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Allein unter Menschen

Inhalt

ALLEIN UNTER MENSCHEN

Das Kabarettprogramm “Allein unter Menschen” hatte im Mai 2009 in Wuppertal Premiere. Da sich Programme im Laufe der Zeit weiterentwickeln, können sich einzelne Formulierungen sowie Umfang und Reihenfolge der Beiträge von Auftritt zu Auftritt unterscheiden. Insbesondere bei diesem ersten Soloprogramm wurden immer wieder Nummern ausgetauscht, die hier der Vollständigkeit halber alle gelistet sind, obwohl sie zum Teil nicht am selben Abend gespielt wurden.

Eine Auswahl an ungereimten Texten aus dem Programm findet sich hier.

Erster Teil

1.1. Erste Bühnenverse

Die Bretter und die Welt

(Gedicht)

Die Bretter, die die Welt bedeuten,
sind nichts als bloße Unterlagen.
Sie steh’n bereit, um vor den Leuten
ein Stück zu stützen und zu tragen.

Begrenzt sind Lachen, Liebe, List
allein durch einen Bühnenrand.
Selbst wenn das schwer erträglich ist –
die Bretter halten tapfer stand.

Dem Publikum wird viel geboten
und theatralisch präsentiert:
Komödien mit frechen Zoten,
Balladen, sauber rezitiert,

ein Held steigt auf und stürzt dann wieder,
ein Liebesglück bleibt unerfüllt,
es reihen Dramen sich an Lieder,
bis jede Bühne überquillt.

Was sich im Geist der Menschen regt,
will irgendwann auf diese Bretter.
Ein Künstler wünscht, dass er bewegt
und stellt sich gerne neben Götter.

Ja, was soll Kunst denn and’res sein,
als eig’ne Schöpfung zu betreiben?
Vergänglich ist der schön Schein,
auf Bühnen darf er länger bleiben.

Doch was geschäh, wenn Schöpfergeister
darauf bedacht wär’n abzubilden,
was ohne Puder, Schmuck und Kleister
entfernt von künstlichen Gefilden?

Und wenn sie sagten: „Heute zeigen
wir euch, was draußen alles los ist
und werden Übles nicht verschweigen,
weil unser Ärger längst zu groß ist!“

Wie würden Menschen reagieren,
wär das Szenario real?
Würd man nicht länger inszenieren,
Wär purer Alltag zu brutal?

Und wenn man alles niedermähte
und alle Spieler auf der Bühne
vor Publikum erschießen täte –
verzöge jemand eine Miene?

Man könnte alle Bretter sprengen
und einen Teil vom Schauspielhaus –
trotz allem gäb es von den Rängen
am Ende ganz normal Applaus.

Dann würden sich die Reihen lichten,
die Toten blieben einfach liegen,
die Presse würde kurz berichten:
„Das Abendstück war recht gediegen.“

Und keine Spur von Schock-Effekt.
Wer glaubt schon, dass der Wahrheitskern
sich nicht mehr länger gut versteckt?
Den meisten Menschen liegt das fern.

Die Bretter, die die Welt bedeuten,
sind nichts als eine andre Welt.
Denn wie erklärte man den Leuten:
Hier wird die Wahrheit dargestellt?


Lobgesang auf Wuppertal

(Lied)

Ich will als Lobgesang-Verfasser
eine Stadt besonders loben:
Wuppertal, du schwimmst ganz oben
wie ein Fettfilm auf dem Wasser!
Statt wichtig bist du nur egal.
Das sagt fast jeder, der hier lief lang.
Mancher meint, du hättest Tiefgang,
aber du bist nur ein Tal.

Du bist für eine Bahn bekannt,
die kann hier übers Wasser schweben.
Als Fahrgast kannst du viel erleben,
bist du nicht grad ein Elefant.
Du warst mal ein Fabriken-Loch,
man hat im Fluss Textil geblichen.
Die Stoffe sind schon längst gewichen,
bleich sind die Menschen immer noch.

Wer die Stadt schon länger kennt,
nimmt den Wetter-Vorteil wahr:
Es regnet nur einmal im Jahr,
dafür aber permanent.

Der Wuppertaler allgemein
kennt Farben nur aus andern Städten.
Die Maler haben Farbpaletten
mit schwarz und grau. Mehr muss nicht sein.
Wie Eskimos fürs Schneegewühl
zig Bezeichnungen verwenden,
ist sicher, Wuppertaler fänden
für Regen ganz genauso viel.

Um Wuppertal herum ist’s grün,
bemerken Optimisten gleich,
da gibt’s ein großes Pflanzenreich.
Es will nur in der Stadt nicht blühn.
Na ja, wir haben uns doch längst
mit diesem Zustand abgefunden.
Du hast es ziemlich schnell verwunden,
wenn du einfach mal bedenkst:

Was wär das Weiß, wenn’s Schwarz nicht wär,
was wäre voll, wär’s niemals leer,
was stiege auf, könnt es nicht sinken,
was würde duften, könnt’s nicht stinken?
Tage gibt’s nur dank der Nacht,
Ruhe kennt man, weil’s mal kracht.
Streit und Frieden, Freude, Wut,
Schmerz, Entspannung, böse, gut –
ganz egal, es muss im Leben
zu allem Kontrapunkte geben.
Vielleicht klingt das jetzt zu banal,
doch kann man sich ans Wupper-Tal
aus einem Grunde leicht gewöhnen:
Es ist der Kontrapunkt zum Schönen!


Deutscher Stolz

(Gedicht)

Ein Deutscher sprach mit stolz geschwellter Brust:
„Wir tragen täglich kiloweise Kohlen!
Wir haben viel geforscht und viel gewusst
und auch geschafft, den Oscar uns zu holen!

Von uns stammt Chemisches wie Aspirin,
wir haben erste Autos hier gebaut,
entdeckten Neues in der Medizin …
Ach, vieles hat sich bei uns angestaut!

Ein Komponist wie Bach schuf hier sein Werk,
wir pflegen seit Jahrhunderten Kultur,
die Zugspitz’ ist ein wahrlich hoher Berg
und Goethe hinterließ hier seine Spur.

Nicht zu vergessen sind Papst Benedikt
und Martin Luther – beides deutsche Männer!
Und Fußballsiege sind uns oft geglückt
und Deutsche sind beim Stichwort Bier die Kenner.

Wir hatten Nietzsche, Schopenhauer, Kant,
Marlene Dietrich und den Götz George,
wir tragen dieses wunderbare Land
und für die großen Dinge auch die Sorge.“

All das erzählte jener Deutsche lang,
er sprach von „wir“ und fühlte sich als Held,
sobald ein Landsmann einen Sieg errang.
Nur eins verschwieg der Deutsche vor der Welt:
Er selbst war beim Finanzamt angestellt.


Charakterfrage

(Gedicht)

Es hieß, er sei ein falscher Hund,
ihm zuzuhör’n, sei ungesund,
er gehe gerne über Leichen,
um seine Ziele zu erreichen,
betreibe ständig Korruption,
behandle jeden Mann mit Hohn,
sei hinterhältig, ein Gelackter,
und wirklich schlecht sei sein Charakter.
Doch Letzteres lässt sich verneinen:
Er hatte nämlich keinen.


Hoffnungslos

(Gedicht)

Du läufst im Dunkeln ganz allein
und suchst nach dem berühmten Licht,
das soll am Tunnelende sein –
doch leider findest du es nicht.

Bald stößt du gegen eine Wand,
die hier im Tunnel auf dich lauert
und hast mit einem Mal erkannt:
Man hat den Ausgang zugemauert!


1.2. Und jetzt zur Politik

Ansprache der Notleidenden

(Gedicht)

Wir hocken nicht am Straßenrand
und leiden dennoch große Not.
Wir haben nichts mehr in der Hand,
jetzt ist die Existenz bedroht.

Selbst dieses „Nichts“ scheint übertrieben!
Inzwischen liegen wir darunter
und nur ein Minus ist geblieben.
Wir geh’n mit Mann und Mäusen unter!

Das dürft ihr nicht geschehen lassen!
Wir fleh’n euch unter Tränen an!
Füllt euren Brüdern ihre Kassen!
Der große braucht den kleinen Mann!

Und ihr braucht uns, wollt ihr was leihen,
auch Dinge, die nicht existieren.
Ihr solltet ab und zu verzeihen,
wenn wir den Überblick verlieren.

Wir haben euch so viel gegeben –
ja quasi alles, wie ihr wisst;
vielleicht mal abgeseh’n vom Leben
(obwohl das nicht ganz sicher ist).

So lässt sich kaum der Schluss vermeiden:
Ihr seid verpflichtet, uns zu danken!
Das stärkt das Ego, wenn wir leiden.
Euch hilft nur das, was hilft den Banken.

Was legt ihr denn den Kopf so schief,
als wär’n wir gar nicht mehr zu retten?
Das Wörtchen „Not“ ist relativ:
Wir haben nicht, was wir gern hätten.


Der Sonntagsspaziergang

(Lied)

Herr Klein, ein großer Optimist,
traf sonntags beim Spazierengehen
den alten Nachbarn Friedrich List.
Es freute ihn das Wiedersehen.

Doch Friedrich List sah grimmig drein.
Der and’re fragte: „Geht’s dir gut?“
Die Antwort war ein klares „Nein,
mir fehlt seit kurzem Lebensmut.“

„Das wunderte mich. Was ist der Grund?“
so sprach Herr Klein. Er war erstaunt.
„Du warst doch immer kerngesund,
du wirktest froh und gut gelaunt.“

Der Nachbar schüttelte den Kopf
und sagte: „Das ist längst vorbei.
Ich bin ein armer alter Tropf
und bin auch nichts mehr schuldenfrei.“

„Das haut mich wirklich nicht von Hocker“,
gab Klein zurück. „Auch ich hab Schulden.
Ich seh das alles gerne locker,
denn vieles muss der Mensch erdulden.“

Da lachte Friedrich List gequält
und sagte leise: „Du bist dumm.
Hast du die Zinsen je gezählt?
Dein Schuldenberg bringt dich noch um!“

Herrn Klein, dem wurde plötzlich klar:
sein alter Nachbar hatte Recht,
dass hilflos seine Lage war;
es ging ihm finanziell sehr schlecht.

„Das Leben ist ein großes Spiel“,
fuhr List laut fort, „man wird geboren
und will, wie jeder Mensch, zum Ziel.
Wir beide haben schon verloren.“

Der andre seufzte mehrmals tief,
verabschiedete sich auch bald,
und als er dann nach Hause lief,
war ihm auf einmal ziemlich kalt.

