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Eine Angeklagte verteidigt sich

Eine Angeklagte verteidigt sich

(2014)

„Herr Richter“, sprach die Anklagte,
„ich kann nur, was ich vorhin sagte,
noch einmal deutlich wiederholen:
Mir tut die Tat bis heute leid,
doch hätt ich, je nach Dringlichkeit,
sie andern Frauen auch empfohlen.

Zumindest solchen, die mit einer
Gegebenheit, die ähnlich meiner,
zu kämpfen und zu leben hätten.
So paradox das scheinbar klingt:
Ich glaub, auf diesem Weg gelingt
es die Gesellschaft noch retten.

Nicht heute, doch auf lange Sicht –
wenn das Gericht auch widerspricht.
Die Logik gibt mir nämlich Recht.
Obgleich es Ihnen nicht behagt:
als Mutter hab ich zwar versagt,
doch sonst verhielt ich mich nicht schlecht.

Zumindest insgesamt betrachtet.
Ich habe stets darauf geachtet,
dem Wohl des Staates nicht zu schaden.
Drum war es richtig, wie ich find’,
mein grade frisch gebor’nes Kind
im Müll-Container abzuladen.

Es war schon tot, als das geschah.
Natürlich. Denn ich wollte ja
die Nachbarn keinesfalls erschrecken.
Da macht sich schließlich Panik breit,
wenn’s aus der gelben Tonne schreit.
Wer will schon Babys dort entdecken?

Ich weiß. Es ist dann doch passiert.
Der Sack war schlampig zugeschürt,
der linke Fuß hat rausgeschaut.
Die Nachbarin fand’s ziemlich krass
und wirkte nach dem Schock recht blass.
Das hat ihr wohl den Tag versaut.

Auch das bedaure ich heut sehr.
Trotz allem fällt es mir nicht schwer
zu sagen: Es war richtig so.
Auf diesem Weg hab ich dem Staat
und meinem Baby viel erspart –
als erstes das Hartz-IV-Niveau.

Ich bin ja langzeitarbeitslos.
Statistisch sind die Chancen groß,
dass Kinder, die wir Hartzer werfen,
dem Staat bloß auf der Tasche sitzen
und keinem Steuerzahler nützen.
Das will ich keinesfalls verschärfen!

Zumal die Fakten fördern würden,
dass jede Menge Bildungshürden
zu hoch für meine Kinder wären.
Womöglich ginge dieses Pack
den Lehrern auch noch auf den Sack –
da mag man doch kein Kind gebären!

Vor Kurzem ist das halt geschehen.
Inzwischen hab ich eingesehen,
wie blöd bereits die Zeugung war.
Der Vater hat ja auch kaum Geld,
er war bei Opel angestellt.
Zum Glück ist’s Baby nicht mehr da!

Herr Richter, diese Hartzer-Blagen,
die perspektivlos um sich schlagen,
sind für uns alle eine Last.
Und später – das geht häufig schnell –
wird diese Brut dann kriminell
und landet nur im teuren Knast.

Das alles habe ich bedacht,
doch eines hab ich falsch gemacht –
das, geb ich zu, bleibt nicht verborgen:
Muss so ein Baby mal verschwinden,
dann sollte man aus Umweltgründen
es nur im Bio-Müll entsorgen.“