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Aus dem Gästebuch der Gegenwart

AUS DEM GÄSTEBUCH DER GEGENWART

Das Liederalbum “Aus dem Gästebuch der Gegenwart” entstand aus der Zusammenarbeit von Michael Feindler und der Band Les Bummms Boys während der Late-Night-Show Spätzünder in Dresden (2010-2014). Texte und Musik der Gemeinschaftsproduktion stammen von Michael Feindler, die Arrangements von Les Bummms Boys. Die Tonaufnahmen in der vorliegenden Textsammlung sind allesamt Solo-Interpretationen.

Das Album ist hier als CD erhältlich.

Die Hand

Guten Tag, Herr Intendant, ich bedanke mich für die Ehre,
dass ich über Sie berichten darf!
Und dann aus diesem Anlass – zu heutigen Premiere!
Da komm ich gerne, auch mit Fotograf.
Ja, wie Sie schon sagten: Der Abend wird recht lang,
denn später wird mit allen angestoßen
mit äußerst edlem Alkohol bei einem Sektempfang,
Sie zählen schließlich zu den wirklich Großen!
Und machen Sie sich bitte keine Sorgen
bezüglich der Premieren-Rezension.
Der Text erscheint dann gleich am Montagmorgen,
gewiss mit sehr viel Lob im besten Ton.

Denn:
Die Hand, die einen füttert, beißt man nicht,
sonst verschluckt man sich daran.
Außerdem weiß ich, dass mir diese Hand
den Weg nach oben weisen kann.
Die Hand, die einen füttert, beißt man nicht,
weil man sonst daran erstickt.
Und deshalb ist es stets gesünder,
wenn man freundlich nickt.

Guten Abend, Herr Minister! Ich bin ehrlich hocherfreut,
dass wir uns mal endlich wiederseh’n!
Bei diesem Wirtschaftsgipfel genieß ich hier und heut
zwischen hohen Tieren rumzusteh’n.
Auf solche Treffen kann ich auch in Zukunft nicht verzichten,
ich mag es, als Reporter exklusiv
aus nächster Nähe und nicht bloß von Ferne zu berichten,
mein Chef bewertet das sehr positiv.
Sie fragen mich, woran ich grade schreibe?
Ach, wissen Sie, das ist doch völlig gleich.
Solange ich in diesen Kreisen bleibe,
schreibe ich als einer von Euch!

Denn:
Die Hand, die einen füttert, beißt man nicht,
sonst verschluckt man sich daran.
Außerdem weiß ich, dass mir diese Hand
den Weg nach oben weisen kann.
Die Hand, die einen füttert, beißt man nicht,
weil man sonst daran erstickt.
Und deshalb ist es stets gesünder,
wenn man freundlich nickt.

Ich wirke manchmal abgehoben oder elitär,
doch weiß ich auch, wie dumm Distanz für mich beruflich wär.
Und nur mit dem direkten Draht – unter anderm nach Berlin –
kann ich alles, was passiert, wirklich nachvollzieh’n.
Ganz egal, worüber ich bis heute schrieb
und wohin mich mein Beruf auch trieb –
überall hatten mich die Leute lieb,
denn ich folgte dem Prinzip:

Die Hand, die einen füttert, beißt man nicht,
sonst verschluckt man sich daran.
Außerdem weiß ich, dass mir diese Hand
den Weg nach oben weisen kann.
Die Hand, die einen füttert, beißt man nicht,
sonst wird die Luft noch knapp.
Und wenn die Hand mir nützen soll,
lecke ich sie lieber ab!


Ausflug ins Atomkraftwerk

Herr Walter war Lehrer für Chemie und Physik
und verkündete seiner Klasse erfreut:
„Kinder, was habt Ihr für ein Glück:
Wir machen einen Ausflug heut!
Ein Schüler rief laut: „Das wird ein Knaller!“
und wenig später saßen sie im Bus
nach Brunsbüttel und zur Freude aller
war dieses fröhliche Lied ein Muss:

Steigt ein, steigt ein, jetzt geht es los,
durch die Straßen, übern Berg.
Hey, da ist die Freude groß,
wir fahren ins Atomkraftwerk!

Das Gebäude war von außen halb zerfallen,
als wär’s vom Aussterben bedroht.
Die historische Fassade gefiel gleich allen,
auf einem Schild stand: „Rauchverbot“.
Dennoch war die Besichtigung top,
denn die Schüler fanden in der Tat
in einem kleinen Souvenir-Shop
noch Brennstäbe im Mini-Format.