Herr Klein ging mit gesenktem Blick
und einem Kopf voll schlimmer Dinge
nach Hause, nahm sich einen Strick
und formte eine große Schlinge.

Am nächsten Tag schnitt man ihn los,
als Leiche, die am Seile hing.
Warum erhängte er sich bloß?
Weil sonntags er spazieren ging?

Anmerkung:
Auch Nachbarn werden schnell zu Mördern,
wenn Sie den Pessimismus fördern.


Ausflug ins Atomkraftwerk

(Lied)

Herr Walter war Lehrer für Chemie und Physik
und verkündete seiner Klasse erfreut:
„Kinder, was habt Ihr für ein Glück:
Wir machen einen Ausflug heut!
Ein Schüler rief laut: „Das wird ein Knaller!“
und wenig später saßen sie im Bus
nach Brunsbüttel und zur Freude aller
war dieses fröhliche Lied ein Muss:

Steigt ein, steigt ein, jetzt geht es los,
durch die Straßen, übern Berg.
Hey, da ist die Freude groß,
wir fahren ins Atomkraftwerk!

Das Gebäude war von außen halb zerfallen,
als wär’s vom Aussterben bedroht.
Die historische Fassade gefiel gleich allen,
auf einem Schild stand: „Rauchverbot“.
Dennoch war die Besichtigung top,
denn die Schüler fanden in der Tat
in einem kleinen Souvenir-Shop
noch Brennstäbe im Mini-Format.

Steigt ein, steigt ein, jetzt geht es los,
durch die Straßen, übern Berg.
Hey, da ist die Freude groß,
wir fahren ins Atomkraftwerk!

Die Kinder liefen fröhlich über das Gelände,
ein Abenteuerspielplatz bot sich hier.
Sie erklommen hohe, beschmierte Wände,
in diesem Energie-Revier.
Ein paar Jungs gingen schwimmen am nahen See,
das Wasser am Kraftwerk war angenehm warm.
Peters Asthma war danach passé
und Felix wuchs ein dritter Arm.

Steigt ein, steigt ein, jetzt geht es los,
durch die Straßen, übern Berg.
Hey, da ist die Freude groß,
wir fahren ins Atomkraftwerk!

Seit diesem Ausflug weht ein völlig neuer Wind.
Begeistert erzählt davon noch heute jedes Kind.
Du musst mit deinen Kleinen also nur ins Kraftwerk geh’n,
um sie – wie sonst selten – so strahlend zu seh’n;
weshalb man auf den Demos vor jedem Kraftwerk liest:
„Denkt an unsre Kinder, bevor ihr alle schließt!“


Konservativ

(Gedicht)

Ein Mensch verschiebt mal gern die Zeit
und lebt in der Vergangenheit.
Das, was er liebte an dem Alten,
will er für immer sich erhalten
und glaubt, es werde lange leben,
setzt er bewachend sich daneben.
Doch plötzlich hört er vor der Tür:
„Ich bin die Zukunft! Öffne mir!“
Aus Angst lässt er sie nicht herein –
da bricht sie einfach selber ein.
Er ist darauf nicht vorbereitet,
weil ihn Vergangenes noch leitet,
sodass ihm rasch der Atem stockt,
vom Zukunftsanblick sehr geschockt.
Zu plötzlich stand sie jetzt im Raum,
Erholung bleibt dem Menschen kaum,
es fehlte – deshalb auch der Schreck –
ein Übergang zu diesem Zweck.
So geht es jedem, der erkennt:
er hat die Gegenwart verpennt.


Das Lied vom Gesetz

(Gedicht)

Fest gemauert in der Erde
steht die Form für ein Gesetz.
Jeder Bürger hofft, dies werde
gut für das soziale Netz.
In die Politik fließe viel Geschick;
stolz will man das Werk vollenden,
Segen kommt vom Präsidenten.

Im Werke, das wir ernst bereiten,
steckt große Zukunft für das Land;
wenn hübsche Phrasen es begleiten,
klingt selbst das Dümmste elegant.
So lasst uns motiviert betrachten,
wohin uns Interessen tragen!
Doch muss man auch Minister achten,
die gar nicht wissen, was sie sagen.
Denn was den Menschen wirklich zieret,
sind weder Denken noch Verstand,
es kommt drauf an, dass er regieret,
ganz selbstbewusst mit starker Hand!

Nehmt Worte, die nach Freiheit klingen,
sie sollten aber trocken sein!
Und um das Werke zu vollbringen,
schmeißt alles, was ihr wollt, hinein!
Kocht mit vielen Köchen
Brei und gebt Versprechen,
dass die Paragraphenspeise
fließe nach des Rechtes Weise.

Was man im Ausschuss überlegt,
im kleinen Kreis, dem Kabinett,
schon bald ein ganzes Volk bewegt,
sind die Gesetze erst komplett.
So werden sie an allen Tagen
die Menschen auf den Wegen lenken
und schlimmstenfalls die Bürger schlagen,
wenn diese eigenständig denken.
Wer unten steht, dem sei zu raten,
in Disziplin sich zu erproben!
Vom Bürger kann man ja erwarten:
Er hört auf das, was kommt von oben!

Blubberblasen sieht man springen,
die Gesetze sind im Fluss.
Lasst’s mit Fachjargon durchdringen,
zeigt es ruhig im Überfluss.
Frei von Widersprüchen,
rein und abgeglichen
seien nun die Paragraphen,
jeder Einwand ist zu strafen!

So hat man schließlich die Gesetze
und wartet auf den schönen Klang,
man wünscht, dass niemand sie verletze
und spürt schon einen Neuanfang.
Die Macher stehen stolz daneben,
das Interessenspektrum klein,
und hauchen den Gesetzen Leben
zum Wohle aller Bürger ein.
Doch das klingt schwach und nicht sehr echt.
Hier ist wohl etwas schief gelaufen.
Denn als vernünftig und gerecht
lässt sich das Ganze nicht verkaufen.

Ein Minister meint zu wissen,
bloß die Form sei Schuld daran,
und behauptet ganz beflissen,
Hohlraum brächte bess’ren Klang.
Alle Bürger fragen,
wo die Fehler lagen.
Drum bedenkt vor jeder Wahl:
Liegt’s vielleicht am Mat’rial?


1.3. In der Welt unterwegs

Bahnprobleme

(Gedicht)

Der Dirk, ein Mensch mit Arbeitsplan,
vertraute auf die Deutsche Bahn,
was er – wie viele andre Leute –
nach langer Wartezeit bereute.

Denn wenn der Job am Morgen rief,
geriet der Dirk ins Stimmungstief
und stand am Bahnsteig auf dem Schlauch
und sich die Beine in den Bauch.

Zwar waren wenige Minuten
an Wartezeit noch zuzumuten,
doch stellte sich recht bald heraus:
Es ging darüber weit hinaus,

weshalb er immer mit den Letzten
bei seinem werten Vorgesetzten
am Morgen im Büro sich zeigte
und somit mancherlei vergeigte.

Dem Chef lag viel an Pünktlichkeit,
drum ging’s ihm irgendwann zu weit,
dass Dirk zu spät zur Arbeit kam,
oft hieß es: „Sie sind viel zu lahm!“

Dirk nahm das als Beleidigung
und sagte zur Verteidigung:
„Die Bahn ist wieder einmal Schuld,
ich bitte Sie um mehr Geduld!“

Doch weil sein Chef es besser wusste,
kam schließlich das, was kommen musste:
Der Arbeitgeber – angesäuert –
bemerkte knapp: „Sie sind gefeuert!“

Dirks Ärger war entsprechend groß,
jetzt saß er nämlich arbeitslos
und ohne jeden Zukunftsplan
am Straßenrand – dank Deutscher Bahn.

Er wollt sich nicht geschlagen geben,
doch ihm verging die Lust am Leben,
und so beschloss er eines Tages:
„Was hab ich zu verlier’n? Ich wag es!

Mit Würde will ich hier versprechen,
oh Deutsche Bahn, ich werd mich rächen
für die Verspätung jeder Reise:
Ich schmeiß mich morgen auf die Gleise!“

Gesagt, getan. Es war genug.
Er suchte sich den nächsten Zug.
Vollendet wurde die Idee
vor einem Kölner ICE.

Aufgrund des kleinen Zwischenfalls
(das Rollen über einen Hals)
gab’s Hürden im Betriebsablauf,
die fielen durch Verspätung auf.

Und so begann der Spaß von vorn –
bei andern Chefs, mit gleichem Zorn;
Verspätung wollte keinem passen
und mancher wurd wie Dirk entlassen;

die meisten Arbeitnehmer sah’n
als Sündenbock die Deutsche Bahn
und wollten Rachepläne schmieden
in Form von Schienen-Suiziden;

der Tod auf Schienen wiederum
schmiss jeden guten Zeitplan um,
den Arbeitgebern wurd’s zu viel …
Na ja, ihr kennt das alte Spiel.

Anmerkung:
Wirfst du dich irgendwann aufs Gleis,
bedenk zuvor den Teufelskreis.


Ein Zugerlebnis

(Gedicht)

Ich habe neulich – Samstag ist’s gewesen –
bei einer Fahrt im Zug ein Buch gelesen,
doch konnte ich mich kaum drauf konzentrieren.
Denn gegenüber saß – vier Jahre alt –
ein Mädchen, dem mein Interesse galt,
das wollt’ ich aus den Augen nicht verlieren.

Es hatte eine Puppe auf dem Schoß
(so um die 80 Zentimeter groß),
die schimpfte dieses Mädchen ständig aus.
Dann rief es: „Sitz jetzt endlich mal gerade!
Erzieh’ ich dich umsonst? Das wäre schade.
Und heul nicht rum! Sonst schmeiß ich dich gleich raus!“

Die Mutter dieses Mädchens saß daneben
mit steifem Blick, die Augen ohne Leben,
und hielt das alles scheinbar für normal.
Das Töchterchen kam gar nicht mehr zur Ruhe
und sagte zu der Puppe: „Deine Schuhe
sind ja noch offen! Ist dir das egal?!“

Danach ging’s weiter: „Sei mal endlich still!
Hör bitte auf mit dem ‘Ich will, ich will’!
Und gaff nicht rum – wir sind hier nicht im Zoo!
Lass diese elend blöde Mitleidsnummer!
Du machst der Mama heute nix als Kummer!“
Und dann gab’s Schläge auf den Puppen-Po.

