Durchbruch

DURCHBRUCH

Das Kabarettprogramm “Durchbruch” hatte im September 2023 in Nürnberg Premiere. Da sich Programme im Laufe der Zeit weiterentwickeln, können sich einzelne Formulierungen sowie Umfang und Reihenfolge der Beiträge von Auftritt zu Auftritt unterscheiden.

Erster Teil

Schere-Stein-Papier

(Lied)

Für uns alle ist das Leben eine Lotterie:
Vielleicht gewinnst du ständig, vielleicht auch nie.
Wer weiß, vielleicht bist du ein reicher weißer Mann,
der sich vor Erbe und Erfolgen kaum noch retten kann.
Vielleicht betrifft dich auch keiner dieser Faktoren
und du wurdest als Frau im Sudan geboren.
Und ändert sich die Ausgangslage marginal,
dann nur mit viel Glück, deshalb schau’n wir doch mal,
wie wir das Glücksrad der Lebenslotterie überwinden
und endlich einen Weg zu mehr Gerechtigkeit finden –
in Form eines Spiels, deshalb starten wir
mit einer Runde Schere-Stein-Papier!

Es beginnt schon im Kreißsaal – oder eher davor,
denn statistisch steht bereits bei der Zeugung fest,
ob man den Nachwuchs die Karriereleiter empor-
klettern oder von der Leiter fernhalten lässt.
Auf Chancengleichheit kann man da lange warten,
aber nehmen wir an, alle Kinder erhielten
die Chance auf einen teuren Privatkindergarten –
vorausgesetzt, dass sie erfolgreich spielten:
„Gehört der beste Kita-Platz bald dir oder mir?
Komm, wir spielen Schere-Stein-Papier!“

Das Gleiche gälte künftig in jedem Betrieb:
Jede Stellenvergabe wär nur zu begreifen,
verstünde man das schlichte Spiel-Prinzip
„Einwickeln, schneiden oder lieber schleifen?“
Bei Wohnungen – sei es jetzt zu Kauf oder Miete –
machten nicht die Reichsten automatisch das Rennen,
sondern jene, die auch ohne irgendwelche Kredite
bei der Wohnungsvergabe die Spiele gewännen,
denn die Wohnungsbewerbung bedeutete schier
viele Runden Schere-Stein-Papier.

Wenn jetzt irgendwer wissen will, was das soll,
und behauptet: auch Würfeln wäre wirkungsvoll,
dann sage ich: Würfeln wäre zwar nicht schlecht,
doch wird der Leistungsgesellschaft überhaupt nicht gerecht.
Denn mit der Wahl von Schere, Papier und Stein
gibt’s die Möglichkeit, selber dran schuld zu sein,
ob man das Spiel gewinnt, denn man muss selbst entscheiden:
Soll ich einwickeln, schleifen oder lieber schneiden?

Für alle Menschen gäb es neue offene Türen:
auch ich könnte schon morgen einen Großkonzern führen,
ein Tellerwäscher hätte dann überall auf Erden
die Chance, mit einer Handbewegung Millionär zu werden.
Obdachlose könnten Hotelketten besitzen
und Chefetagen kämen ziemlich schnell ins Schwitzen,
denn um eine Frage wären sie kaum zu beneiden:
Einwickeln, schleifen oder lieber schneiden?
Einwickeln, schleifen oder lieber schneiden?

Aber will sich irgendjemand mit mir zanken,
ob da nicht der Zufall das Schicksal bestimmt,
verweis ich auf den liberale Grundgedanken,
dass jeder die Verantwortung selbst übernimmt –
auch für Glück und Unglück im Jetzt und Hier.
Warum dann nicht bei Schere-Stein-Papier?


Hammermäßiger Traum

(Gedicht)

Er war ein Bild von einem Mann:
Als Hobby gab er „Grillen“ an,
er konnte Häuser bauen.
Er packte gerne fester zu,
war mit dem Kneipenwirt per Du
und schätzte hübsche Frauen.

Er war so richtig maskulin;
bis eines Nachts – allein für ihn –
ein Gott in seinem Traum erschien
aus längst vergang’nen Tagen.
„Germanen kennen mich als Thor“,
so stellte dieser Gott sich vor.
„Ich hab dir was zu sagen:

Mein Hammer ist inzwischen alt
und deshalb bräuchte ich wohl bald
mal wieder einen neuen.
Und weil mir nur ein echter Mann
bei der Beschaffung helfen kann,
darfst du dich heute freuen,

dass du der Auserwählte bist,
der mich als Phallus-Spezialist
und Weiblichkeitsverächter
mal kräftig unterstützen soll,
damit der Hammer eindrucksvoll
die anderen Geschlechter

Respekt vorm Donnerwetter lehrt!“
Der Träumende war leicht verstört
doch sprach: „Ich fühle mich geehrt.
Ich hoff, ich hab’s korrekt gehört:
Ich soll Euch unterstützen?
Doch wie genau? Ich frag Euch nun:
Was muss ich denn als nächstes tun,
um Euch, Herr Thor, zu nützen?“

Vom Gott kam: „Konzentrier dich ganz
auf die Beschaffung der Substanz
fürs große Schmiedefeuer,
in dem man dann mit Männerkraft
den nagelneuen Hammer schafft!
Ich spar mir das Geseier;
kurzum: Ich brauch ein Mat’rial,
das härter ist als stärkster Stahl –
ich brauche deine Eier.“

Da wurde unser Mann ganz bleich
und krächzte: „Die sind viel zu weich.“
Als Fazit soll genügen,
dass eigene Identität
vor allem dann im Zweifel steht,
soll diese zum Vergnügen
von anderen sich fügen.