Steigt ein, steigt ein, jetzt geht es los,
durch die Straßen, übern Berg.
Hey, da ist die Freude groß,
wir fahren ins Atomkraftwerk!

Die Kinder liefen fröhlich über das Gelände,
ein Abenteuerspielplatz bot sich hier.
Sie erklommen hohe, beschmierte Wände,
in diesem Energie-Revier.
Ein paar Jungs gingen schwimmen am nahen See,
das Wasser am Kraftwerk war angenehm warm.
Peters Asthma war danach passé
und Felix wuchs ein dritter Arm.

Steigt ein, steigt ein, jetzt geht es los,
durch die Straßen, übern Berg.
Hey, da ist die Freude groß,
wir fahren ins Atomkraftwerk!

Seit diesem Ausflug weht ein völlig neuer Wind.
Begeistert erzählt davon noch heute jedes Kind.
Du musst mit deinen Kleinen also nur ins Kraftwerk geh’n,
um sie – wie sonst selten – so strahlend zu seh’n;
weshalb man auf den Demos vor jedem Kraftwerk liest:
„Denkt an unsre Kinder, bevor ihr alle schließt!“


Die Welt der tausend Möglichkeiten

Für Versand und Ihre Ware zahle ich bestimmt kein Geld,
was Sie mir geliefert haben, hab ich sicher nicht bestellt.
Ja, okay, das ist was andres – aber nur zum Probeliegen.
Brauch ich’s nicht, dann können Sie das Exemplar gleich wiederkriegen.
Das Letzte war mir auf die Dauer leider viel zu laut,
und abgeseh’n vom guten Look hat’s nicht so viel gekonnt.
Deshalb hab ich mich noch mal ausführlich umgeschaut.
Gäb es das Gesamtpaket eventuell in blond?

Willkommen in der Welt der tausend Möglichkeiten,
facettenreich und turbulent, mit weißen und mit bunten Seiten.
Wer träumt heute nur noch von der Variante A,
sind die Varianten B bis Z noch da?
Willkommen in der Welt, in der du alles werden kannst,
solang du in Bewegung bleibst und zwischen allem tanzt,
was sich bietet und ereignet, hier und jetzt, bei jedem Schritt
und wenn’s dich überzeugt hat – nimm es mit!

Unser Urlaub war vom Anfang bis zum Ende gut gefüllt,
denn in Griechenland gibt’s mehr zu sehn als jedes Jahr auf Sylt.
Man hatte uns im Vorfeld viele Städte dort empfohlen,
wir waren überall, doch konnten wir uns kaum erholen.
Den nächsten Urlaub haben wir natürlich schon gebucht:
Wir starten in Marokko und fahren bis Loch Ness,
den Flug nach Peking hab ich gestern auch noch rausgesucht –
das würde sicher schön, wär da nicht der ganze Stress.

Willkommen in der Welt der tausend Möglichkeiten,
facettenreich und turbulent, mit weißen und mit bunten Seiten.
Wer träumt heute nur noch von der Variante A,
sind die Varianten B bis Z noch da?
Willkommen in der Welt, in der du alles werden kannst,
solang du in Bewegung bleibst und zwischen allem tanzt,
was sich bietet und ereignet, hier und jetzt, bei jedem Schritt
und wenn’s dich überzeugt hat – nimm es mit!

Welches Fach soll ich studieren und was wär beruflich klug
und was könnte mir gefallen und wo lerne ich genug?
Die Entscheidung hab ich schließlich vor dem Hintergrund getroffen:
Mit Wirtschaft halt ich mir noch möglichst viele Wege offen.
Denn mein größter Gegner war immer schon die Zeit,
in der man weitaus mehr als selbige verliert:
Mit jedem meiner Wege, für den ich mich entscheid’,
werden andre Wege auf ewig ausradiert.

Willkommen in der Welt der tausend Möglichkeiten
mit nur einer Gegenwart und verlorenen Vergangenheiten,
die vor ein paar Tagen oder auch vor ein paar Jahr’n
eine Überlegung für die Zukunft war’n.
Willkommen in der Welt, in der du vieles kurz erfasst
und in der du alle paar Minuten was verpasst.
Und immer, wenn du fragst, was das Beste für dich sei,
ist der Moment, den du suchst, schon vorbei.