Ich legte irgendwann mein Buch beiseite
(was ich im Übrigen schon bald bereute)
und bat, dem Mädchen freundlich zugewandt:
„Spring nicht so hart mit deiner Puppe um.
Die Kleine ist doch sicherlich nicht dumm.
Jetzt streichle ihr zum Troste mal die Hand.“

Ich habe leider erst zu spät begriffen:
Das hätte ich mir lieber mal verkniffen.
Schon starrte mich das Mädchen wütend an
und sprach: „Wie gut, dass Sie von meinem Kind,
das ich erziehe, nicht der Vater sind.
Für so was braucht man keinen schwachen Mann.“

Bis dahin hatte ich es noch ertragen.
Nun stand ich auf. Mir blieb nichts mehr zu sagen.
Ich wollte nur noch weg von diesen Faxen.
Normalerweise mag ich Kinder sehr,
doch solche Fälle sind für mich zu schwer.
Das Mädchen war mir nämlich zu erwachsen.


Der PS-König

(Gedicht)

Wer rast noch so spät durch Nacht und Winde?
Es ist Kurt-Kevin mit seiner Sieglinde.
Er hält das Lenkrad gar fest in den Händen,
der Porsche saust fort und die Fahrt will nicht enden.

„Sieglinde, was birgst du so bang dein Gesicht?“
„Kurt-Kevin, ach siehst du den Blitzer denn nicht?
Den Blitzer – und schau: Hier ist 30er-Zone!“
„Das interessiert mich, mein Schatz, nicht die Bohne.“

Er hat für Bedenken im Hirn keinen Platz,
für ihn ist die Fahrt ein Orgasmus-Ersatz.
Vielmehr noch: Er fühlt sich im Rasen bestärkt.
Doch bald wird der Porsche von Dritten bemerkt.

„Kurt-Kevin, Kurt-Kevin, und hörest du nicht:
Sirenen ertönen mit hellblauem Licht!“
„Beruhige dich endlich, oh hübsche Sieglinde,
wir kümmern uns nicht um das Bullen-Gesinde!“

Kurt-Kevin bleibt cool und er äußert vulgär:
„Der Wagen gibt viel – nur mein Schwanz gibt noch mehr!“
Zwar ist’s (unter uns) eine faustdicke Lüge,
doch stecken im Irren stets menschliche Züge.

Es geht immer weiter, sie rasen im Nu
auf einen niedrigen Tunnelbau zu.
Sieglinde mit kreischender Stimme jetzt spricht:
„Kurt-Kevin, das passt von der Höhe her nicht!“

Die Decke des Tunnels den Ausruf beweist,
indem sie das Dach von dem Wagen nun reißt.
Kurt-Kevin jedoch weiß an Lob nicht zu sparen:
„Ich wollte schon immer ein Cabrio fahren.“

Dem Mädchen wird schlecht bei der Fahrt durch die Nacht,
denn ihr hat das Rasen nur wenig gebracht.
Sieglinde ist grün, doch die Ampel zeigt rot;
Kurt-Kevin folgt somit dem Hirn in den Tod.


Ergebnisloses Gespräch

(Gedicht)

Ich unterhalte mich im Bus ganz gern,
drum fragte ich dort gestern einen Herrn,
was er, mit einem Seitenblick aufs Alte,
vom großen, hochgelobten Goethe halte.
Nur eine kurze Antwort gab er mir:
„Verzeihen Sie, ich komme nicht von hier.“


Bus-Beobachtungen

(Gedicht)

Man kann bei einer langen Fahrt im Bus,
anstatt gelangweilt vor sich hin zu stieren,
die Zeitgenossen – das ist fast ein Muss –
in aller Ruhe endlich mal studieren.

Ganz vorne sitzt ein Mann mit tiefen Falten
und ernsten, strengen Zügen im Gesicht.
Was soll man bloß von dieser Miene halten?
Eventuell reicht seine Rente nicht …

Er hat nun vor, zum großen Park zu fahren.
Dort steht die Bank, auf der er immer sitzt.
Ich glaub, er fährt die Strecke schon seit Jahren
und weiß wohl selbst nicht, ob ihm das was nützt.

Dahinter sitzen, cool und jugendlich,
drei Jungen, welche von Computern sprechen.
Den Alten stört das, so vermute ich.
Er wirkt, als würd er gern Bill Gates erstechen.

Ein Junge hält ein Handy in der Hand,
probiert die neu’sten Klingeltöne aus.
Die Jugendlichen sind mir längst bekannt.
Sie fahren von der Schule grad nach Haus.

Nicht weit davon sitzt – wie ich sehen kann –
ein Fräulein, stark geschminkt, mit blondem Haar.
Die Zunge steckt im Hals von einem Mann,
der letzte Woche noch ein andrer war.

Das Mädchen fährt sehr oft – soweit ich weiß –
mit einem Kerl zum Shoppen in die Stadt.
Auf neue Schuhe ist sie nämlich heiß.
Doch selbst dafür zu zahlen hat sie satt.

Ein Herr im Anzug ist besonders schick
gekleidet. Seine Armbanduhr zeigt drei.
Jetzt fährt er in die Firma wohl zurück.
Denn seine Mittagspause ist vorbei.

Führ man am nächsten Tag um diese Zeit
die gleiche Strecke, säh’s kaum anders aus.
Erlebt man’s einmal, weiß man schon Bescheid.
Der Alltag wiederholt sich ohne Paus.

So seh ich das und frag mich dann und wann:
Wo endet für die Leute diese Reise?
Es gibt kein Ziel. Sie kommen niemals an.
Wer hier im Bus fährt, der fährt meist im Kreise.


Hoher Besuch

(Gedicht)

Der Herr geht in der weiten Welt
ganz gern spazieren und gesellt
sich zu den Menschen, die er schuf.
Er isst und trinkt und lacht mit diesen,
steht ihnen bei in manchen Krisen,
wie auch in Alltag und Beruf.

So kommt er zwischendurch nach Rom
(zum großen Platz am Petersdom),
besucht die Papstaudienz im Freien,
sieht all das Gold und all die Pracht
und wie die Kirche sich so macht
mit Priestern, Geistlichen und Laien.

Getümmel gibt’s da immer wieder
und alte religiöse Lieder
und Rosenkränze auch en masse.
Und während hier so mancher singt,
steht Gott, von Pilgern eng umringt,
dazwischen und besieht sich das.

Die Menschen jubeln hier in Scharen.
Der Papst kommt schließlich angefahren
in einer schwarzen Limousine.
Von dort aus steigt er unversehrt
dann auf ein weiteres Gefährt
und zeigt die würdevollste Miene.

Im neuen Wagen bringt man ihn
zu einem großen Baldachin,
der eine Bühne überdacht.
Ein Haufen Priester steht da schon,
genauso wie des Papstes Thron,
von Schweizer Narren gut bewacht.

Der Papst spricht schließlich ein Gebet
(er wirkt wie eine Majestät)
und rasch wird alles um ihn leiser.
Der Herr – er steht noch im Gedränge –
wird selbst nun Zeuge, wie die Menge
den Papst verehrt wie einen Kaiser.

Die gleiche Show – mit Schall und Rauch –
gab’s bei den letzten Malen auch.
Gott wird gepriesen und geehrt,
man wünscht: „Schenk uns Bescheidenheit!“
Und jeden Tag zur gleichen Zeit sieht Gott:
Hier läuft so viel verkehrt …

Denn wohl ist ihm bei all dem nicht,
er mag es nämlich lieber schlicht.
Den Prunk hat er ja stets verneint.
Und predigt jener Mann in Weiß,
so fragt der Herr im Innern leis:
„Ist hier ein andrer Gott gemeint?“


Heilige Nacht

(Gedicht)

Am ersten Weihnachtsfeiertag betrat
der Herrgott schwankend, völlig sturzbetrunken
(als hätte man ihn dort hereingewunken),
den Kölner Dom bei minus sieben Grad.

Er stolperte durchs offne Kirchentor,
als wäre er hier völlig fehl am Platze.
Auf einer Mauer hockte eine Katze,
die leis miaute und die sichtlich fror.

Dem Kätzchen warf er seine Jacke über,
dann wankte er gleich weiter zum Altar,
wo eine Krippe aufbereitet war,
und leuchtend stand ein Plastikstern darüber.

Hier hatte man erst heute Staub gewischt,
die Krippe war gefüllt mit frischem Stroh
und diese goldnen Halme rochen so,
als wäre ein Parfum dazu gemischt.

Ganz selig lag das Jesuskind im Stall,
die Eltern standen ach so nett daneben
als lächelten sie schon ihr ganzes Leben
und Denken lang und einfach überall.

Auch Ochs und Esel waren vorzufinden,
drei Könige, ein Hirte, Hund und Schafe;
ein Engel spielte lieblich eine Harfe,
als könnte er die Kälte nicht empfinden.

Und Gott besah sich diese kleine Hütte
mit Krippe, Stern und grinsenden Figuren,
so unbefleckt von Dreck und andern Spuren,
ein blond gelocktes Kindlein in der Mitte …

„Ach, mögen Sie die Krippe auch so gern?“
ertönte eine Stimme von der Seite.
Gott fuhr herum. Da stand in voller Breite
ein Mann – nicht ganz so helle wie der Stern.

„Ich bin der Bischof“, stellte er sich vor.
„Auch ich bin immer wieder fasziniert
von Christkind, Königen und Engelschor,
und wie das alles herrlich harmoniert.

Ich glaube fast, dass das Modell gebaut ist
wie jener große Stall im nullten Jahr,
und dass der liebe Gott damit vertraut ist
und weiß, wie ähnlich damals alles war.“

Gott hatte – wie erwähnt – recht viel gezecht,
und das erwies sich nun als folgenschwer.
Ihm wurde bei den Bischofsworten schlecht,
er kotzte seinen Magen einmal leer.

Er gab sich auch nicht allzu große Mühe,
zurückzuhalten, was im Magen war.
Und so ergoss sich eine zähe Brühe
aus Halbverdautem über den Altar.

Im Anschluss stank die Krippe arg nach Bier,
das Christkind war von Kopf bis Fuß versaut,
verklebt mit Säure, wie auch jedes Tier.
Da hatte Gott so richtig Mist gebaut.

Der Bischof starrte ihn entgeistert an,
doch Gott sprach nur gelassen: „Am Realen
ist diese Stallversion jetzt näher dran.
Nun fällt es leichter, sich das auszumalen.“

„Welch Blasphemie!“ entfuhr’s dem Priester scharf.
Gott protestierte nicht, als ihn der Mann
im hohen Bogen aus der Kirche warf.
Er seufzte leise: „Ich gewöhn mich dran.“

Und so verbrachte er das Weihnachtsfest
wie jedes Jahr dort draußen in der Kälte
und schlief in einem Schuppen, wo der Rest
der Menschheit sich noch nie zu ihm gesellte.


