In der U7

In der U7

(2023)

Lässt du dich gern ins Leben anderer entführen
und möchtest dabei in die Tiefe geh’n?
Willst du das Brodeln unter Oberflächen spüren?
Glaubst du, da ist mehr als wir seh’n?

Dann komm nach Berlin,
um deine Schlüsse zu zieh’n,
und zwar dorthin, wo sich alles im Kleinen
versammelt und ballt –
und was hier aufeinanderprallt,
lässt sich sonst schwerlich vereinen.

Also lad ich dich ein, dort hinein abzutauchen,
als Beobachter wirst du es lieben.
Nur etwas Tapferkeit kannst du gebrauchen
bei der Fahrt mit der U7.

In Mythen fliehen Menschen vor Pharaonen
für vierzig Jahre durch Wüstengebiet.
In der U7 bleibt auf vierzig Stationen
unklar, wovor man hier flieht.

Aber ich bin
auch ich nicht sicher, wohin
die Menschen im Einzelnen flüchten.
Und manch leerer Blick
sagt mir nur: Es gibt kein Zurück,
statt mir noch mehr zu berichten.

Eine Frau summt gedankenverloren das Lied
„Ach, wärst du doch in Düsseldorf geblieben“.
Wer weiß, wohin sie bei Gelegenheit flieht
nach der Fahrt mit der U7?

Ein Mann fragt nach Geld und ich will ihn fragen:
Kommen alle hier irgendwann raus?
Das lässt sich kaum mit Sicherheit sagen.
Manche sind hier tagein und tagaus,

ohne dass ich sie je
zur Tür gehen seh,
sie fahren gefühlt immer weiter.
Zur stets gleichen Zeit
sind sie bis zur Verlässlichkeit
ungefragt meine Begleiter –

auch heute bei uns’rer gemeinsamen Fahrt –
fast alle hat’s hierher getrieben:
da sind Laute und Leise, allein und gepaart,
betrunken und nüchtern, entspannt und erstarrt,
nur äußerlich hart, im Gemüt eher zart –
kein Einblick, kein Eindruck bleibt Gästen erspart
bei der Fahrt mit der U7.

Was hab ich dort gesehen und gerochen
und gefühlt, was man sein’ Lebtag nicht vergisst.
Mit den Wenigsten hab ich je gesprochen
und trotzdem schon viele vermisst.

Zum Beispiel den Herrn
mit dem Sohn, der aus Bern
zu Besuch war, um Dreck zu bestaunen.
Und die schwitzige Frau
nach dem längeren Taxi-Stau,
Leute mit Leiden und Launen.

Eine ältere Frau schaut mich unverwandt an.
Als ich stutze, sagt sie freundlich: „Ich bin
mir fast sicher, ich seh sie hier oft, junger Mann.
Wo wollen Sie eigentlich hin?“