Frühreif

Frühreif

(2010)

Einst fragte eine Lehrerin
die Schüler ihrer fünften Klasse,
was ihnen für die Zukunft passe,
wo wollten Sie beruflich hin?
Die Laura meldete sich bald:
„Ich möchte später Tiere schützen,
Naturprojekte unterstützen
an Flüssen und im Regenwald.“
„Das find ich toll“, sprach die Marie,
„auch ich will uns’re Erde retten.
Ich sorge später in den Städten
für Wind- und Sonnenenergie!“
Da lächelte die Lehrerin,
nur Jonas sagte daraufhin:

„Ich weiß nicht, was daran erstrebenswert ist,
ob ihr die Erfolge nicht bald schon vermisst.
Ich bleibe, was das betrifft, gern Realist,
vertrau auf die Kraft,
die die Braunkohle schafft
und verdien mein Geld als Lobbyist.“

Die Lehrerin ging nicht drauf ein
und nahm als nächstes Moritz dran.
Der sagte: „Ich will irgendwann
verständnisvoll und offen sein.
Das soll auch im Berufe gelten.
Um seine Arbeit gut zu machen,
ist’s wichtig, häufiger zu lachen,
gemeinsam mit den Angestellten.
Am Arbeitsklima wird gefeilt
und niemand wird so leicht gefeuert
und kein Produkt sei überteuert,
Gewinn wird ganz gerecht verteilt.“
Die Lehrerin war hocherfreut,
doch Jonas sagte dazu heut:

„Ich weiß nicht, was daran erstrebenswert ist,
ob ihr die Erfolge nicht bald schon vermisst.
Ich bleibe, was das betrifft, gern Realist:
Schau, wie du verreckst,
wenn die Wirtschaft nicht wächst –
das vertret’ ich dann als Lobbyist.“

Das schien die Stimmung zu gefährden,
die Kinder schauten sehr verwirrt,
doch hieß es weiter unbeirrt:
„Was wollt ihr später einmal werden?“
„Ich werde Friedensaktivist“,
rief Jannik laut, „in Afrika.
Ich hab schon oft gehört, dass da
Gewalt am allerschlimmsten ist.
Dann hat’s ein Ende mit den Kriegen,
dem Morden und dem Blutvergießen,
die Menschen sollen Frieden schließen,
sich glücklich in den Armen liegen.“
Die Lehrerin war hin und weg,
nur Jonas sah dort keinen Zweck:

„Ich weiß nicht, was daran erstrebenswert ist,
ob ihr die Erfolge nicht bald schon vermisst.
Ich bleibe, was das betrifft, gern Realist:
Wo Streit alle schlaucht,
werden Waffen gebraucht –
so denk ich dann als Lobbyist.“

Bald war der Unterricht zum Glück
vorbei. Die Schüler konnten flitzen.
Nur Jonas blieb im Raum noch sitzen –
die Lehrerin hielt ihn zurück.
Sie sprach, dass er unmöglich sei,
der Junge aber sagte frei:

„Ich habe heut einiges richtig gestellt,
wer Ideale verfolgt, stirbt als einsamer Held.
Mag sein, dass die Haltung den meisten missfällt,
doch wenn ich’s erzähl –
ich mach keinen Hehl –
dann gibt mir mein Vater mehr Geld.“