1.4. Paarungsversuche

An Hilde

(Gedicht)

Oh Hilde, schönes Vollblutweib!
Dein wohlgeformter, schlanker Leib
ist stets für Abenteuer gut.
Ich lass mich gern von dir verführen
und jeder Mann kann’s bei dir spüren:
die Leidenschaft wie Feuerglut!

Du kannst so schön im Bette liegen,
die Taille mir entgegenbiegen
und stöhnen, dass die Hüften beben!
Du meinst, es wäre wahre Liebe,
ich nenn’s Befriedigung der Triebe,
wenn wir in der Erregung schweben.

Oh deine Kurven – sanft geschwungen!
Allabendlich mit dir verschlungen
mag ich das Auf- und Niederwippen.
Mir reicht dein Mund zum Küssen, Hilde,
denn ein gescheites Satzgebilde
kommt selten über diese Lippen.

Du kannst mir Freude oft bereiten,
spür deine weiche Zung ich gleiten.
Sie kann sich kunstvoll schlängeln, winden.
Dann bin ich immer hin und weg!
Es ließe sich zu diesem Zweck
wahrscheinlich niemand Bessres finden.

Schau ich dir, Hilde, in die Augen,
um deine Blicke aufzusaugen –
so schön naiv und blöd und dumm –,
erkenn ich hinter den Pupillen,
die mit Erleicht’rung mich erfüllen,
das große, weite Vakuum.

Am Tage bist du meistens wach.
Doch aufgeweckt – dass ich nicht lach!
Ein Brötchen ist noch klug dagegen.
Ich brauche und gebrauche dich,
mit Sinnlichkeit verwöhnst du mich.
Das kommt mir wirklich sehr gelegen.

Denn bei der Arbeit, im Beruf
und allem, was ich schaff und schuf,
mischst du dich, Hilde, niemals ein.
Ich nutze dich nur zum Vergnügen
(würd ich das leugnen, würd ich lügen),
doch liebst auch du die Schweinerei’n.

Ein hochentwickelter IQ,
ein lobenswerter Geist – wozu?
Dein Körper ist es, der mir reicht.
So sind wir beide ganz zufrieden,
uns ist ein großes Glück beschieden!
Ach, Hilde, bist du pflegeleicht!


Warnung vor falschen Schlüssen

(Gedicht)

Vor falschen Schlüssen solltet ihr euch hüten.
Es ist mit Folgendem schon viel getan:
Ihr müsst begreifen: Milch kommt nicht aus Tüten
und Wasser nicht aus einem Wasserhahn.

Das Heu für Kühe wächst nicht in den Scheunen
und Daunenfedern kommen nicht aus Kissen.
Die Herde Schafe wächst nicht hinter Zäunen
und es entsteht in Büchern nicht das Wissen.

In Mauern sind die Steine nicht entstanden,
aus Böden wächst auch keine Schienenstrecke,
das Salz war vor den Streuern schon vorhanden
und Holz wächst nicht im Baumarkt an der Ecke.

Tomaten wachsen nicht in den Regalen,
genauso wenig wie ein Ei in Kisten
und frisches Obst entsteht auch nicht in Schalen.
Es ist zu viel, um alles aufzulisten.

Nur selten stirbt ein Mensch erst beim Begräbnis.
In diesen Worten steckt der gute Rat:
Denkt nicht, die Ursache sei das Ergebnis
und seht im Anlass nicht das Resultat.

Die meisten sagen, sie vergäßen’s nie,
weil sie das alles längst verstanden hätten.
Doch das scheint fraglich. Weshalb suchen sie
die Liebe immer noch zuerst in Betten?


Innerer Dialog

(Gedicht)

Erschöpft sitzt er im Stammcafé
an einem Einzeltisch und blickt
ins Leere, trinkt den heißen Tee
und lauscht dem inneren Konflikt.

Er hört sein Herz, das zu ihm meint:
„Du liebst sie. Tu’s auch weiterhin.
Egal, wie unklug das erscheint.
Du fragst zu oft nach Zweck und Sinn.“

„Du Sturkopf!“ sagt da der Verstand.
„Du musst dich stärker von ihr lösen!
Folg der Vernunft und denk an Kant.
Hör auf zu träumen und zu dösen!“

„Das geht nicht!“ widerspricht das Herz.
„Ich spüre, dass es niemals endet.“
„Jetzt komm mir nicht mit Liebesschmerz!“
ruft der Verstand. „Du bist geblendet!“

Das Herz entgegnet: „Fremder Rat
ist etwas, das ich grad nicht brauch.
Die Frau ist halt ein Unikat
und deshalb liebe ich sie auch!“

„Das mag“, meint der Verstand, „zwar sein,
doch ist, was du erträumst, zu groß.
Du liebst umsonst! Sieh’s endlich ein!
Du bleibst bei ihr stets chancenlos!“

„Ich weiß“, sagts Herz, „doch wird verrückt,
wer nicht Gefühle akzeptiert!“
Die and’re Seite spricht: „Es glückt,
sieht man das Ganze distanziert.“

So wird die Meinung ausgetauscht,
doch keine Spur von Kompromissen.
Und jener Mensch, der all dem lauscht,
fühlt sich im Inneren zerrissen.

Und schließlich wird es ihm zu viel.
Verzweifelt schreit’s aus ihm heraus:
„Seid still! Das führt zu keinem Ziel!
Ich halt den Streit nicht länger aus!“

Er spürt Cafébesucher-Blicke,
die gleichen einer Steinigung.
Man fragt, ob er noch richtig ticke.
Er murmelt leise: „Tschuldigung …“

Rasch zahlt er noch für seinen Tee
(mit einem viel zu großen Schein)
und dann verlässt er das Café.
Die Straß ist leer. Er ist allein.

Und ruhig auch. Kein Laut, kein Klagen.
Im Innern ruht auch das Gefecht.
Und plötzlich hört er selbst sich sagen:
„Ich glaube, der Verstand hat Recht.“

Er freut sich über die Erkenntnis,
entspannt sich, fühlt sich wie befreit.
Ihn bittet aber um Verständnis
das Herz: „Ich brauch Erholungszeit.“


Getrennt

(Gedicht)

Wir sind uns fremd. Das ist nun mal passiert.
Jetzt ist es Zeit an einen Schluss zu denken.
Nicht melancholisch. Auch nicht resigniert.
Genauso wenig möchte ich Dich kränken.

Ich möchte bloß den glatten Schlussstrich ziehen.
Das Ende lassen wir ein Ende sein.
Wo liegt der Sinn, wenn wir uns neu bemühen?
Wir stoßen immer wieder auf ein Nein.

Wir haben’s, glaub ich, beide nicht gewollt.
Was stark erscheint, will niemand gerne spalten.
Doch wenn ein kleiner Schneeball erst mal rollt,
ist die Lawine kaum noch aufzuhalten.

Wie kommt’s, dass Treueschwüre nichts mehr gelten?
Wahrscheinlich haben wir uns mal verfehlt,
als wir Entscheidungen für’s Leben fällten,
und zwei getrennte Wege ausgewählt.

So haben wir ganz unbewusst entschieden,
uns an dem einen Wendepunkt zu trennen.
Statt Freundschaft spür’n wir nur noch lauen Frieden,
weil wir uns schon seit Langem nicht mehr kennen.

Mach’s gut. Es bleiben wirklich keine Fragen.
Der Lauf der Dinge ist nicht abgerissen.
Nur manchmal werde ich an dunklen Tagen
nicht Dich – bloß die Vergangenheit – vermissen.


Der Abschied

(Lied)

Sie standen dort am Hafenbecken.
Er weinte und sie weinte auch.
Sie konnten Tränen kaum verstecken
und spürten Trauer tief im Bauch.
Jetzt hieß es: Trennung für ein Jahr.
Getrennt in dieser großen Welt.
Er fuhr heut nach Amerika.
Beruflich. Für ein gutes Geld.
Sie küssten und umarmten sich.
Er ging aufs Schiff und winkte ihr.
Sie rief ihm zu: „Ich wart auf dich.
Ich bleibe bis zur Rückkehr hier.“
Er weinte, ließ die Hand nicht sinken.
Der Schmerz war längst nicht überwunden.
Sie sprach: „Ich hör erst auf zu winken,
bist du am Horizont verschwunden.“
Er lächelte. Jedoch nur schwach.
Er wischte Tränen von den Wagen
und betete: „Oh Gott, komm, mach,
dass das, was war, ist nicht vergangen.“

Das Schiff trat bald die Reise an.
Sie wünschte ihm noch einmal Glück.
Voll Sehnsucht murmelte er dann:
„In einem Jahr bin ich zurück…“
Wie konnte man ihn nur so strafen?
Sie weinte, winkte ihn noch immer.
Das Schiff entfernte sich vom Hafen.
Die Trauer wurde fast noch schlimmer.
Da fiel ihm ihr Versprechen ein,
sie werde bis zum Horizonte
ihm winken und stets treu ihm sein.
Ein Grund, weshalb er lächeln konnte.
Doch war sie bald das Winken Leid.
Und schließlich ging sie einfach weg.
Es war zum Horizont noch weit.
Er sah ihr nach, stand starr an Deck.
Er rief: „Ich liebe dich so sehr!“
Er rief umsonst. Sank auf die Knie.
Verzweifelt sprang er dann ins Meer.
Dort schrie er laut. Er schrie und schrie…

Er wachte auf. Ihm wurde klar:
die schlimmen Bilder waren bloß
ein Traum. Denn nach Amerika
ging’s erst in einem Monat los.
Er dacht‘: „Was sie grad tun mag?“
Er fühlte sich ein wenig schlapp.
Und sagte noch am selben Tag
die Reise, die geplant war, ab.


Zerstörte Harmonie

(Gedicht)

Er saß mit ihr auf einer Düne,
den Sonnenuntergang bestaunend;
er blickte mit verzückter Miene
aufs Meer und sagte schließlich raunend:

„Willst Du mich heiraten, mein Schatz?
Ich liebe Dich! Sei du mir nah!“
Sie hörte lächelnd diesen Satz
und sagte darauf schüchtern: „Nein.“

Er schaute sie entgeistert an.
Sie hatte ihm das Herz gebrochen!
Und er, der sehr verliebte Mann,
er hatte sich zu viel versprochen.