Gendergerechte Dichtung

(Gedicht)

Mich haben Kritiker drauf hingewiesen,
dass meine Dichtung neben den präzisen
Beschreibungen auch Lücken offenbart,
denn Frauen würden häufig ausgespart –
zumindest sprachlich würd ich sie kaum zeigen,
von nicht-binären Menschen ganz zu schweigen.

Ich weiß, dass man das schnell bei mir erkennt,
wenn ein Gedicht wie das hier permanent
die „Kritiker“ nur maskulin benennt,
und sehe gerne ein: Das Argument,
letztendlich seien alle mitgemeint,
bezweifelt jeder, der nicht miterscheint.

Doch ein Versuch, das Ganze einzurenken,
indem man fordert: „Lasst euch bloß nicht kränken“,
hat nur die Wirkung, davon abzulenken,
dass Sprache das gesellschaftliche Denken
schon immer formt – egal, bei welchen Themen;
drum möchte ich Versuche unternehmen,
es jenen recht zu machen, die zwecks „Gendern“
sich wünschen, dass sich meine Verse ändern:

Im Folgenden werde ich damit beginnen
und wechsle das Versmaß, denn „Kritiker:innen“
sind rhythmisch mit Jamben nur schwer kompatibel –
hinzu kommt: Ich wirke als Sprecher sensibel,
wenn das Metrum gelegentlich anders gerät:
So stehen die Verse für Diversität.

Und wenn ich den Wortfluss mal anders beton,
entsteht wie von selbst eine Irritation
bei den Zuhörer:innen, sobald der sonst fest-
gelegte Rhythmus ein Gedicht verlässt –
und sei es auch nur für die schwindende Zeit
eines einzelnen Verses, zwecks Aufmerksamkeit.

Doch auf was sollen Menschen, frag ich mich beim Dichten,
die Aufmerksamkeit bitte hauptsächlich richten?
Aufs Thema? Auf Worte mit „innen“ am Schluss?
Auf Gendergerechtigkeit? Sprachlichen Fluss?
Den Konflikt, inwiefern man sich festlegen muss,
weiß der Text, den ihr aktuell hört, zu vermeiden,
weil sich all diese Dinge hier stark überschneiden,
indem sich die Form und der Inhalt ergänzen.
Ja, mehr noch: die gendergerechten Tendenzen
im Text sind stilistische Sprachkonsequenzen
und lassen den Inhalt formal besser glänzen.
Wär der Inhalt ein anderer, stieß ich an Grenzen.

Denn um ein Thema sprachlich zu verdichten,
muss ich im Zweifelsfall darauf verzichten,
an jeder Stelle und zu allen Zeiten
auf alle Minder- oder Eigenheiten
in unserer Gesellschaft einzugehen.
Das heißt jetzt nicht, ich würd sie übersehen,
wie manche Kritiker mich missverstehen.
Es heißt vielmehr, dass ich den Fokus setze
und Themen, die ich ebenfalls sehr schätze,
kurz ignoriere, weil ich ja nur dann
den Fokusinhalt gut verdichten kann.
Und ist’s gelungen, kann ich nach Belieben
den Fokus für den nächsten Text verschieben.
Auf diesem Weg lässt sich noch viel ersinnen.

Ich schließe mit Worten an Kritiker:innen:
Lasst uns den Kampf um mehr Gleichheit gewinnen,
indem wir uns einerseits stets respektieren
und andererseits auch getrennt fokussieren
auf das, was uns aufregt, beschränkt oder stört
und – in Teilen verstreut – zum Gesamtbild gehört.
Denn wir müssen bei all den vermauerten Türen
die Kämpfe auf mehreren Ebenen führen,
nur kann ich als Dichter, das seht ihr wohl ein,
auf all diesen Eb’nen nicht gleichzeitig sein –
was ich von euch aber auch nicht verlang.
So hoff ich, es ziehen im weiteren Gang
der Dinge bald Menschen von jedwedem Rang
von verschiedenen Stell’n am identischen Strang.


In der U7

(Lied)

Lässt du dich gern ins Leben anderer entführen
und möchtest dabei in die Tiefe geh’n?
Willst du das Brodeln unter Oberflächen spüren?
Glaubst du, da ist mehr als wir seh’n?

Dann komm nach Berlin,
um deine Schlüsse zu zieh’n,
und zwar dorthin, wo sich alles im Kleinen
versammelt und ballt –
und was hier aufeinanderprallt,
lässt sich sonst schwerlich vereinen.