Jahrgang 1989

Wir wurden geboren als die Mauer fiel,
der kalte Krieg schmolz grad dahin.
Ein einziges Deutschland, hieß das neue Ziel,
und wir standen mittendrin.
Unsre Kindheit begann in den 90er Jahren,
wir genossen es im Großen und Ganzen.
Wir konnten unser Taschengeld in D-Mark sparen
und dachten noch nicht dran uns fortzupflanzen.
Die Hauptstadt hieß jetzt statt Bonn Berlin,
wir lernten das nicht anders kennen,
wir steckten voll mit Ernergien,
wir konnten nur keine Quelle benennen.

Man sagte uns: „Versprechen müsst Ihr halten.“
Das bewies uns allen Helmut Kohl.
Auch wir wollten später Gelder verwalten
und fühlten uns dank Werbung wohl.

Wir lernten früh den Nutzen der Ellenbogen,
um nicht arbeitslos zu enden.
Wir waren lieber selbstbezogen,
als Mitglieder in Verbänden.
Essensbewusster wurden wir
durch Dioxin und BSE,
den Klimawandel erklärte uns hier
ein gewisser Al Gore aus Übersee.
Wir erlebten das Ende der Sicherheit,
als der Terror New York erreichte.
Wir waren noch Kinder, als die neue Zeit
die idyllischen Träume verscheuchte.
Dennoch hatten wir nie mit einem Krieg zu tun,
zumindest hatten wir nie das Gefühl.
Fast zu Lebzeiten könnten wir in Frieden ruh’n,
blieb Gewalt ein Computerspiel.

Wir suchten Erfolg bei RTL
und diversen Casting-Shows,
Wir dachten, so würden wir besonders schnell
berühmt und richtig groß.
Elektronisch warn wir stets auf dem neu’sten Stand,
wir lebten online und global,
Infos strömten vorbei am Bildschirmrand,
wir waren international.
Das Internet wurde zum Lebensraum,
da war jeden Moment was los:
ob bei Ebay der moderne Shopping-Traum
oder Youtube-Videos.
Über Facebook, Twitter und StudiVZ
schickten wir uns sinnlose Zeilen.
Wir machten damit das Bedürfnis wett,
uns ständig mitzuteilen.

Wir wurden geboren als die Mauer fiel,
der Kalte Krieg schmolz grad dahin.
Wir haben die Selbsterhaltung als Ziel
und vielleicht ein bisschen Gewinn.
Wir sind die vernetzte Generation,
sich zu treffen kann kaum leichter sein.
Doch trotz ständiger Kommunikation
fühlen wir uns häufig allein.
Vieles strömt auf uns ein,
wir wollen alles versteh’n,
doch nicht alles ergibt einen Sinn.
Wir laufen, wir rennen, wir stoppen, wir geh’n,
wir wissen nur noch nicht, wohin.

 


Essen ist fertig!

Das Essen ist fertig, nehmt Euch eine große
Portion Spaghetti mit Hackfleischsoße!
Aber nicht übertreiben. Das reicht erst mal. Halt.
Haut rein, liebe Kinder, sonst wird es noch kalt.
Wie schön ist es, Euch beim Essen zuzuschauen,
im Anschluss seh ich Euch sehr glücklich verdauen.
Doch habt Ihr schon darüber nachgedacht,
was die Bolognese so lecker macht?

Kinder, wir haben heute Opa verspeist!
Ihr müsst zugeben, dass er sich als schmackhaft erweist.
Was guckt Ihr denn so? Es hat Euch vorhin geschmeckt.
Ihr habt den Teller sogar noch mal abgeleckt.
Ich verstehe nicht, warum das plötzlich ekelig ist,
bloß weil Ihr jetzt von dieser Zutat wisst!

Opa war keiner mehr von den Jungen,
wir hätten ihn deshalb notgedrungen
in eine Seniorenresidenz geschafft
und dort hätte es ihn dann hinweggerafft.
Das Geld für ein Altersheim lässt sich sparen –
dafür können wir lieber in den Urlaub fahren.
Ach, verzieht jetzt bitte nicht Euer Gesicht!
Bolognese war doch immer Euer Leibgericht.