Doch dann probierte er’s erneut
und sprach zu ihr: „Mein bestes Stück!
Hast Du die Antwort schon bereut?“
Sie meinte nur: „Da hast Du Pech.“

Ihr Tonfall war dabei ganz kühl,
in seinen Ohren klang‘s fast barsch.
Es war ein schreckliches Gefühl.
Der ganze Abend war kaputt.

Was für ein mieses Frauenzimmer!
So hinterhältig und durchtrieben!
Im Gehen sagte er noch: „Immer
und ewig werde ich Dich hassen!“

Er ging verzweifelt, aufgewühlt,
und hätte gerne auf der Stelle
Erinnerungen fortgespült
mit einer hohen Meereswelle.

Das Meer blieb aber ganz entspannt,
es ruhte, wurde beinah still
und so erhielt es elegant
die Illusion von dem Idyll.

Mehr lässt sich hierzu nicht berichten,
denn die zerstörte Harmonie
mit netten Worten schönzudichten,
gelingt selbst einem Dichter selten.


Zweiter Teil

2.1. Zuschauernahrung

Wir waren mal dagegen

(Lied)

Den meisten Menschen heutzutage
fehlt der Durchblick in der Argumentation.
Bei näherer Besichtigung der Lage
sind die Argumente blanker Hohn.
Ein Stöhnen geht durchs Land, wenn es heißt:
Mit siebzig Jahren gibt es erst die Rente!
Das sei ja unerträglich, völlig dreist 

und man müsste, man sollte, man könnte …
Das stimmt zwar alles, doch ihr wollt doch nicht,
dass die Sozialversicherung zusammenbricht!



Wir waren mal dagegen, doch jetzt sind wir dafür,
sonst öffnen wir dem Unrecht am Ende Tor und Tür.
Wir waren mal dagegen, doch heute sehn wir ein:
Manche Konsequenzen müssen einfach sein.

Kontrollen gibt es leider nie genug,
erst recht in den Lüften, das ist Fakt.
Deshalb scannen wir vor jedem langen Flug
künftig alle Menschen einmal nackt. 

Seid ihr gegen Foltermethoden,

gegen Quälereien sowieso,

ganz egal auf wessen Boden,

auch im fernen Guantanamo? 


So fragt euch bitte nebenbei einmal:

Ist euch der Kampf gegen Terror denn egal?



Wir waren mal dagegen, doch jetzt sind wir dafür,
sonst öffnen wir dem Unrecht am Ende Tor und Tür.
Wir waren mal dagegen, doch heute stelln wir fest,
dass sich manches nur mit Opfern lösen lässt.



Die Hauptschulen sollen nicht sein,

weil sie euch noch nie gefielen.

Doch bedenkt: Eure Kinderlein

müssten dann mit dem Pöbel spielen!


Und das sind dann bestimmt die Brutalen,

die am Computer um sich schießen,

hohle Kerne mit stahlharten Schalen,

die virtuelles Blut vergießen.


Tolerierst du das und nimmst du das in Kauf,

unterstützt du schon den nächsten Amoklauf.



Wir waren mal dagegen, doch jetzt sind wir dafür,
sonst öffnen wir dem Unrecht am Ende Tor und Tür.
Wir waren mal dagegen, doch heute sehn wir ein:
Manche Konsequenzen müssen einfach sein.

Wir brauchen Kameras bei Tag und Nacht,

sie filmen überall von früh bis spät.

Wer meint: es wird zu vieles überwacht,

der ist sicher für die Kriminalität.


Bekanntlich zählt zu gefährlichen Plätzen

in neuster Zeit auch das Internet.

Nur Zensiertes kann nicht mehr verletzen,
wir kontrollieren von A bis Z.


Wollt ihr die Notwendigkeit bestreiten,

wollt ihr wohl Kinderpornos verbreiten.



Wir waren mal dagegen, doch jetzt sind wir dafür,
sonst öffnen wir dem Unrecht am Ende Tor und Tür.
Wir waren mal dagegen, doch fühl’n wir uns bedroht,
schlagen wir die Gegenargumente alle tot.


Publikumskunde

(Gedicht)

Nicht jedes Publikum geht mit,
wie es der Künstler sich verspricht,
denn wer die Bühne neu betritt,
der kennt zunächst die Wirkung nicht.

Ob Zittern, Zögern oder Stammeln,
so leicht ist gar nichts abzuschätzen.
Erfahrungen sind erst zu sammeln,
im Anschluss müssen sie sich setzen.

Weil dies die Sache stark erschwert,
und viele diesen Schritt nicht wagen,
ist’s ab und zu empfehlenswert,
bei Bühnenprofis nachzufragen,

die nicht vor Publikum erröten;
die Auftritt und Privates trennen;
die selbstbewusst vor Leute treten
und längst die eigne Wirkung kennen.

Zu jenen großen Profis zählte
schon immer Markus Wetter-Brandt,
der seine Wirkung nie verfehlte,
sobald er auf der Bühne stand.

Er strahlte jede Menge aus
und fand im ganzen Land Gefallen,
bekam frenetischen Applaus
in ausverkauften deutschen Hallen.

Wo man auf Wetter-Brandt auch stieß:
Erfolge schien er stets zu buchen,
weshalb ich’s mir nicht nehmen ließ,
ihn eines Tages aufzusuchen.

Da fragte ich ihn sehr direkt:
„Es würd mich brennend int’ressieren:
Was macht dein Charisma perfekt?
Wie lange muss man das studieren?

Mit welchen geistigen Ergüssen
erreicht man was? Mit welchen Themen?
Und brauch ich jede Menge Wissen,
um Leute derart einzunehmen?“

Die Reaktion von Wetter-Brandt
war, wissend mit dem Kopf zu schütteln.
„Mir sind die Fragen wohlbekannt,
ich würd das Ganze so vermitteln:

Die Masse kannst du bloß verführen,
triffst du den meistgewünschten Ton,
beherrschst des Publikums Allüren
und pflegst die Manipulation.

Du musst nichts Großes präsentieren,
die Masse will es möglichst seicht,
um nicht den Anschluss zu verlieren.
Erkenne, dass der Durchschnitt reicht.

Beschränke die Zusammenhänge,
den roten Faden halte dünn,
zieh keine Handlung in die Länge,
man fragt dich eh nicht nach dem Sinn.

Den Inhalt musst du portionieren,
denn gut verdaulich sei’n die Worte.
Bedenke immer beim Servieren:
Sie wollen Kekse, keine Torte.

Versuche alles zu vermeiden,
was neu ist und vor Frische strotzt.
Das Publikum kann’s besser leiden,
wird Durchgekautes ausgekotzt.

Denn Unbekanntes ist verpönt
und jede Masse hat Probleme,
bis sie an Neues sich gewöhnt.
Viel lieber ist ihr das Bequeme.“

Er sprach es ernst und hasserfüllt.
Verachtung lag in jedem Wort.
Es klang an keiner Stelle mild,
so fuhr er ohne Zögern fort:

„Bevor dir Publikum begegnet,
begreife, wie es fühlt und tickt:
Der Mensch ist mit Vernunft gesegnet,
im Rudel wird sie unterdrückt.

Du musst dich selber gehen lassen:
Begehre, dann wirst du begehrt.
Es lieben den die großen Massen,
der sich mit off’ner Hose näh’rt.

Im Innern sind sie alle Schweine,
egal, ob sie das auch gebärden.
Die Leute wollen nur das Eine:
Mit voller Wucht gevögelt werden!

Dem Publikum Respekt zu zollen,
verschwendet gute Energie.
Gib Massen, was die Massen wollen,
doch innerlich verachte sie.“

Mich schockte diese Bitterkeit.
Und, ohne lange nachzudenken,
ergriff ich die Gelegenheit,
in diese Worte einzulenken.

„Du redest dich ja grad in Fahrt“,
entfuhr es mir. „Du übertreibst.
Dein Urteil scheint mir viel zu hart,
wenn du das Publikum beschreibst.

Die Leute können reflektieren,
du darfst sie nicht für dumm verkaufen!
Ja, willst du ihre Gunst verlieren?
In welche Richtung soll das laufen?

Du stehst nicht automatisch drüber,
selbst wenn die andern unten sitzen!“
Er warf kurz ein: „Und ob, mein Lieber!
Die These lässt sich bestens stützen.“

Ich gab zurück: „Das Publikum,
das seinen Blick zur Bühne richtet,
sitzt deinetwegen dort herum
und du bist ihm zum Dank verpflichtet.

Ich nehm dir, was du sagst, nicht ab!
Es trifft nicht zu, ganz einfach weil …“
Ich stockte. Er bemerkte knapp:
„Na dann – beweis das Gegenteil.“


Bildungsmängel

(Gedicht)

Man sollte nicht darüber lästern:
Ein Schüler scheiterte erst gestern
an einem dicken Brockhaus-Band,
weil er den Einschalt-Knopf nicht fand.


Bequemes Essen

(Gedicht)

Ein Mensch kann sich nur schwer entscheiden:
Was isst er heut? Was will er meiden?
Ein Kochbuch hält ihm viel parat;
mal schau’n: Da wäre ein Salat,
Kartoffeln, salzig und gepellt,
mit frischen Kräutern gleich vom Feld,
ein Reisgericht mit Paprika,
ein großer Eintopf wäre da,
auch Nudeln mit diversen Soßen,
und alle Hobby-Köche stoßen
nach kurzer Zeit bei ihrem Suchen
auf selbstgemachte Pfannekuchen.
Zwar muss der Mensch sich eingestehen:
er lässt es ungern sich entgehen,
es schreckt ihn aber der Verdacht,
dass Essenkochen Arbeit macht.
So wählt er neben etwas Ruhe
die Mahlzeit aus der Tiefkühltruhe
und konservierte Fertigwaren,
wie schon zuvor in all den Jahren.
Das spart zwar Energie und Zeit
zugunsten der Bequemlichkeit,
doch wirkt der Mensch nicht allzu froh.
Das ist nicht nur beim Essen so.


2.2. Bildung und Unbildung

Grüße aus dem Bildungsministerium

(Gedicht)

Ihr Schülerschaften, höret her:
Durch eure Bildung geht ein Ruck!
Denn nichts sei leicht, nun wird es schwer –
jetzt kommt der große Prüfungsdruck!

Gewarnt ist, wer bislang noch dachte,
die Bildung sei so schön und frei,
und wem es gar noch Freude machte:
Was denkt ihr Trottel euch dabei?

Ihr hofft, ihr könntet euch entfalten
und werdet sogar kreativ,
wollt individuell gestalten …
Ach je, wie putzig! Wie naiv!