Also lad ich dich ein, dort hinein abzutauchen,
als Beobachter wirst du es lieben.
Nur etwas Tapferkeit kannst du gebrauchen
bei der Fahrt mit der U7.

In Mythen fliehen Menschen vor Pharaonen
für vierzig Jahre durch Wüstengebiet.
In der U7 bleibt auf vierzig Stationen
unklar, wovor man hier flieht.

Aber ich bin
auch ich nicht sicher, wohin
die Menschen im Einzelnen flüchten.
Und manch leerer Blick
sagt mir nur: Es gibt kein Zurück,
statt mir noch mehr zu berichten.

Eine Frau summt gedankenverloren das Lied
„Ach, wärst du doch in Düsseldorf geblieben“.
Wer weiß, wohin sie bei Gelegenheit flieht
nach der Fahrt mit der U7?

Ein Mann fragt nach Geld und ich will ihn fragen:
Kommen alle hier irgendwann raus?
Das lässt sich kaum mit Sicherheit sagen.
Manche sind hier tagein und tagaus,

ohne dass ich sie je
zur Tür gehen seh,
sie fahren gefühlt immer weiter.
Zur stets gleichen Zeit
sind sie bis zur Verlässlichkeit
ungefragt meine Begleiter –

auch heute bei uns’rer gemeinsamen Fahrt –
fast alle hat’s hierher getrieben:
da sind Laute und Leise, allein und gepaart,
betrunken und nüchtern, entspannt und erstarrt,
nur äußerlich hart, im Gemüt eher zart –
kein Einblick, kein Eindruck bleibt Gästen erspart
bei der Fahrt mit der U7.

Was hab ich dort gesehen und gerochen
und gefühlt, was man sein’ Lebtag nicht vergisst.
Mit den Wenigsten hab ich je gesprochen
und trotzdem schon viele vermisst.

Zum Beispiel den Herrn
mit dem Sohn, der aus Bern
zu Besuch war, um Dreck zu bestaunen.
Und die schwitzige Frau
nach dem längeren Taxi-Stau,
Leute mit Leiden und Launen.

Eine ältere Frau schaut mich unverwandt an.
Als ich stutze, sagt sie freundlich: „Ich bin
mir fast sicher, ich seh sie hier oft, junger Mann.
Wo wollen Sie eigentlich hin?“


Der Leistungsträger

(Gedicht)

Der Leistungsträger ist ein Mann
(zumindest in den meisten Fällen),
der von Natur nicht anders kann,
als wiederholt herauszustellen,

wie groß die Leistung ist, die er
für unser aller Welt erbringt.
Er trägt an dieser Leistung schwer,
obwohl ihn niemand dazu zwingt,

wie er betont: Das Leistung-Tragen
liegt diesem Mann schon lang im Blut,
und nicht – wie andern – schwer im Magen.
Er lebt, indem er macht und tut.

Damit auch niemand übersieht,
wie toll die Trageleistung ist,
ist unser Mann darum bemüht,
dass die Gesellschaft nicht vergisst,

was er des Weiteren noch stemmt:
die, ach, immense Steuerlast,
die seine Kräfte manchmal hemmt,
weil diese Last bald nur noch fast
auf seine breiten Schultern passt.

So deutet er die Szenerie,
doch ignoriert er bei den Klagen
die vielen andern Schultern, die
ihn selbst mitsamt der Leistung tragen.


Bruchgefahr

(Gedicht)

Ein Spiegelbild, das immerzu
dem eig’nen Selbstbild widerspricht,
lässt dir beim Anblick keine Ruh,
bis eine Seite dran zerbricht:
der Spiegel oder du.


Das Gesetz der Straße

(Lied)

Lange galt in Deutschland offiziell die Devise
„Nie wieder Krieg“ und trotzdem herrschte eine miese
Stimmung, die wohl jeder auf der Straße spürte
und ganz sicher nicht mit „Frieden“ assoziierte.
Dafür mit Ruppigkeit und rauerem Ton,
denn Frieden hat bei uns in Deutschland keine Tradition.
Und weil’s auch meinen Nachbarn nach Krieg gelüstet,
hat er selbst für den Straßenalltag aufgerüstet.
Zwar sind Autoinnenräume heute menschenleerer
als früher, doch die Wagen sind jetzt größer und schwerer,
denn ein Alphamännchen muss sich vor der Außenwelt schützen,
will es dauerhaft sicher im Sattel sitzen.

Das Gesetz der Straße war niemals fair,
es war eher das Letzte als der letzte Schrei.
Deshalb fährt mein Nachbar im Straßenverkehr
einen Leopard 2.