Kinder, wir haben heute Opa verspeist!
Er war nicht mehr zu gebrauchen und völlig vergreist.
So ist der Lauf der Dinge – irgendwann ist Schluss,
woran sich wirklich jeder Mensch gewöhnen muss.
Doch wie den meisten geht’s Euch besser, wenn Ihr vergesst,
was man Euch auftischt und was Ihr so esst.

Im Übrigen möchte ich nicht verhehlen:
Ich kann dieses Essen jedem nur empfehlen,
denn fest steht, wenn man Senioren brät:
Das ist billiges Fleisch mit hoher Qualität!
Da weiß man, was drin ist, und das ist allemal
sicherer als alles aus dem Kühlregal,
kein Gammelfleisch, kein Massentier und ähnlicher Dreck –
und die Alterspflege fällt auch noch weg!

Kinder, wir haben heute Opa verspeist!
Das passiert eben, wenn man auf Verbraucherschutz scheißt.
Das ist sparsam für den Haushalt und höchst effizient
und es bringt Euch nichts, wenn Ihr weiterhin flennt.
Die Oma liegt im Keller und ist auch schon tot,
die gibt es dann morgen frisch aufs Pausenbrot!


Wo ein Wille ist

Er hat vor langer Zeit bereits beschlossen:
Eines Tages wird zurückgeschossen!
Er kennt für seinen Kampf bereits das Ziel,
obwohl kein Schuss von dieser Seite fiel.
Das kann ihm seine Pläne nur erschweren:
denn um andern Kriege zu erklären,
sollte er den Angriff gut begründen,
doch blöderweise ist kein Grund zu finden.
Und just in dem Moment, als er es braucht,
ist beim Gegner etwas aufgetaucht:
Giftgas oder andre schlimme Waffen.
Als Grund zum Angriff scheint das wie geschaffen!

Das liefert wieder einmal den Beleg:
Wo ein Wille ist, findet sich ein Weg.

Er hat als Unternehmer schon seit Jahren
Erfolge und Gewinne eingefahren
und ähnlich lange stört ihn schon am Staat
der riesige Verwaltungsapparat.
Er meint, dass das den Bürgern wenig bringe,
stattdessen aber sehr viel Geld verschlinge;
das Ganze habe schon so manchen Wert,
den er geschaffen habe, rasch verzehrt.
So hat er sich seit Jahren aufgeregt
und nun ein neues Konto angelegt –
der deutsche Staat zieht davon nichts mehr ein,
denn Steuern zahlt er jetzt in Liechtenstein.

Das zeigt mal wieder: ist ein Wille da,
sind die Wege Richtung Ziel besonders nah.

Der Fortschritt bricht sich technisch neue Bahnen,
die Zukunft lässt sich heute kaum erahnen:
Mit Internet und digitalem Fluss
ist bekanntlich lange noch nicht Schluss.
Im Gegenteil: Es wächst im großen Stil
und technisch ist es längst ein Kinderspiel
zu speichern, was im Internet passiert,
und was ein Mensch zur Zeit im Netz vollführt.
Wir wissen selbst, dass unsre Nutzerdaten
rein theoretisch einiges verraten –
man könnte ja sogar überwachen …
Wer soll sich aber diese Arbeit machen?

Doch fest steht, dass der Umkehrschluss hier gilt:
Wo ein Weg ist, ist auch irgendwer gewillt!


Die Windsegler

Wir haben schon immer die Hebel der Macht
mit Worten verteidigt, mit Waffen bewacht.
Wir haben den Text für Gesetze gesetzt
und haben berufliche Netze vernetzt.
Wir werden auf Einfluss und Macht nicht verzichten
und werden uns stets nach dem Wetterhahn richten –
denn wer in den Sturm eines Zeitlaufs gerät,
muss frühzeitig wissen, woher der Wind weht.

Drum würden wir gern auf den Winden segeln,
ganz gleich, wohin sie uns trügen.
Dann würden die Winde die Richtung regeln,
befreit von menschlichen Lügen.
Wir ließen uns fallen und ließen uns tragen,
ohne zur Seite zu schauen.
Wir müssten auch nicht nach der Zukunft fragen,
könnten wir allein den Winden vertrauen.

