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Gendergerechte Dichtung

Gendergerechte Dichtung

(2023)

Mich haben Kritiker drauf hingewiesen,
dass meine Dichtung neben den präzisen
Beschreibungen auch Lücken offenbart,
denn Frauen würden häufig ausgespart –
zumindest sprachlich würd ich sie kaum zeigen,
von nicht-binären Menschen ganz zu schweigen.

Ich weiß, dass man das schnell bei mir erkennt,
wenn ein Gedicht wie das hier permanent
die „Kritiker“ nur maskulin benennt,
und sehe gerne ein: Das Argument,
letztendlich seien alle mitgemeint,
bezweifelt jeder, der nicht miterscheint.

Doch ein Versuch, das Ganze einzurenken,
indem man fordert: „Lasst euch bloß nicht kränken“,
hat nur die Wirkung, davon abzulenken,
dass Sprache das gesellschaftliche Denken
schon immer formt – egal, bei welchen Themen;
drum möchte ich Versuche unternehmen,
es jenen recht zu machen, die zwecks „Gendern“
sich wünschen, dass sich meine Verse ändern:

Im Folgenden werde ich damit beginnen
und wechsle das Versmaß, denn „Kritiker:innen“
sind rhythmisch mit Jamben nur schwer kompatibel –
hinzu kommt: Ich wirke als Sprecher sensibel,
wenn das Metrum gelegentlich anders gerät:
So stehen die Verse für Diversität.

Und wenn ich den Wortfluss mal anders beton,
entsteht wie von selbst eine Irritation
bei den Zuhörer:innen, sobald der sonst fest-
gelegte Rhythmus ein Gedicht verlässt –
und sei es auch nur für die schwindende Zeit
eines einzelnen Verses, zwecks Aufmerksamkeit.

Doch auf was sollen Menschen, frag ich mich beim Dichten,
die Aufmerksamkeit bitte hauptsächlich richten?
Aufs Thema? Auf Worte mit „innen“ am Schluss?
Auf Gendergerechtigkeit? Sprachlichen Fluss?
Den Konflikt, inwiefern man sich festlegen muss,
weiß der Text, den ihr aktuell hört, zu vermeiden,
weil sich all diese Dinge hier stark überschneiden,
indem sich die Form und der Inhalt ergänzen.
Ja, mehr noch: die gendergerechten Tendenzen
im Text sind stilistische Sprachkonsequenzen
und lassen den Inhalt formal besser glänzen.
Wär der Inhalt ein anderer, stieß ich an Grenzen.

Denn um ein Thema sprachlich zu verdichten,
muss ich im Zweifelsfall darauf verzichten,
an jeder Stelle und zu allen Zeiten
auf alle Minder- oder Eigenheiten
in unserer Gesellschaft einzugehen.
Das heißt jetzt nicht, ich würd sie übersehen,
wie manche Kritiker mich missverstehen.
Es heißt vielmehr, dass ich den Fokus setze
und Themen, die ich ebenfalls sehr schätze,
kurz ignoriere, weil ich ja nur dann
den Fokusinhalt gut verdichten kann.
Und ist’s gelungen, kann ich nach Belieben
den Fokus für den nächsten Text verschieben.
Auf diesem Weg lässt sich noch viel ersinnen.

Ich schließe mit Worten an Kritiker:innen:
Lasst uns den Kampf um mehr Gleichheit gewinnen,
indem wir uns einerseits stets respektieren
und andererseits auch getrennt fokussieren
auf das, was uns aufregt, beschränkt oder stört
und – in Teilen verstreut – zum Gesamtbild gehört.
Denn wir müssen bei all den vermauerten Türen
die Kämpfe auf mehreren Ebenen führen,
nur kann ich als Dichter, das seht ihr wohl ein,
auf all diesen Eb’nen nicht gleichzeitig sein –
was ich von euch aber auch nicht verlang.
So hoff ich, es ziehen im weiteren Gang
der Dinge bald Menschen von jedwedem Rang
von verschiedenen Stell’n am identischen Strang.