Früher hatte er auch mal einen SUV,
doch befürchtete, irgendwann verbietet die
Regierung solche Autos, um das Klima zu retten.
Aber Panzer brauchen nicht einmal Umweltplaketten!
Apropos „Ketten“: Darauf fährt er gut.
Umgehungsstraßen sind für ihn ein alter Hut.
Denn niemand fährt um Hindernisse länger herum,
geht es schneller, fährt man diese konsequent um.
Zwar hört mein Nachbar häufig, das sei gefährlich.
Seine Antwort darauf: Das ist wenigstens ehrlich
im Gegensatz zu Fahrern, die im Straßenverkehr
nur so tun als ob ihr Auto ein Panzer wär!

Das Gesetz der Straße war nie gerecht,
denn wer freie Fahrt hat, ist auch vogelfrei.
Deshalb fährt mein Nachbar im Verkehrsgefecht
einen Leopard 2.

Während er behauptet, dass ihn Stau nicht länger störe,
schauen andere buchstäblich in die Röhre.
Ob vor Supermarkt, Schule oder Kindergarten –
auf Parklücken muss er überhaupt nicht mehr warten.

Das Gesetz der Straße war nie nett gemeint,
man kann nicht mal behaupten, dass es höflich sei.
Und die beste Waffe auf dem Kampfplatz scheint
so ein Leopard 2.
Doch das Gesetz der Straße sagt leider auch:
Beim Wettrüsten sind alle gerne dabei.
Und dann brauche selbst ich – das sagt mir mein Bauch –
einen Leopard 2.


Wann es anfing

(Gedicht)

Der Ausruf „Du hast angefangen!“
führt seit Jahrhunderten zu langen
Konflikten sowie tiefem Groll.
Die Frage aber: „Worauf geht
der Streit zurück?“ ist obsolet,
wenn keine Einigung besteht,
ab wann man zeitlich rechnen soll.


Und der Zweck?

(Gedicht)

Der Zweck, mit dem man uns bestach,
ist heute nicht mehr wach zu rütteln –
begraben unter all den Mitteln,
die dieser Zweck einst heilig sprach.


Ich flieh

(Lied)

Beim Blick in die Geschichte frage ich mich oft beim Lesen:
Was hätte ich getan? Wär ich im Widerstand gewesen?
Oder hätte ich die Grausamkeit als solche nicht erkannt?
Wär ich für Menschlichkeit gestorben? Oder doch nur für ein Land?

Ich werd es nie erfahren und das ist auch besser so,
denn ich hänge, wenn ich ehrlich bin, sehr am Status quo.
Aber sollte der sich ändern und käm ein Krieg – man weiß ja nie –
dann bin ich fest entschlossen, dass ich flieh.

Während andere noch hadern würden, ob sie bald zur Waffe
greifen sollen, plante ich bereits, wie ich es schaffe,
mich in Sicherheit zu bringen, solange ich noch kann.
Es käme wohl auf Tage oder gar Minuten an.

Und alle, die mir nahsteh’n, würde ich genauso drängen –
zuerst zum schnellen Packen und danach zu Übergängen
in sichere Gebiete, damit ich weiß, sie zieh’n
gewiss in keine Kämpfe, sondern flieh’n.

Ich weiß ja, manche Menschen würden heute gar nicht leben
ohne tapfere Soldaten. Das stimmt schon, doch daneben
will ich keinesfalls die vielen, vielen Stimmen überhör’n
der Kinder und der Enkel von Deserteur’n.

Und wirft man mir auch vor, einfach feige einzuknicken
und mich egoistisch vor dem großen Kampf zu drücken
für Freiheit, für Gerechtigkeit, für Demokratie,
so bin ich mir doch sicher, dass ich flieh.

Für mich steht fest: Ich werde mich zur Flucht sehr schnell entschließen,
bevor ich drüber nachdenk, vielleicht doch einmal zu schießen,
denn wer weiß schon, was der Krieg, wenn er mal da ist, aus mir macht.
Ich will das gar nicht wissen. Deshalb geb ich tunlichst acht,

dass ich mich nicht als Teil des Schlachtfelds kennenlernen muss –
voller Angst und Hass und tief verzweifelt bis zum Schluss.
Es fiele mir schon schwer genug drauf klarzukommen, wie
ich bin und mich verhalte, wenn ich flieh.


Zweiter Teil

Schmerzenskunst

(Gedicht)

Ein Schmerz vereinnahmt alles an Empfinden,
in dem Moment, in dem er uns durchfährt,
lässt hoffnungsvolle Blicke kurz erblinden
und ist für niemanden erstrebenswert.

Doch wird er künstlerisch mal eingefangen,
so ist der Schmerz schon wenig später in
berauschender Ästhetik aufgegangen
und suggeriert uns einen höh’ren Sinn.

Denn Kunst schafft selbst aus Chaos einen Plan,
und was wir in der Schmerzempfindung nur
verschwommen oder gar verdunkelt sah’n,
erhält im Kunstwerk Farbe und Kontur –

und damit Tiefe sowie Relevanz.
Mit kleinsten Teilen kann sich Kunst begnügen
und sie aus Perspektiven der Distanz
zu einem neuen Bild zusammenfügen.

Womöglich ist das meiste frei erfunden,
was an der Schmerzdarstellung schön erscheint.
Die Kunst verbindet Punkte, keine Wunden,
obwohl das der Betrachter manchmal meint.