Das Springen ersetzt uns den sicheren Stand,
so haben wir eines schon lange erkannt:
Bevor du die Fahne in deinem Takt schwenkst,
muss klar sein, in welchen Wind du sie hängst.
Wir können nichts wissen, wir können bloß meinen,
was vormittags stimmt, lässt sich abends verneinen.
Doch wenn sich der Wind mit einem Mal dreht,
wechseln wir immer ein wenig zu spät.

Wir würden so gern auf den Winden segeln,
ganz gleich, wohin sie uns trügen.
Dann würden die Winde die Richtung regeln,
befreit von menschlichen Lügen.
Wir ließen uns fallen und ließen uns tragen,
ohne zur Seite zu schauen.
Wir müssten auch nicht nach der Zukunft fragen,
könnten wir allein den Winden vertrauen.

Wer mächtig ist, wird von der Seite bedrängt,
sobald eine Fahne im falschen Wind hängt.
Wir schauen genau, wie die Wolken grad zieh’n,
denn unsere Macht ist vom Wind nur gelieh’n.
Doch könnten wir uns in das Wolkenmeer legen
und würden uns nur noch mit diesem bewegen,
dann änderten wir uns mit jedem Detail:
Der Geist wäre leicht, das Gewissen wär frei!

Drum würden wir gern auf den Winden segeln,
ganz gleich, wohin sie uns trügen.
Dann würden die Winde die Richtung regeln,
befreit von menschlichen Lügen.
Wir ließen uns fallen und ließen uns tragen,
abwartend, voller Geduld –
und sollten wir dann in der Höhe versagen,
wäre der Absturz nie unsere Schuld.


Sie warten

Er hat sie einst verlassen, drei Jahre ist das her,
und wie er sie behandelte, war nicht besonders fair.
Trotz allem sehnt sie sich nach der Zeit mit ihm zurück
und meint, sie fände nur in ihm ihr wahres Lebensglück.
Sie stellt das Radio lauter, spielt der Rundfunk Liebeslieder
und meint auch heute noch: Eines Tages kommt er wieder.

Sie wartet und wartet, nichts wird ihr zu viel.
Sie wartet und wartet, denn sie glaubt an ein Ziel.
Sie wartet und wartet bis es sie zermürbt.
Sie wartet und wartet bis die Hoffnung stirbt.

Er sitzt in seinem Zimmer, draußen wird es langsam Nacht,
mit 84 Jahren hat man ihn hierher gebracht.
Morgen wird er 90 und im Pflegeheim gibt’s Kuchen,
er wünscht, dass seine Enkel ihn am Nachmittag besuchen,
obwohl das seit sechs Jahren eher unwahrscheinlich ist.
Doch er ist sich sicher, dass ihn irgendwer vermisst.

Er wartet und wartet, nichts wird ihm zu viel.
Er wartet und wartet, denn er glaubt an ein Ziel.
Er wartet und wartet bis es ihn zermürbt.
Er wartet und wartet bis die Hoffnung stirbt.

Jeden Morgen steht sie in der Arbeitsagentur,
seit über sieben Jahren wartet sie dort nur
auf einen Job, um ihre Kinder vernünftig zu ernähr’n,
sie hat schon oft versucht, es ihrem Jüngsten zu erklär’n:
Irgendwann ist sicher ein Angebot in Sicht,
dann kriegt er neue Schuhe und Schlagzeugunterricht.

Sie wartet und wartet, nichts wird ihr zu viel.
Sie wartet und wartet, denn sie glaubt an ein Ziel.
Sie wartet und wartet bis es sie zermürbt.
Sie wartet und wartet bis die Hoffnung stirbt.

Er ist als Sanitäter bei Soldaten stationiert,
hat gemeinsam mit dem Feldarzt manche Glieder amputiert.
Bei 40 Grad im Schatten läuft er durch das Lazarett,
gibt Pillen und spritzt Morphium an jedem zweiten Bett.
Legt er sich zur Ruhe, schläft er erst nach Stunden ein
und hat nur den Gedanken: Irgendwann wird Frieden sein!

Er wartet und wartet, nichts wird ihm zu viel.
Er wartet und wartet, denn er glaubt an ein Ziel.
Er wartet und wartet bis es ihn zermürbt.
Er wartet und wartet bis er vor der Hoffnung stirbt.