Kapiert ihr nicht, was „Bildung“ heißt?
Wer gab euch all den schlechten Rat?
Wir brauchen keinen freien Geist,
er nützt bloß Menschen, nicht dem Staat.

Drum zeigt: Was habt ihr schon erreicht?
Wir woll’n es uns zu Nutze machen!
Ihr nehmt es aber viel zu leicht,
man sieht euch manches Mal noch lachen.

Aus diesem guten Grunde wollen
wir prüfen, was ihr täglich lernt.
Jetzt kommen strengere Kontrollen!
Passt auf! Sie sind nicht weit entfernt.

Wir prüfen euch in jedem Fach,
das hohe Effizienz verspricht.
Wer innehält, der gilt als schwach
und überlebt die Prüfung nicht.

Der Druck auf euch wird täglich steigen
und ist es nötig, bringen wir
den skeptischen Verstand zum Schweigen.
Fragt immer „was“ und nicht „wofür“.

So wird das Endergebnis sein,
dass unser Apparat euch lenkt:
Wir stopfen Wissen in euch rein,
bis ihr bloß schluckt und nicht mehr denkt.


Eine einschneidende Erfahrung

(Gedicht)

Der Paul geht in die Klasse eins
und liest schon flüssig, dass es klingt.
Bei Kinderbüchern gibt es keins,
das dieser Junge nicht verschlingt.

Die Eltern freut das, denn sie meinen:
„Ach, lesen kann man nie genug.“
und „Fördern müssen wir die Kleinen!
Aus Büchern wird ein jeder klug!“

So kommt’s, dass Paul zum Lesen neigt,
als würde es nichts Bessres geben.
Längst sind die Eltern überzeugt:
„Der Junge lernt was für sein Leben.“

Sie sagen täglich: „Paul, du weißt,
dass du aus Büchern vieles lernst!“
Der Sohnemann, der nickt nur meist
und nimmt den guten Rat stets ernst.

Die Eltern sollten Recht behalten,
doch ging der Schuss nach hinten los.
Denn Bücher, die als harmlos galten,
gerieten fast zum Todesstoß.

Der Paul schnitt nämlich irgendwann
‘nem Kleinkind dessen Daumen ab.
Es lutschte träumend grad daran –
da kam die Schere – Schnipp und Schnapp!

Die Nachbarn riefen nebenan
aufgrund des Schreis den Krankenwagen.
Man nähte beide Daumen an,
die blutend auf dem Boden lagen.

Das Tatmotiv war undurchsichtig.
Doch Paul bemerkte dazu später:
„Was war denn bloß daran nicht richtig?
Das stand doch so im Struwwelpeter …“


Die Altersstarre

(Gedicht)

Seit dreißig Jahren lehrt Herr Stein
an einer Schule Weltgeschichte
und nebenher auch noch Latein
anhand verstaubter Kriegsberichte.

Er kennt die ganzen Jahreszahlen
und weiß, was wann geschehen ist,
und alte römische Annalen
sind Dinge, die er nie vergisst.

Das Zeug kann er zwar runterbeten –
doch Spaß macht es ihm gar nicht mehr.
Herr Stein wirkt ab und zu betreten,
denn alles langweilt ihn so sehr.

Der Grund dafür ist Überdruss.
Wer jahrelang und ohne Paus
dasselbe unterrichten muss,
dem hängt es bald zum Hals heraus.

Wie schon vor neunundzwanzig Jahren
macht Stein noch heut den Unterricht.
An Neuem will er lieber sparen.
Veränderungen gibt es nicht.

Ihm fehlt die Lust – das ist das Schlimme.
Dies zeigt sich ständig, Tag für Tag:
Er spricht mit monotoner Stimme.
Man merkt, dass er sein Fach nicht mag.

Die Schüler haben rasch kapiert:
Steins Stunden, die sind öd und fad.
Drum sind sie selten int’ressiert.
Sie schlafen oder spielen Skat.

Anmerkung:
Es können manche Stimmungslagen
sich wie ein Virus übertragen.


Die andere Möglichkeit

(Gedicht)

Ein Mensch, der Liebe nie erfahren,
will ungern an Gefühlen sparen,
obwohl er bald erkennen muss:
Er kann nicht lieben. Punkt. Aus. Schluss.
Nun soll‘n die Emotionen schweigen?
Oh, nein! Er will Gefühle zeigen!
Doch wird das Lieben unterlassen,
so bleibt als Letztes bloß, zu hassen.
Der Mensch nutzt diese Möglichkeit
und er bemerkt nach kurzer Zeit,
erfüllt mit einer Art von Glück:
Wie Liebe kommt auch Hass zurück!
Er bleibt bei diesem Lebensstil,
verachtet alles stark und viel
und sieht in and‘rer Leut Beschwerden
Gefühle, die erwidert werden.


Das Schuljubiläum

(Lied)

Der Max, meist lässig und „der Coole“,
besuchte einst im Januar
das Jubiläum einer Schule,
auf der er selbst gewesen war.
Er traf dort gleich gesinnte Leute,
die er sofort beim Namen nannte,
und auch, was er zum Teil bereute,
die ganzen Lehrer, die er kannte.
Der Rektor hielt noch eine Rede,
sehr trocken und bedingt euphorisch.
Der Max empfand sie so wie jede.
Der größte Teil war sehr historisch.

Dann gab’s Applaus und viel Tumult
und, als der Lärm verstummt war, trat
Herr Wolfgang Müller an das Pult,
ein etwas ält’rer Studienrat.
Er sprach von einer langen Zeit,
die er an dieser Schul’ verbracht,
von großer Schülerfreundlichkeit
und sagte: „Ich hab’ viel gelacht.“
„Du Heuchler!“, dachte Schmidt im Stillen.
„Ich kenne dich: du hasst die Schüler,
bist nur bedacht auf deinen Willen
und dein Humor wird täglich kühler.“

Nun trat zurück der alte Mann.
Die Menge klatschte fröhlich weiter.
Kollege Meier war jetzt dran.
Auch ihn begrüßte man recht heiter.
„Wir haben viel in all den Jahren“,
begann er seinen Redefluss,
„geleistet, ohne Kraft zu sparen.
Die Arbeit war für uns ein Muss!“
Doch Max bemerkte innerlich:
„Was hast du für ein großes Maul!
Seit vielen Jahren kenn ich dich.
Schon früher warst du ziemlich faul!“

Er fand’s zum Kotzen und zum Reihern,
denn alle Leut um ihn herum,
die standen dort, sich selbst zu feiern …
Er drehte resigniert sich um.


2.3. Aus den Lehrjahren

Ein Höhlengleichnis

(Gedicht)

Sokrates:
Versuch Dir bitte einmal auszumalen,
was ich im Folgenden beschreiben werde:
Ein Pulk von Menschen sitzt in einer kahlen
und dunklen Höhle auf der harten Erde.
Sie sind gefesselt und bewegungslos
und starren unentwegt geradeaus,
ihr Drang sich zu bewegen ist nicht groß
und niemand fragt: „Wo geht es hier hinaus?“
Und hinter diesen ganzen Menschen steht –
mit einer dicken Rolle Film bespannt –
ein Apparat, durch einen Stein erhöht,
und wirft bewegte Bilder an die Wand.

Glaukon:
Recht seltsam scheint mir das und wunderlich,
fast sagte ich: Mich ängstigt dieser Ort.

Sokrates:
Das kann ich gut verstehn, drum setze ich
nun die Erläuterung zur Höhle fort:
Die Menschen tragen rosarote Brillen,
durch welche sie an Wänden Filme sehen
und diese Unterhaltung stoppt den Willen,
den Blick zu wenden oder aufzustehen.
Sie amüsieren sich auch gar nicht schlecht
und mögen vieles, was die da betrachten.
Man fragt sich: Halten sie den Film für echt
und würden jedes Bild für wahr erachten?

Glaukon:
Oh Sokrates, das lässt sich sicher sagen:
Natürlich halten sie den Film für wahr.

Sokrates:
Und sollte es dann doch mal jemand wagen,
auf Risiko und eigene Gefahr
die rosarote Brille abzunehmen
und sich womöglich auch noch umzudrehen –
stünd dieser Mensch dann wirklich vor Problemen,
würd er den Apparat samt Filmen sehen?

Glaukon:
Er wäre – positiv gesagt – erstaunt,
doch treffender ist hier das Wort „geschockt“.

Sokrates:
So bleibt der Mensch vermutlich missgelaunt,
wenn er noch länger in der Höhle hockt,
da er inzwischen ja verstanden hat,
dass er hier drinnen vor der Wahrheit flieht
und – wie die ander’n Menschen auch – anstatt
der Wahrheit nichts als bloße Bilder sieht.
Er will in dieser Höhle nicht verwesen;
entschlossen kann er bald sich überwinden,
die Beine von den Fesseln loszulösen,
die ihn so stark an diese Höhle binden.
Doch hofft er, dass sich all der Aufwand lohnt,
denn er hat große Schmerzen zu ertragen.

Glaukon:
Wohl wahr. Er ist Bewegung nicht gewohnt.

Sokrates:
Er zwingt sich aber selbst, nicht laut zu klagen,
und er erreicht mit Mühe irgendwann
den Höhlenausgang, wo er Sonnenlicht
zunächst nur unter Schmerzen sehen kann;
die neue Helligkeit erträgt er nicht.
Doch eine Zeitlang später sieht er klar,
was die Natur hier draußen präsentiert:
Er nimmt Vergiftung und Zerstörung wahr,
wodurch er rasch die Freude dran verliert.
Zwar tun ihm seine Beine nicht mehr weh,
doch ist sein Bauch mit Ärger angefüllt;
er kommt an einen ölverschmutzten See
und er erkennt darin sein Spiegelbild.
Bei diesem Anblick fasst er neu Vertrauen,
sieht ein: er hat sich viel zu oft gesträubt,
der Wahrheit einfach ins Gesicht zu schauen,
und hat sich in der Höhle bloß betäubt.
Hier draußen wartet eine große Welt,
die jede Menge Energie versprüht,
die Leben schenkt und die den Geist erhellt,
sobald sich endlich wer um sie bemüht.
Und schließlich fängt er an zu überlegen:
Wie ließe die Verödung sich verhüten?
Denn würde man hier draußen alles pflegen,
so wär’s an Schönheit kaum zu überbieten –
ein menschenwürdiges und hübsches Land.
Was glaubst Du? Bleibt der Mensch für immer da,
hat er am Höhlenausgang das erkannt?

Glaukon:
Oh Sokrates, ich würde sagen: Ja.