Die Kunst weiß keinen Schmerz der Welt zu stillen,
sie weiß ihn nur ästhetisch zu gestalten
und ihn in Bilderrahmen umzufüllen,
versehen mit dem Hinweis: „Abstand halten.“


Woher kommt das Gefühl (Kassel-Wilhelmshöhe)

(Lied)

Woher kommt das Gefühl von verlorener Zeit,
diese Leere und die Furcht vor der Sinnlosigkeit?
Warum habe ich Angst, dass ich heute von hier
nicht mehr wegkomm und im Leben den Anschluss verlier?

Jetzt stehe ich hier, weil ich nicht anders kann.
Es fühlt sich nach stetigem Abwarten an.
Ich frag mich, wieso mich ein Frösteln befällt,
als wär es das Zittern vor dem Ende der Welt.

Doch ich hoffe: Irgendwann bin auch ich wieder froh,
und verdräng den Gedanken, was wär, wenn ich flöhe.
Denn gewiss geht’s auch andern am Bahnhof hier so
in Kassel-Wilhelmshöhe.

Der Weg bis zum Bahnsteig führt überdies
nie hoch, nur hinunter – fast wie ins Verlies.
Ich merk, wie ich mich beim Gedanken ertapp:
Von nun an geht’s immer nur weiter bergab.

Ich fühl mich gestrandet, nur ohne den Strand,
Betonwüste zieht sich über Boden und Wand.
Und ein paar graue Herren verschmelzen damit,
als wär das der einzige sinnvolle Schritt.

Dann erneut dieses Frösteln – doch das ist schnell erklärt:
die Kälte kommt bloß von der zugigen Böe,
die täglich die Menschen am Bahnsteig durchfährt
in Kassel-Wilhelmshöhe.

Ob Sommer, ob Winter – was macht das schon aus,
denn selbst bei sporadischer Variation
der Temperaturen, des Lärms und des Graus
bleibt’s die bahnhofsgewordene Herbstdepression.

Woher kommt das Gefühl von verlorener Zeit?
Warum seh ich kaum Wege aus der Hilflosigkeit?
Der Grund dafür ist wohl, wenn man Marx’ Worte nimmt,
dass das Sein das Bewusstsein auch am Bahnhof bestimmt.

Ich kann mich inzwischen ja kaum noch erinnern,
was ich hier mache, und so fall ich im Innern
in ein gähnendes Loch, das viel Ähnlichkeit hat
mit dem Bahnhofsprojekt einer schwäbischen Stadt.

Doch ob das hier Zwischen- oder Endstation ist,
entscheidet sich erst, wenn ich bleib oder gehe.
Das sind Schicksalsmomente, die man niemals vergisst
in Kassel-Wilhelmshöhe.


Auf Augenhöhe

(Gedicht)

Ein reicher spricht zum armen Mann:
„Ich will mit dir nicht streiten.
Es kommt ja immer darauf an,
sich von verschied’nen Seiten

auf Augenhöhe anzunäh’rn,
um mögliche Krawalle
im Vorfeld mit Respekt zu klär’n,
denn Menschen sind wir alle.“

Der Arme lächelt ganz beseelt
und sagt alsdann zum Reichen:
„Wo immer Augenhöhe fehlt,
da setzen wir ein Zeichen,

indem wir reden – so wie jetzt.
Denn Hass wird nur vermieden,
wenn man sich gegenseitig schätzt.“
Der Reiche meint entschieden:

„Wie wahr. Wem nützt schon ein Konflikt?
Wir brauchen alle Ruhe.“
Der Arme stimmt ihm zu und nickt
und putzt ihm still die Schuhe.


Die Ballade vom Überreichen

(Gedicht)

Ein junger Mann – nicht irgendwer,
denn er war Multimilliardär –
mit Namen Marius C. Schmidt,
bezahlte jährlich seine Steuer,
doch war ihm keineswegs geheuer,
wie wenig er darunter litt.

Denn schon vor Jahren hatte ihm
ein kritisches Juristen-Team
geraten, Gelder zu verstecken,
bevor er sich in Kürze gräme,
dass ihm das Land fast alles nehme,
um so den Staatshaushalt zu decken.

Weil Schmidt jedoch schon auf der Matte
Juristen abgewimmelt hatte,
blieb sein Vermögen transparent.
Statt dass es aber – wie erwartet –
nun sank, war’s weiter ausgeartet
und wuchs und wuchs nur permanent.

Und ohne das verspürte Leiden
schien’s sinnlos, Steuern zu vermeiden –
im Gegenteil: Für Schmidt lag nah,
Vermögen stärker abzuschöpfen –
bloß gab es unter reichen Köpfen
fast keinen, der’s genau so sah.

Die Politik war offensichtlich
nicht sonderlich darauf erpicht, sich
auf dieses Thema einzulassen.
Aus diesem Grunde hatte Schmidt
beschlossen, sich im nächsten Schritt
ein Herz und einen Plan zu fassen:

Die Strategie dahinter war
recht simpel, einfach umsetzbar
und hieß vor allem: provozieren –
weil’s Schmidt nur folgerichtig schien,
man würde jemanden wie ihn
mit krassen Milliardärs-Allüren
dann nicht mehr länger ignorieren.