Die Menschen auf der Straße rufen: „Mehr Demokratie“,
behaupten, die Politiker hörten nie auf sie!
Die Wut wird bald zum Zorn und der Zorn wird zum Protest,
die Menschen fordern laut, dass man sie mitbestimmen lässt.
Sie drohen der Regierung: „Euch wird kein Schwein mehr wähl’n!“
Dennoch ist Politikern nur eines zu empfehl’n:

Lasst sie warten, lasst sie warten! Wozu die Hoffnung rauben?
Lasst sie warten, lasst sie warten! Sie soll’n an Ziele glauben!
Lasst sie warten, lasst sie warten bis es sie zermürbt!
Lasst sie warten, lasst sie warten, weil alles einmal —


Mehr als drei Fragezeichen

Sie zeigen gerne ihre Karte und lösen jeden Fall zu dritt.
Wir sind mit ihnen eingeschlafen und nahmen sie auf Reisen mit.
Wir haben ständig mitgefiebert, waren überall dabei –
nicht erst auf der „Toteninsel“, nein, schon beim „Superpapagei“.
Wenn wir ihre Stimmen hörten, waren wir sogleich entspannt –
änderte sich auch das Leben, diese Sache blieb konstant.
Sie versprühten Optimismus, waren wir mal nicht gut drauf,
denn sie lösten jede Spannung durch den Abschlusslacher auf.

Sie blieben jung, wir wurden älter und suchten unsern ersten Job,
doch das änderte nichts an der Freundschaft zu Justus, Peter und Bob,
doch das änderte nichts an der Freundschaft zu Justus, Peter und Bob.

Na na na na na na,
na na na na na na naaa,
na na na na, na na na, na na na,
na na na na na na na na, na na na na.

Nur ab und zu vermissen wir an uns die selbe Lebensart,
denn eine Jugend, die nie endet, haben wir uns kaum bewahrt.
Und es gibt noch etwas andr’es, das wir an den Dreien beneiden:
Gut und Böse können sie sehr viel leichter unterscheiden.
Außerdem sind sie genügsam, wie ihr Arbeitsplatz belegt,
denn der hat sich seit Jahrzehnten nicht vom Schrottplatz wegbewegt.
Manchmal sähen wir das alles gerne unter unsresgleichen,
würden gern die Segel setzen, statt sie einfach nur zu streichen.

Doch wir werden diese Ziele höchstwahrscheinlich nie erreichen,
denn wir sehen im Leben leider mehr als nur drei Fragezeichen.


Das Feriencamp

Alle Kinder sind heute sehr gespannt,
was sie im Sommercamp erwartet.
Bisher ist ihnen nur der Ort bekannt,
an dem der Erlebnisurlaub startet.
Vom Helikopter werden sie zu Hause abgeholt
und schließlich am Ziel abgesetzt.
Es dauert nicht lang, dass die Kinderschar jolt,
denn die Kleinen wissen jetzt:

Dieser Urlaub wird ein Kracher,
Action-Träume werden wahr!
Heldentum und Widersacher,
das erlebt man hier hautnah.
Fröhlich grüßen Offiziere,
jeder freut sich darauf sehr,
dass man fleißig hier trainiere
im Feriencamp der Bundeswehr!

Die Kleinen sind im Spreewald stationiert,
denn hier wird es niemanden stören,
wenn man ein paar neue Waffen ausprobiert,
die zum großen Arsenal gehören.
Zunächst lernen alle Kinder gut zu ziel’n,
um dann weiter so zu verfahr’n:
Die Besten dürfen die Deutschen spiel’n,
die anderen sind die Taliban.

Manchmal laut und manchmal leise,
manchmal konzentriert, mal wild
geht’s auf Abenteuerreise,
hier wird nicht nur Zeit gekillt!
Fröhlich kämpfend als Soldaten
läuft der Nachwuchs hin und her.
Kinder, auf zu neuen Taten
im Feriencamp der Bundeswehr!

Nicht jeder meistert den Parcours
mit dem Minensuchgerät.
Wie schön, wenn sich in Wald und Flur
nicht nur Emotion entlädt!
Hier geht es schließlich nicht um Mord,
sondern um Verbesserung
der Leistungen im hohen Sport
der Selbstverteidigung!

Jeder darf mal Panzer fahren,
denn das ist doch gar nicht schwer,
das erfreut die Kinderscharen
bei der deutschen Bundeswehr!
Hier will jeder alles geben,
denn die Besten lädt man ein
bald schon noch mehr zu erleben –
das Camp wird dann in Syrien sein.