Sokrates:
Nicht ganz. Es juckt ihn bald zurückzugehen,
er will den andern zu verstehen geben:
„Ihr solltet euer Spiegelbild mal sehen!
Ihr dürft nicht ewig in der Höhle leben!
Die Wahrheit aus den Augen zu verlieren
ist ignorant, verachtenswert und dumm!“
Wie werden dann die andern reagieren?
Was meinst Du, Glaukon? Bringen sie ihn um?


Hinein ins Berufsleben

(Gedicht)

Schließt jemand mit dem Abitur
die Schulzeit ab, stellt sich die Frage:
was macht man mit dem Abschluss nur?
Nicht selten bleibt die Antwort vage.

Denn ist die Schule abgeschlossen,
gesteht man sich danach nun ein:
Man hat die Zeit doch sehr genossen.
Sie dürfte gern noch länger sein.

Auf einmal soll man selbst entscheiden,
wie man das Leben weiterführt.
Zu gerne würd man dies vermeiden,
weil man den Mut zu schnell verliert.

Wer regelt jetzt den Tagesplan?
Kein Pausengong, kein Unterricht.
Man sieht ein neues Leben nah’n,
da gibt es solche Dinge nicht.

Nicht jeder, aber mancher fragt
bestürzt: „Wo geht es hier bloß lang?“
Und weil die Panik an ihm nagt,
wählt rasch er einen Notausgang.

Der junge Mensch sucht nun sein Glück
in einem Ref’rendariat,
wird Lehrer, kehrt zur Schul’ zurück,
da dies, so meint er, Ärger spart.

Doch das misslingt, bei aller Müh,
und gute Vorsätze geh’n flöten.
Denn Lehrersein aus Nostalgie –
das lässt sich nirgendwo vertreten.

Bald steht der Mensch vor ersten Klassen
und merkt schon früh beim Unterrichten:
Am liebsten würd er’s fallen lassen
und auf den Lehrberuf verzichten.

Die Wirklichkeit ist nämlich hart
und sie erscheint nicht selten schwerer.
Denn auch, wenn ihr mal Schüler wart –
ihr seid noch lange keine Lehrer.


Jahrgang 1989

(Lied)

Wir wurden geboren als die Mauer fiel,
der kalte Krieg schmolz grad dahin.
Ein einziges Deutschland, hieß das neue Ziel,
und wir standen mittendrin.
Unsre Kindheit begann in den 90er Jahren,
wir genossen es im Großen und Ganzen.
Wir konnten unser Taschengeld in D-Mark sparen
und dachten noch nicht dran uns fortzupflanzen.
Die Hauptstadt hieß jetzt statt Bonn Berlin,
wir lernten das nicht anders kennen,
wir steckten voll mit Ernergien,
wir konnten nur keine Quelle benennen.

Man sagte uns: „Versprechen müsst Ihr halten.“
Das bewies uns allen Helmut Kohl.
Auch wir wollten später Gelder verwalten
und fühlten uns dank Werbung wohl.

Wir lernten früh den Nutzen der Ellenbogen,
um nicht arbeitslos zu enden.
Wir waren lieber selbstbezogen,
als Mitglieder in Verbänden.
Essensbewusster wurden wir
durch Dioxin und BSE,
den Klimawandel erklärte uns hier
ein gewisser Al Gore aus Übersee.
Wir erlebten das Ende der Sicherheit,
als der Terror New York erreichte.
Wir waren noch Kinder, als die neue Zeit
die idyllischen Träume verscheuchte.
Dennoch hatten wir nie mit einem Krieg zu tun,
zumindest hatten wir nie das Gefühl.
Fast zu Lebzeiten könnten wir in Frieden ruh’n,
blieb Gewalt ein Computerspiel.

Wir suchten Erfolg bei RTL
und diversen Casting-Shows,
Wir dachten, so würden wir besonders schnell
berühmt und richtig groß.
Elektronisch warn wir stets auf dem neu’sten Stand,
wir lebten online und global,
Infos strömten vorbei am Bildschirmrand,
wir waren international.
Das Internet wurde zum Lebensraum,
da war jeden Moment was los:
ob bei Ebay der moderne Shopping-Traum
oder Youtube-Videos.
Über Facebook, Twitter und StudiVZ
schickten wir uns sinnlose Zeilen.
Wir machten damit das Bedürfnis wett,
uns ständig mitzuteilen.

Wir wurden geboren als die Mauer fiel,
der Kalte Krieg schmolz grad dahin.
Wir haben die Selbsterhaltung als Ziel
und vielleicht ein bisschen Gewinn.
Wir sind die vernetzte Generation,
sich zu treffen kann kaum leichter sein.
Doch trotz ständiger Kommunikation
fühlen wir uns häufig allein.
Vieles strömt auf uns ein,
wir wollen alles versteh’n,
doch nicht alles ergibt einen Sinn.
Wir laufen, wir rennen, wir stoppen, wir geh’n,
wir wissen nur noch nicht, wohin.


Nichts ist verlässlich

(Gedicht)

Ein Mensch stellt fest – mit leichtem Hass:
Auf nichts ist heute mehr Verlass!
Die alten Traditionen schwinden,
auch Arbeit lässt sich kaum noch finden,
die Rollen werden neu verteilt,
die Technik mit dem Fortschritt eilt,
im Winter schneit es bloß noch selten
(doch trotzdem kann man sich erkälten),
Termine werden oft verlegt
und Treue wird nicht mehr gepflegt.
Der Mensch, um diesem zu entfliehen,
will einen dicken Schlussstrich ziehen
und springt – sein Wille ist nicht schwach –
von einem hohen Häuserdach.
Als er erwacht (im Krankenhaus)
ist er geschockt und lernt daraus:
Selbst auf den Tod – er kann’s nicht fassen –
kann man sich heut nicht mehr verlassen.


2.4. Schön und schmerzhaft

Nicht so schön

(Gedicht)

Nicht alles ist so schön im Leben,
bemerkt man täglich, hier und da.
Ich hab mich neulich übergeben,
als ich ein Foto von dir sah.


Der Kuchen

(Gedicht)

Ein Vogelschwarm flog durch die Luft,
um frische Nahrung sich zu suchen.
Die Tiere folgten einem Duft
und fanden schließlich einen Kuchen.

Er war in Kürze ausgemacht
und stand – zum Greifen nah in Sicht –
in einem Haus, ganz unbewacht,
Gefahren gab es scheinbar nicht.

Die Tiere witterten im Nu
ein Festmahl, das sich wirklich lohnte,
und schossen auf das Häuschen zu,
in dem das frische Futter thronte.

Doch sie versprachen sich zu viel
und fühlten sich auch glatt betrogen,
als sie dann kurz vor ihrem Ziel
noch gegen eine Scheibe flogen.

Anmerkung:
Als ob der Durchblick reichen würde!
Meist übersieht man eine Hürde.


Lehrreicher Waldspaziergang

(Gedicht)

Ich ging im Wald so für mich hin,
ganz ruhig, in Gedanken brav;
nach Üblem stand mir nicht der Sinn,
bis ich auf eine Dame traf.

Die Frau war dreißig (oder jünger?),
der Körper kräftiger gebaut;
im Munde hatte sie zwei Finger,
auf denen pfiff sie schrill und laut.

Es gellte: „Susi, komm, bei Fuß!
Hier wird nicht mehr im Dreck gewühlt!
Ich weiß, dass du das gerne tus’!
Du hast jetzt lang genug gespielt!“

Es folgte eine kurze Pause;
das Frauchen setzte einen drauf:
„Gleich gibt es Leckerli zu Hause!“
Und schließlich tauchte Susi auf.

Die Worte waren abgenutzt,
man hat’s schon oft gehört, gelesen …
Drum hätt ich sicher nicht gestutzt,
wär Susi nicht ein Kind gewesen.


Das Mäuschen

(Gedicht)

Ein Mädchen, das man „Mäuschen“ rief
(Miranda war die lange Form),
war glänzend schön, doch sehr naiv
und kannte Goethe nicht und Storm.

Oft stand sie fünf Uhr morgens auf
und schminkte sich bis kurz vor acht;
dann wurde noch ein Großeinkauf
für Mode und Make-Up gemacht.

Am Nachmittag, ab fünfzehn Uhr,
verdiente sie sich schließlich Geld
in einer kleinen Agentur
als Fotomodel hingestellt.

Man sah in Zeitschriften (meist groß)
Mirandas Körper und Gesicht.
Gewesen wär sie arbeitslos,
gäb’s den Beruf des Models nicht.

Um zehn Uhr abends ging sie dann
in irgendeine Diskothek,
vergnügte sich mit jedem Mann,
der kreuzte ihren Lebensweg.

Zu denen, die ins Auge stachen,
gehörte jene hübsche Maus.
Sie kannte sich in Körpersprachen
weit besser als im Deutschen aus.

Sie hatte ziemlich viele Meisen,
war dumm, verpeilt und ziemlich toll;
das konnte man auch leicht beweisen:
Die BILD war ihr zu anspruchsvoll.

An einem Maitag kam der Jochen
vorbei an Mäuschens Gartentor.
Mehr Muskeln hatte er als Knochen
und rief: „Ich habe heut nichts vor!“

Miranda trat auf den Balkon
und sprach entzückt: „Mein Held! Mein Hengst!
Oh, warte kurz, ich komme schon!
Ich eile schneller als du denkst!“

Da machte Jochen einen Scherz:
„Wozu der lange Treppenlauf?
Spring vom Balkon, mein Schokoherz!
Ich fange dich auch gerne auf!“

Mirandas Körper war perfekt,
doch sie verstand nicht Ironie.
Ihr fehlte halt der Intellekt.
So sprang in ihren Tode sie.


Wenn du jetzt hier wärst

(Lied)

An manchen Tagen fehlst du mir.
Dann wünsche ich, du säßest hier
Und würdest von der Welt erzählen
Und lauter nette Worte wählen.
Dann wär der Himmel babyblau,
von weißer Watte leicht durchzogen.
Du flüstertest: „Mein Liebster, schau!
Gleich kommt bestimmt das Glück geflogen.“
Zur Antwort würd‘ ich höchstens nicken.
Ich würd‘ den Sonnenschein genießen
und säh dich Gänseblümchen pflücken,
die zwischen grünen Halmen sprießen.
Wir lägen wie im Garten Eden
Im Gras und hörten Blätter rauschen.
Du würdest schließlich einfach reden
und ich würd deiner Stimme lauschen.