So schaffte sich der junge Mann
zunächst einmal Allüren an,
die kaum zu übersehen waren.
Zu diesen zählte eine Yacht,
verbunden mit dem Ziel, bei Nacht
Europas Flüsse abzufahren.

Und auf der Yacht stieg jederzeit –
besonders laut bei Dunkelheit –
die größte Party weit und breit,
wohin das fette Schiff auch kam.
Kein Ort, durch den es fuhr, verwehrte
der Yacht, dass sie dort laut verkehrte,
weil’s keinen Bürgermeister störte,
den Schmidt mit Spendengeld beehrte.
Die meisten nahmen’s ohne Scham.

Falls eine Brücke auf dem Fluss
den Weg versperrte, war nicht Schluss
mit diesen Partyfahrten, denn
dann ließ sie Schmidt ganz einfach sprengen
und rief: „Ich lass mich nicht beengen
von irgendwelchen Bauwerkzwängen!
Denn das ist, was ich Freiheit nenn!“

Und nicht nur das: Er kaufte sich
fast 160 Häuser – sprich:
ein ganzes Viertel einer Stadt
und schmiss danach aus jedem Haus
die Mietparteien einfach raus
und machte die Gebäude platt.

Er konnte tun und tat es auch
und sagte öffentlich: „Ich brauch
im Grunde nichts von alledem.
Es darf mir aber gern gehören,
dann kann ich’s mit Genuss zerstören.
Anscheinend ist das kein Problem.“

Gesetzlich war es das auch nicht,
doch sah sich Schmidt noch in der Pflicht,
die Ignoranz zu überwinden,
die ihm – ganz gleich, was er auch machte –
die Politik entgegenbrachte,
als würd sie gar nichts daran finden,

wenn jemand Reiches – so wie er –
ein Gegner des Gemeinwohls wär.
Und so beschloss er resigniert:
„Ab morgen werd ich einfach mein
Gesamtvermögen Schein für Schein
verbrennen, bis sich irgendein
Beamter dafür int’ressiert.“

Letztendlich ist ihm das gelungen.
Zwar hat man nie darauf gedrungen,
dass Schmidt den Unsinn lassen solle.
Doch seit sein Geld komplett verbrannt ist
und das auch längst dem Staat bekannt ist,
kriegt Schmidt von diesem nun das volle
Programm an Unterstützungsgeld,
das er jedoch nur dann erhält,
gibt Schmidt – das ist für ihn das Tolle –
dem Staat jetzt endlich mehr Kontrolle!


Schimmelbekämpfung

(Lied)

Alte Strukturen sind wie Schimmel im Haus:
Ist er erst einmal drin, kriegt man ihn kaum wieder raus,
und wenn, dann nur mit Mitteln, die in sämtlichen Welten
als ziemlich aggressiv oder giftig gelten.
Gegen alte Strukturen braucht man dann schon
etwas Krasses – zum Beispiel eine Revolution.
Und um das exemplarisch zu konkretisier’n,
woll’n wir das bei der katholischen Kirche probier’n.

Die Idee für den Umsturz ist im Grunde profan:
eine Priesterverbrennung im Vatikan.

Wir schlagen den Feind, wo er sich sicher fühlt,
weil’s ihn überrascht, wenn man dort auf ihn zielt –
und dann auch noch mit Mitteln, die er selbst gut kennt,
obwohl man hier freilich keine Hexen verbrennt.
Die indirekte Antwort auf die Inquisition
der Kirche kommt verspätet, doch ich beton:
Mit ihren Reaktionen auf menschliches Leid
lässt sich auch die Kirche gerne länger Zeit.

Vielleicht klingt es trotzdem nach Größenwahn,
die Priesterverbrennung im Vatikan.

Für die Umsetzung warten wir zunächst einmal
auf den Tod des Papstes und auf die Wahl
eines Nachfolgers, weil sich dann die Kardinäle
versammeln, damit man ihre Stimmen zähle.
Sobald sie die Sixtinische Kapelle betreten,
hilft den frommen alten Männern nur noch zu beten,
denn dort kommt keiner mehr lebend heraus,
bricht während der Papstwahl ein Feuer aus.

Das erscheint wie ein Unfall, läuft alles nach Plan
bei der Priesterverbrennung im Vatikan.

Draußen werden Menschen zur Kapelle zeigen,
sehen sie am Himmel schwarzen Rauch aufsteigen.
Nur leider werden alle viel zu spät erkennen,
dass da statt der Zettel die Wähler verbrennen.
Ist es vollbracht, fehlt einfach jeder Mann,
der – laut Regelwerk – den nächsten Papst wählen kann.
Und bekanntlich sind Hierarchien angezählt,
wenn die mächtigste politische Basis fehlt.

Somit ist ein Anfang vom Ende getan
mit der Priesterverbrennung im Vatikan.