Hinter Zäunen und Mauern

Wir sitzen hinter Zäunen oder Mauern,
die Welt da draußen ist nicht unsre Welt,
doch spüren wir die Menschen draußen lauern
und schrecken auf, wenn unser Jagdhund bellt.
Wir sind gewohnt, uns täglich abzuschotten,
weil jeder Mensch uns potentiell bedroht.
Wir kennen uns’re eigenen Marotten.
Was wir nicht fühlen, halten wir für tot.

Wir sehen uns als geistige Eliten,
wir wirken, wenn wir sprechen, selbstbewusst
und lesen der Gesellschaft die Leviten,
beklagen Wertverfall und Wertverlust.
Sozialromantik nennen wir die Lüge,
die jedem Menschen Gutes unterstellt,
obwohl selbst Optimisten zu genüge
erkennen: Es läuft anders in der Welt!

Die Angst ist unser stetiger Begleiter,
wir raffen um uns, was sich raffen lässt.
Wir streben stets nach mehr und immer weiter,
doch gierig ist bekanntlich auch der Rest.
Denn jeder Mensch ist Opfer seiner Triebe,
Moral ist ein Kostüm und niemals echt,
weshalb aus allem nur zu folgern bliebe:
Im Kern sind alle Menschen faul und schlecht.

Die Wenigsten woll’n wirklich etwas leisten,
ihr Antrieb sind Bequemlichkeit und Gier.
Das gilt da draußen für die allermeisten.
Sind wir einmal ehrlich, sehen wir:
Wir müssen Leistung notfalls auch erzwingen,
sodass, wer uns nicht hören will, uns fühlt.
Gesellschaft kann ja schließlich nur gelingen,
wird unser Menschenbild nicht weichgespült.

Ein Menschenbild in eine Form zu gießen,
machen wir seit vielen Jahren blind.
Uns fällt nicht schwer, auf andere zu schließen,
weil wir wissen, wie wir selber sind.


Der Anschlag (auf den fiktiven Banker Walther Oppermann)

Ich habe nichts gegen den Tyrannenmord,
die alten Griechen hielten viel von ihm.
Nicht jeden Deppen schafft man diplomatisch fort –
deshalb finde ich das manchmal legitim.
Doch mein ich mit Tyrannen nicht die Spitzen,
die man bei uns Volksvertreter nennt,
sondern jene, die woanders sitzen,
außerhalb von unserm Parlament.
In Deutschland wird der Zorn bisweilen nicht genug gepflegt
und viel zu selten wird ein Lobbyist mal umgelegt.
„Um das zu ändern“, dacht ich mir, „fang ich damit an!“
und plante einen Anschlag auf den Banker Oppermann.

Die Zielperson – alles schien zu passen –
musste bald zu einem wichtigen Termin
und hatte sich ein Zimmer buchen lassen
im schicken „Adlon“ in Berlin.
Er würde eine Woche dort verbringen,
ich hatte also Zeit zu spionier’n,
um schließlich, für ein besseres Gelingen,
die Bombe bei dem Banker zu plazier’n.
Ich brauchte eine Strategie für eine Sprengstoff-Falle
und setzte mich zu diesem Zweck in die „Adlon“-Eingangshalle.
Ich bestellte einen Kaffee, um 13 Uhr begann
die Planung für den Anschlag auf Walther Oppermann.

Nach kurzer Zeit schon gesellte sich
eine hübsche junge Frau zu mir.
Sie setzte sich auf einen Stuhl und fragte mich:
„Sind Sie ebenfalls zum Warten hier?“
Ich log: „Ich wart auf einen Freund,
äh, der hilft im Adlon ab und zu dem Koch.
Aber heute braucht er, wie es scheint,
leider bis zur Mittagspause noch.“
Sie nickte und bemerkte: „Sie warten nicht allein.
Mein Vater trifft hier erst in einer guten Stunde ein.“
Ich fragte, wie sie heiße. Sie lächelte mich an
und sagte: „Ich heiß Karin – Karin Oppermann.“

„Wie red’ ich bloß mit ihr? Das ist echt zu dumm“,
hab ich mir im Stillen nur gedacht.
„Tja, ich bringe diese Woche Deinen Vater um“,
war hier vermutlich wenig angebracht.
Sie wirkte aber völlig unbefangen
und fragte, was ich sonst im Leben treib.
So sprach ich von allerlei Belangen
und, dass ich ab und zu Gedichte schreib.
Im Gegenzug erzählte sie vom Studium in der Schweiz
und ihr Kellnerjob am Zürichsee hätte auch so seinen Reiz.
Wir redeten und lachten viel und die Zeit verrann
beim Kaffee mit der Tochter von Walther Oppermann.