Du würdest die Natur beschreiben,
dich brächt ein Schmetterling zum Lachen,
du sprächest leis: „Hier woll’n wir bleiben.
Hier gibt es lauter hübsche Sachen.“
Dann würdest du von Gott erzählen,
von deinem Ex-Freund und der Welt.
Thematisch würde kaum was fehlen,
von großer Liebe bis zum Geld.
Und schließlich kämst du mit der Zeit
wohl auch auf Politik zu sprechen
und ebenso auf all das Leid,
auf Katastrophen und Verbrechen.
Dann sagtest du mit ernster Stimme,
du könnest das nicht nachvollziehen;
Gewalt und Tod und all das Schlimme,
die immer wieder stark gediehen.

Was sich die Menschen dabei dächten?
So dürfe das nicht weitergeh’n.
Woher käm bloß der Hang zum Schlechten?
Die Welt sei doch so wunderschön.
Das könnte wirklich jeder sehen,
man bräuchte bloß im Gras zu liegen
wie wir – dann würde man’s verstehen
und überall würd’s Gute siegen.
Dein Optimismus wäre echt.
Ich ließe dir dein neues Wissen
und sagte: „Ja, du hast wohl Recht“
und würde dich bedächtig küssen.

An manchen Tagen fehlst du mir.
Dann wünsche ich, du säßest hier,
denn hin und wieder, ab und zu,
da wär ich gern naiv wie du.


2.5. Verse für die Masse

Unsportliche Gegner

(Gedicht)

Der Dieter steht mit seinem Schal
am Samstag gern im Stadion.
Dann ist ihm manches scheiß-egal –
er grölt auch noch ein Lied davon.

Mit einem Bierglas in der Hand
verfolgt er dort ein Fußballspiel.
Zur Halbzeit geht’s zum Würstchenstand
(dort herrscht genauso das Gewühl).

Den Stammplatz in der Gegengrade
hat er seit Jahren fest gebucht,
und ist das Fußballspiel mal fade,
so hört man, wie er lautstark flucht.

Meist hat der Dieter noch zwei Fahnen:
die eine fast so blau wie er;
die andre lässt sich leicht erahnen:
sie kommt im Atemzug daher.

Auch Olli steht mit einem Schal
als Fan in Dieters Nachbarblock,
doch zeigt er mit der Farbenwahl:
auf Dieter hat er keinen Bock.

Auch er isst Wurst zur Halbzeitpause,
er mag das Bier, das Dieter trinkt,
er grölt bei jeder Fußballsause,
zu der er auch die Fahnen schwingt.

Für ihn ist Fußball Religion,
die Regeln kennt er sehr genau,
er singt und ruft in Dieters Ton,
bloß ist der Schal schwarz-gelb statt blau.

Er hat identische Intressen mit Dieter,
wie man schließen kann;
doch beide scheinen’s zu vergessen,
schrei’n sie im Stadion sich an.

Sie merken die Gemeinsamkeit
erst spät nach jede Menge Prügel,
verbringen sie nach einem Streit
den Tag im selben Krankenflügel.

So zeigt sich klar am Fußballpatz,
dass Olli, wie auch Dieter, spinnt:
Sie suchen einen Gegensatz,
obwohl sie sich so ähnlich sind.


Inspiration im Bett

(Gedicht)

Du liegst gerade auf dem Rücken,
lässt deinen Unterleib verwöhnen,
hauchst meinen Namen voll Entzücken
und zwischendurch entweicht ein Stöhnen.

Wir fühl’n uns heute vögelfrei,
sind angefüllt mit Fantasien;
ein wilder, lustbetonter Schrei
bestätigt deine Energien.

Als Höhlenforscher dring ich vor
in dunkle, spannende Regionen,
wo mancher Motor Saft verlor –
auch meine Spritztour wird sich lohnen.

Die Bergesspitzen habe ich
allein mit Lippen rasch erklommen.
Dort warte ich nicht lang auf dich;
nur kurz – dann bist auch du gekommen.

Du bist ein Luder, keine Dame
und flüsterst: „Hey, ich will jetzt reiten.“
Denn den Begriff der Stellungnahme
weißt du problemlos umzudeuten.

Und während wir’s zu Höhen treiben,
schweif ich schon ab aus diesem Zimmer …
Bald werd ich über dich was schreiben,
denn Sex zieht ja bekanntlich immer

bei einem jeden Publikum,
das bloße Unterhaltung sucht.
Die Masse nähme Anspruch krumm,
sie liebt es billig und verrucht.

Drum sollte jeder Schreiber wissen,
will er das Publikum verstehen:
Die Muse darf ihn nicht nur küssen,
sie hat mit ihm ins Bett zu gehen!

Die Masse will es animalisch,
so inspiriert mich dein Gestöhne.
Fürs Publikum klingt’s musikalisch,
Erfolg hat nämlich das Obszöne.

„Noch mal von vorn“, sagst du erregt
und ich umfasse deinen Po.
Ich hab dich heute flachgelegt,
genauso flach wie das Niveau.


Rufe aus dem Publikum

(Gedicht)

Kein Mensch erinnert sich daran,
wann das Theaterstück begann.
Es läuft seit Jahren ohne Pause
in einem riesengroßen Saal
vor einer ziemlich hohen Zahl
an Menschen, die sind hier zu Hause.

Die Bühne ist gefüllt mit Leuten,
die sich noch nie vor Trubel scheuten –
es sind die Macher von dem Stück.
Sie reden aufeinander ein,
denn einflussreich will jeder sein
zu seinem eig’nen Zweck und Glück.

Man schreit sich an, denn alle wollen
natürlich nur die besten Rollen.
Der Streit scheint bald zu eskalieren.
Wer Gelder hat, kommt sehr viel schneller
an einen Part als Hauptdarsteller
und hat fast gar nichts zu verlieren.

Die Techniker im Hintergrund
beachten stets, zu jeder Stund,
dass Licht die Bühne hell bestrahlt;
und sie bestimmen bei dem Stücke,
wen man ins rechte Lichte rücke.
(Am liebsten den, der sie bezahlt.)

Der Stuhl des Regisseurs ist leer,
doch dafür stehen umso mehr
erzürnte Männer drumherum.
Man hört sie lautstark diskutieren:
Wem steht es zu, Regie zu führen?
Sie sind zu keinem Zeitpunkt stumm.

Das Publikum ist erstens groß
und zweitens meistens teilnahmslos.
Ein Schnarchen tönt aus manchen Ecken.
Und Leute, die sich unterhalten,
sind häufiger als die Gestalten,
die int’ressiert die Hälse recken.

Den Zuschauern ist oft egal,
was man hier spielt in jenem Saal,
es sei denn, folgendes passiert:
Ein fieser Hauptdarsteller kürzt
die Brotration – dann ist bestürzt,
wer dies am eig’nen Leibe spürt.

Wer’s finanziell sich leisten kann,
sitzt nahe an der Bühne dran
und wirkt auf das Geschehen ein.
Zwar könnte auch der Rest was sagen,
doch diesen hört man selten klagen.
Meist schweigt er in den hint’ren Reih’n.

Nur ab und zu geschieht es dann,
dass irgendwo im Saal ein Mann
vom Platz aufspringt und wütend ruft:
„Die Ordnung fehlt seit langer Zeit!
Ich fordere mehr Menschlichkeit!“
Er wird als Spinner eingestuft.

„Ihr Deppen!“ ruft er. „Ihr Idioten!
Hier wird zum Teil ein Mist geboten,
der dumm ist! Das zerstört das Stück!“
Da schallt es von der Bühne aus:
„Sei still, du Narr! Du fliegst gleich raus!“
Der Mann sinkt auf den Stuhl zurück.

Und neben ihm auf einem Platz,
da sitzt ein Kind, das sagt den Satz:
„Was ist das für ein Chaos, Vater?“
Die Antwort wird sogleich gegeben –
der Mann sagt: „Das hier ist das Leben.
So geht es zu im Welttheater.“


Taktlos

(Gedicht)

Er war ein muskulöser Mann,
Student im Fach Maschinenbau,
und machte ganz verliebt sich ran
an eine Germanistikfrau.

Er wusste nicht, was er da wagte,
doch schien es anfangs zu gelingen,
bis er sie eines Tages fragte:
„Soll ich dich jetzt noch nach Hause bringen?“

Er hätte lieber mal geschwiegen.
Die Germanistin wurde bleich.
Er sprach, um’s noch zurecht zu biegen:
„Muss ja auch nicht sofort sein. Wie wär’s … ähm … gleich?“

Das war zu viel. Sie wich zurück
und schimpfte wütend auf ihn ein:
„Du Kleingeist! Geh mir aus dem Blick!
Wie kann man nur so taktlos sein?!

Ein linguistisches Verbrechen!
Das tut ja in der Seele weh!
Kannst du denn nicht mit Versmaß sprechen?!
Er meinte etwas hilflos: „Nö.“

Da sprach sie – im Gesichte Röte:
„Der Rhythmus ist durch dich gestört!
Was bin ich froh, dass unser Goethe
schon tot ist und dich nicht mehr hört!“

Sie schrie (in Wut bald nassgeschwitzt):
„Den Abend würd’ ich gern genießen!
Wie soll das gehen? Denn du trittst
den Versfuß mit den eig’nen Füßen!

Vergiss auch die Familienplanung!
Was soll ich bloß mit einem Mann,
der vom Trochäus keine Ahnung
und keine Jamben bilden kann?!“

Dann ging sie schnellen Schrittes fort,
er spürte seinen flauen Magen,
ergriff ein letztes Mal das Wort:
„Warte! Ich muss dir was Wichtiges sagen!“

Er hätte sie noch gern geküsst.
Doch als er merkte, dass der Satz
„Ich liebe dich“ ein Jambus ist,
war’s längst zu spät und für die Katz.

Moral: Man kriegt es oft zu spüren,
seit Langem gilt das alte Spiel:
Willst schöne Frauen du verführen,
so brauchst du sehr viel Taktgefühl!


Der Tänzer

(Gedicht)

Herr Maier ging im letzten Jahr,
als der April schon fast vorbei,
auf einen Ball, der festlich war,
und tanzte in den neuen Mai.

Als Erstes stand ein Walzer an.
Herr Maier tanzte fröhlich mit.
Dann gab es Jive für jedermann,
nur Maier blieb beim Walzerschritt.

Das irritierte auf der Feier.
Man schielte oft zu ihm hinüber.
Und so verteidigte sich Maier:
„Ich tanze Walzer einfach lieber.“

Er stach hervor aus allen Massen
durch seinen andern Schritt und Gang.
Doch eines musste man ihm lassen:
er widerstand dem Gruppenzwang.