Alte Strukturen sind wie Schimmel im Haus:
Ist er erst einmal drin, kriegt man ihn kaum wieder raus.
Aber zweierlei hilft: Mit frischer Luft nicht geizen
und, wenn die Türen zu sind, ordentlich heizen!


Vom lyrischen Ich

(Gedicht)

Die Kunst ist als solche nur dort existent,
wo jemand die Kunst auch als solche erkennt.
Und weil das so ist, muss es Künstlern gelingen,
ihr Publikum notfalls zur Einsicht zu zwingen,
dass ein Werk – sei es Darbietung, Wort oder Bild –
in betrachtenden Augen als „künstlerisch“ gilt.

Nun lässt sich fast alles zur Kunstform erheben,
man muss nur entsprechende Hinweise geben,
um dem Publikum unmissverständlich zu zeigen:
Das hier ist Kunst – und ihr dürft euch verneigen!

Um dies zu erreichen, genügt es bisweilen,
man gießt seine Texte in Verse statt Zeilen;
und bist du ein schreibender Künstler, so sprich
aus Worten nie selbst – lass ein lyrisches Ich
wie von fern aus gekünstelt-fantastischen Sphären
die Welt und sein eigenes Wesen erklären.
Mit dem lyrischen Ich wirft sich so das reale
Ich wie ein Maskenball-Tänzer in Schale,
wobei diese Schau nur mit Mühe verdeckt,
was hinter der lyrischen Ich-Maske steckt.

Doch gibt sich ein Künstler nur ungern die Blöße
zu sagen: Die Maske hat Feigenblattgröße.
Stattdessen behauptet sein Ich permanent:
Sobald man reales und lyrisches trennt,
entsteht in Gesängen, Gedichten und Oden
ganz automatisch ein doppelter Boden.

Auf diesem Konstrukt können Künstler in Zeiten
des eigenen Ruhms wie auf Schleimspuren gleiten.
Oder gleiten sie eher dahin wie auf Eis?
Erspar’n wir uns doppelte Boden-Details!

Wer Eis, das so dünn ist, dass dieses leicht bricht,
als doppelten Boden bezeichnet, hat schlicht
ignoriert, dass das Wässrige unter der Schicht
aus Eis zwar sehr breit ist – doch fest ist es nicht.
Denn verwässerter Boden ist höchstens Morast –
und fehlt ihm Substanz, trägt er nicht einmal fast.

Aber was lässt sich jetzt für die Kunst daraus schließen?
Soll man vielleicht Alter Egos erschießen?
Wer Antworten sucht, fragt am besten nicht mich,
sondern, wenn überhaupt, nur mein Lyrisches Ich.


Kein Weltuntergang

(Lied)

Mild ist der Abend und der Himmel ist längst
in wärmende Röte getaucht.
Ich spür, was Du fühlst und ich ahn, was Du denkst,
der Moment ist perfekt und es braucht
nur noch Wein und zwei Gläser und dann einen Kuss,
vielleicht aus der Ferne zwei Geigen.
Hier gibt es nur uns und noch nicht mal ‘nen Bus
in Brandenburgs friedlichem Schweigen.

Wir atmen die Freiheit, die Luft auf dem Land,
bloß Letztere riecht heute etwas verbrannt.
Doch für unsern Moment ist das nicht von Belang.
Es ist ja kein Weltuntergang.

Ach, diese Weite und nirgends ein Zaun!
Die Wiese liegt farblich im Trend
des politischen Klimas: kaum Grün und viel Braun,
sodass es hier schneller mal brennt.
Und nicht nur in uns ist ein Feuer entfacht,
gleich hinter dem Horizont sorgen
die flammenden Wälder auch nach Mitternacht
für purpurnes Licht bis zum Morgen.

Wir atmen die Freiheit, die Luft auf dem Land,
bloß Letztere riecht heute etwas verbrannt.
Doch für unsern Moment ist das nicht von Belang.
Es ist nur ein Walduntergang.

Wir sind schon ganz lüstern,
wir spüren es knistern
und lassen uns davon betören,
dass wir beim Berühr’n
das Knistern nur spür’n
und es noch lange nicht hören.

Wir atmen die Freiheit, die Luft auf dem Land,
bloß Letztere riecht heute etwas verbrannt.
Doch wissen wir beide, dass nichts uns vertreibt,
solange der Walduntergang
hinter dem Horizont bleibt.


Zahleninterpretation

(Gedicht)

Ein Ökonom mit einem Hang
zu Artenschutz und Klimarettung
erklärte dem Konzernchef lang
die unvermeidliche Verkettung

verschiedener Naturprozesse:
Was unser Leben möglich mache –
ob man nun atme, trinke, esse –,
das sei ja nur die eine Sache,

es gebe aber noch viel mehr,
womit uns die Natur versorgen
und helfen würde nebenher –
nur bleibe einiges verborgen.

Doch machte man das alles sichtbar,
so würde bei der Umwelt hieb-
und stichfest das Gesamtgewicht klar
als großer Dienstleistungsbetrieb.

