit aller Macht

dafür gesorgt, dass noch in tausend Jahren
die Spuren jenes homo sapiens
die Größe seiner Taten offenbaren,
ja, selbst im Falle seiner Abstinenz:

Denn dort, im weiten Ozean erheben
sich Inseln, farbenfroh und imposant,
in Abgeschiedenheit und frei von Leben,
geformt von Wasserstrom und Menschenhand.

Sie bergen Dinge, die bezeugen werden,
was unsre Zivilisation geprägt hat,
obwohl der Mensch in seiner Zeit auf Erden
ganz sicher einen andern Wunsch gehegt hat,

als dass die Sachen, die er nicht mehr brauchte,
verdrängte, wegwarf, ohne sich zu kümmern –
dass alles das, was scheinbar untertauchte,
noch fortbesteht in bunten Inseltrümmern.

Doch alle Wege führ’n zurück ins Meer,
an jenen Ort, wo Leben einst begann.
Am Anfang war die Erde wüst und leer,
inzwischen sieht man ihr die Menschen an.

Und sollten Menschen irgendwann verschwinden,
wird, was sie war’n, noch lang im Wasser treiben.
Schon heute lässt sich dort die Antwort finden
auf jene große Frage: Was wird bleiben?