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Das Märchen von der Effizienz

Das Märchen von der Effizienz

(2019)

Es war einmal – das ist nicht lange her –
ein wohlgenährter alter König, der
ein hübsches Schloss aus Stein sein Eigen nannte.
Nichts Großes, nur drei Zimmer, Küche, Bad.
Für einen König also in der Tat
so übersichtlich, wie man’s selten kannte.

Und vor den Toren dieses Schlosses stand
ein Diesel-Auto gleich am Wegesrand –
mit grade mal zwei Tür’n kompakt gebaut.
Das alles lag in einem großen Wald,
der war bestimmt schon tausend Jahre alt.
Hier war allein das Vogelzwitschern laut –

es sei denn, dass der König mal beschloss,
mit seinem altgedienten Diesel-Ross
zu Untertanen in die Stadt zu fahren.
Dann dröhnte es mal kurz aus vollem Rohr,
doch kam das monatlich nur einmal vor.
Der König pflegte nämlich Sprit zu sparen.

So hätt es ewig weitergehen können.
Es wäre König und Natur zu gönnen
gewesen, aber eines schönen Tages
erhielt der König einen langen Brief,
in dem der Kaiser ihn zur Ordnung rief.
Zu Recht wird mancher fragen: Woran lag es?

Dort stand geschrieben: „Sehr verehrter König,
Ihr wisst ja: Froh zu sein bedarf es wenig,
doch so bescheiden Ihr Euch selbst auch gebt,
fällt auf, wie wenig effizient ihr lebt.
Ihr wohnt hier ja geradezu enthemmt:
Das Schloss ist alt und nicht einmal gedämmt.
Da gäbe es bereits seit vielen Jahren
das Potenzial, mal Energie zu sparen.
Und Eure Post – der reinste Baum-Versand!
Ich schlage vor, papierfrei und entspannt
auf analoge Briefe zu verzichten
und Euch ein E-Mail-Postfach einzurichten.
Und was, Herr König, wirklich gar nicht geht,
ist Euer Diesel, der da draußen steht!
Wir leisten uns jetzt lieber keine Schnitzer
als neue, selbst ernannte Klimaschützer.
Ich bin mir sicher, dass Ihr das versteht,
wenn’s um die Zukunft des Planeten geht,
und zähl auf Euch, weil’s jeden hier betrifft.
Es grüßt der Kaiser. Krakelunterschrift.“

Was dann geschah, ist heute legendär:
Der Kaiser schickte bald ein ganzes Heer
an großen Ingenieuren, Architekten
und Bauarbeitern, die mit ihren Plänen,
mit Werkzeug, Kabeln, LKWs und Kränen
vor allem eines – Effizienz – bezweckten.

Der König wusste nicht, wie ihm geschah.
Sein Schloss stand wenig später nicht mehr da.
Stattdessen wusste ihm ein Bauarbeiter
mit Stolz und Überzeugung zu berichten:
„Wir werden hier was Größeres errichten.
Geräumig, höher und auch deutlich breiter.

Der Neubau ist auf ganzer Linie lohnend:
Zum einen wird er äußerst umweltschonend
mit möglichst wenig Energie betrieben.
Und weil das nagelneue Schloss, Durchlaucht,
Ressourcen äußerst effizient verbraucht,
vergrößern wir es einfach nach Belieben.“

Im Anschluss fing man an, den Wald zu roden,
man brauchte schließlich all den schönen Boden
als Platz, sowie das Holz für die Fassade.
Auch sonst passierte jede Menge Mist.
Und wenn der König nicht gestorben ist,
verflucht er wohl die Effizienz gerade.