Nach vier Getränken war ihr Vater da,
im Mantel kam er durch die Eingangstür,
und als er in der Halle seine Tochter sah,
lief er freudestrahlend gleich zu ihr.
Er drückte ihr zwei Küsse auf die Wange
und sagte, es sei toll, sie hier zu seh’n!
Er habe morgen frei, sie könnten lange
im Zoo von Berlin spazieren geh’n.
Dann stellte sie ihm mich vor und er schien hocherfreut:
„Ich hoffe, junger Mann, Sie habens Warten nicht bereut!“
Er zahlte unsern Kaffee und als ich mich besann,
war klar: Heut plan ich nichts mehr gegen Walther Oppermann.

Und die Moral von der Geschicht
löst nicht das Grundproblem:
An Oppermännern liegt es nicht,
vielmehr wohl am System.
Dennoch wär in unserm Staat
ein Knall nicht sinnentleert —
es steckt in jedem Attentat
auch ein symbolischer Wert!
Aus diesem Grunde will ich schau’n, wie es weitergeht
und wer auf meiner Abschussliste denn als nächstes steht:
Aha, ein Pharmalobbyist – der wäre morgen dran.
Doch weiß ich, dass man Bomben auch per Post verschicken kann,
dann scheitert’s nämlich nicht wie bei Walther Oppermann!


Lass mir meine Melancholie

Die Sonne beginnt sich herniederzusenken,
es liegt mir so fern, schon an morgen zu denken,
zumindest in diesem Moment.
Du sagst, ich solle lächeln, doch ich denke ans Weinen,
das will mir gerade plausibler erscheinen
beim fehlenden Happy End.
Ich fühl mich inzwischen zu müde zum Gähnen,
bewund’re im Stillen die Ästhetik von Tränen.
Das wird nicht für immer so sein,
aber sieh bitte ein:

Lass mir heut Nacht meine Melancholie,
in Moll muss man Schlaflieder singen.
Nimm das so hin und verdräng dabei nie:
Du kannst keinen Frohsinn erzwingen.
Lass mir heut Nacht meine Melancholie
im reißenden Strom der Zeiten.
Wie weit es mich führt und wohin ich auch zieh –
sie darf mich ein Stückweit begleiten.

Nach feurigen Reden und freudigen Tänzen
seh ich nun Scherben im Abendrot glänzen
und bin davon fasziniert.
Alles, was endet, hat einmal begonnen,
vielleicht ist schon bald ein Anfang gewonnen,
während man Altes verliert.
Bevor wir uns aber ans Fortschreiten trauen,
will ich noch mal auf die Gegenwart schauen.
Sie scheint uns womöglich verkehrt,
doch sie hat ihren Wert.

Lass mir heut Nacht meine Melancholie,
in Moll muss man Schlaflieder singen.
Nimm das so hin und verdräng dabei nie:
Du kannst keinen Frohsinn erzwingen.
Lass mir heut Nacht meine Melancholie,
ich möchte nicht einfach vergessen.
Es gibt eben Zeiten, da brauche ich sie,
um Künftiges besser zu messen.

Wir spüren das Scheitern und stehen am Ende,
Du fragst, ob sich alles zum Guten hin wende,
und klingst dabei kaum überzeugt.
Du meinst, dass Du lieber an morgen jetzt denkst
und wirfst mir dann vor, ich hätte mich längst
der Resignation gebeugt.
Mir kam nicht, wie Du glaubst, der Kampfgeist abhanden,
auch ich hab, wie Du, nicht alles verstanden.
Aber, um Neues zu tun, sollte Altes erst ruh’n.

Deshalb: Lass mir heut Nacht meine Melancholie,
in Moll muss man Schlaflieder singen.
Nimm das so hin und verdräng dabei nie:
Du kannst keinen Frohsinn erzwingen.
Lass mir heut Nacht meine Melancholie,
im Morgengrauen wird sie schon weichen.
Frage nie ob, sondern frage stets wie
nur so lässt sich etwas erreichen.