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Der Nachrichtenüberbringer

Der Nachrichtenüberbringer

(2014)

Einst kam in einem fernen Land
ein Mann zum Königshof gerannt
und klopfte panisch an das Tor.
Er flehte: „Eure Majestät!
So öffnet! Es ist sonst zu spät!
Ach, leiht mir bitte Euer Ohr!“

Ein Wächter öffnete dem Mann
und sah ihn skeptisch musternd an,
bevor er sagte: „Komm schon rein.“
Der König, der den Mann empfing
und müde auf dem Throne hing
sprach gähnend: „Muss es heute sein?“

„Und ob!“ entfuhr’s dem Gegenüber,
„Es tut mir leid. Es wär mir lieber,
ich wüsste nichts von diesen Taten:
Ihr kennt die Genfer Konvention
und gegen die verstoßen schon
seit Jahren unsere Soldaten.

Die Fotos, die das unverhohlen
beweisen, habe ich gestohlen
und lege sie Euch hiermit vor.
Die Täter sind da auch zu sehen.
Bestraft sie nun für die Vergehen,
denn dafür klopfte ich ans Tor!“

Auf einmal war der König wach:
„Du glaubst im Ernst, dass ich das mach?
Das müsstest Du doch besser wissen:
Erst hast Du unsere Soldaten
bestohlen und danach verraten –
wie hinterhältig und gerissen!

Die Nachricht kam zum Glück nicht weit,
sonst würde sie die Sicherheit
der Kämpfer nur noch mehr gefährden.
Der Feind sucht stets nach Angriffsgründen
und würde er die Fotos finden …
Ach, spar Dir sämtliche Beschwerden!

Ein Mensch wie Du – und kein Soldat –
ist Risiko für unsern Staat!
Und deshalb sollst Du dafür büßen!“
Der andre reagierte schier
verwirrt: „Trotz Mühe will sich mir
die Logik einfach nicht erschließen …“
Worauf die Wachen zügig kamen
und jenen Boten mit sich nahmen,
um ihn im Anschluss zu erschießen.

Wer hier das Happy End vermisst,
ist wohl zu Recht sehr angepisst.