Ein Zugerlebnis

Ein Zugerlebnis

(2006)

Ich habe neulich – Samstag ist’s gewesen –
bei einer Fahrt im Zug ein Buch gelesen,
doch konnte ich mich kaum drauf konzentrieren.
Denn gegenüber saß – vier Jahre alt –
ein Mädchen, dem mein Interesse galt,
das wollt’ ich aus den Augen nicht verlieren.

Es hatte eine Puppe auf dem Schoß
(so um die 80 Zentimeter groß),
die schimpfte dieses Mädchen ständig aus.
Dann rief es: „Sitz jetzt endlich mal gerade!
Erzieh’ ich dich umsonst? Das wäre schade.
Und heul nicht rum! Sonst schmeiß ich dich gleich raus!“

Die Mutter dieses Mädchens saß daneben
mit steifem Blick, die Augen ohne Leben,
und hielt das alles scheinbar für normal.
Das Töchterchen kam gar nicht mehr zur Ruhe
und sagte zu der Puppe: „Deine Schuhe
sind ja noch offen! Ist dir das egal?!“

Danach ging’s weiter: „Sei mal endlich still!
Hör bitte auf mit dem ‘Ich will, ich will’!
Und gaff nicht rum – wir sind hier nicht im Zoo!
Lass diese elend blöde Mitleidsnummer!
Du machst der Mama heute nix als Kummer!“
Und dann gab’s Schläge auf den Puppen-Po.

Ich legte irgendwann mein Buch beiseite
(was ich im Übrigen schon bald bereute)
und bat, dem Mädchen freundlich zugewandt:
„Spring nicht so hart mit deiner Puppe um.
Die Kleine ist doch sicherlich nicht dumm.
Jetzt streichle ihr zum Troste mal die Hand.“

Ich habe leider erst zu spät begriffen:
Das hätte ich mir lieber mal verkniffen.
Schon starrte mich das Mädchen wütend an
und sprach: „Wie gut, dass Sie von meinem Kind,
das ich erziehe, nicht der Vater sind.
Für so was braucht man keinen schwachen Mann.“

Bis dahin hatte ich es noch ertragen.
Nun stand ich auf. Mir blieb nichts mehr zu sagen.
Ich wollte nur noch weg von diesen Faxen.
Normalerweise mag ich Kinder sehr,
doch solche Fälle sind für mich zu schwer.
Das Mädchen war mir nämlich zu erwachsen.