Und was die kühlen Klimazonen,
die Artenvielfalt, ihr Gedeihen
uns brächten, sollte man betonen:
In Dollar umgerechnet seien
das etwa 200 Billionen.

Die Zahl des Ökonomen saß –
und der Konzernchef rief erschrocken:
„Das nenn ich einen teuren Spaß,
wenn wir nur tatenlos hier hocken

und keine Lösungswege wagen
in dieser Krisenzeit, anstatt
die Monopole zu zerschlagen,
die unsre Umwelt innehat!

Das Zeug, mit dem uns die Natur
bis heute immer gratis stärkte,
braucht Konkurrenz auf weiter Flur!
So schaffen wir Billionen-Märkte!

Der ganze Umweltdienst entspricht
Milliarden neuer Arbeitsplätze!“
Dem anderen gelang es nicht,
noch mal von Neuem anzusetzen,

um dem Konzernchef zu erklären,
woran die Märkte-Logik litt.
Er ließ sein Bauchgefühl gewähren,
statt diesen Typen zu belehren …
Doch was wär jetzt der nächste Schritt … ?

Anmerkung: Der alternative Gedichtabschluss
Er gab ihm einfach einen Tritt
und dreiundzwanzig Schläge mit.

hat sich als weder sinnvoll noch zielführend erwiesen.


Das Wahllokal in meiner alten Schule

(Lied)

Der Direktor stellt die Urnen auf, da kommen gleich die Zettel rein.
Für die Wahl zum neuen Bundestag will man gut vorbereitet sein.
Der Chef ist selbst im Einsatz, weil er sagt, dass sich das lohnt,
denn Mitbestimmung sei ihm wichtig, wie er heut betont.
Vergessen ist das Sommerfest, das er zuletzt verbat,
auch sein ignoranter Umgang mit dem neuen Schülerrat
spielen heute keine Rolle mehr, solang die Bürger wähl’n,
weil diesmal ausnahmsweise alle Stimmen zähl’n.

Alle vier Jahre wird meine alte Schule
zum gutbesuchten Wahllokal.
Einen Tag lang herrscht dann die Demokratie,
an den andern Tagen nicht einmal formal.

Zur Wahl von einer Richtung sind die Bürger angehalten:
Wie woll’n wir die Gesellschaft, unser Umfeld gern gestalten?
Nur in den Räumen mit den kahlen Wänden, wo jetzt die
Wahlkabinen stehen, bleibt das graue Theorie.
Zwei Schüler sind mit Eltern da, die heute wählen geh’n.
Sie dürfen das Prozedere von Außen einmal seh’n,
wenn man die Erwachsenen im Gegensatz zum Rest
der Schulbesucher über ihre Zukunft entscheiden lässt.

Alle vier Jahre wird meine alte Schule
zum gutbesuchten Wahllokal.
Einen Tag lang herrscht dann die Demokratie,
an den andern Tagen nicht einmal formal.

Ein Referendar hilft ebenfalls bei der Organisation,
denn Rahmenbedingungen einzuhalten kennt er schließlich schon
aus seinem Arbeitsalltag, der nur so flexibel ist
wie die Prüfkriterien und die nächste Frist.
Er fragte sich gern häufiger: Auf welche Weise hol
ich Schüler ganz authentisch ab? Wann fühlen sie sich wohl?
Wie kann ich sie begeistern? Was möchte ich erzähl’n?
Doch den Rahmen dafür durfte er nie wähl’n.

Alle vier Jahre wird meine alte Schule
zum gutbesuchten Wahllokal.
Einen Tag lang herrscht dann die Demokratie,
an den andern Tagen ist sie scheißegal.

Aber einen Sonntag lang lieben alle das Wahlprinzip,
als gäbe es kurz ein Schlachtverbot in einem Mastbetrieb,
als wär im Fußballstadion ein netter Umgang plötzlich schick,
als führte man ein Friedensgespräch in der Sturmgewehrfabrik.

Alle vier Jahre wird meine alte Schule
zum gutbesuchten Wahllokal.
Einen Tag lang herrscht dann die Demokratie,
an den andern Tagen … lalalalala.

Alle vier Jahre macht meine alte Schule
um 18 Uhr mit dem Wählen Schluss.
Beim nächste Mal mache ich mein Kreuz per Brief,
damit ich dieses Trauerspiel nicht mitansehen muss.


Nach dem Durchbruch

(Gedicht)

Und wenn wir nach dem Durchbruch plötzlich sehen,
dass auf der andern Seite Menschen stehen,
mit denen wir da nicht gerechnet hatten,
und diese nicht bekämpfen und verletzen,
um ihre Seite auch noch zu besetzen,
dann könnten wir einander mal gestatten,

uns auf die andre Seite einzulassen,
statt sie an unser Denken anzupassen,
wodurch sich – überwinden wir die Scheu –
der Raum vergrößert, wenn die Grenze fällt.
Und dann erobern wir nicht bloß die Welt –
wir schaffen sie ab jetzt gemeinsam neu.