Ich flieh

Ich flieh

(2023)

Beim Blick in die Geschichte frage ich mich oft beim Lesen:
Was hätte ich getan? Wär ich im Widerstand gewesen?
Oder hätte ich die Grausamkeit als solche nicht erkannt?
Wär ich für Menschlichkeit gestorben? Oder doch nur für ein Land?

Ich werd es nie erfahren und das ist auch besser so,
denn ich hänge, wenn ich ehrlich bin, sehr am Status quo.
Aber sollte der sich ändern und käm ein Krieg – man weiß ja nie –
dann bin ich fest entschlossen, dass ich flieh.

Während andere noch hadern würden, ob sie bald zur Waffe
greifen sollen, plante ich bereits, wie ich es schaffe,
mich in Sicherheit zu bringen, solange ich noch kann.
Es käme wohl auf Tage oder gar Minuten an.

Und alle, die mir nahsteh’n, würde ich genauso drängen –
zuerst zum schnellen Packen und danach zu Übergängen
in sichere Gebiete, damit ich weiß, sie zieh’n
gewiss in keine Kämpfe, sondern flieh’n.

Ich weiß ja, manche Menschen würden heute gar nicht leben
ohne tapfere Soldaten. Das stimmt schon, doch daneben
will ich keinesfalls die vielen, vielen Stimmen überhör’n
der Kinder und der Enkel von Deserteur’n.

Und wirft man mir auch vor, einfach feige einzuknicken
und mich egoistisch vor dem großen Kampf zu drücken
für Freiheit, für Gerechtigkeit, für Demokratie,
so bin ich mir doch sicher, dass ich flieh.

Für mich steht fest: Ich werde mich zur Flucht sehr schnell entschließen,
bevor ich drüber nachdenk, vielleicht doch einmal zu schießen,
denn wer weiß schon, was der Krieg, wenn er mal da ist, aus mir macht.
Ich will das gar nicht wissen. Deshalb geb ich tunlichst acht,

dass ich mich nicht als Teil des Schlachtfelds kennenlernen muss –
voller Angst und Hass und tief verzweifelt bis zum Schluss.
Es fiele mir schon schwer genug drauf klarzukommen, wie
ich bin und mich verhalte, wenn ich flieh.