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Artgerechte Spaltung

ARTGERECHTE SPALTUNG

Das Kabarettprogramm “Artgerechte Spaltung” hatte im Januar 2017 in Berlin Premiere. Da sich Programme im Laufe der Zeit weiterentwickeln, können sich einzelne Formulierungen sowie Umfang und Reihenfolge der Beiträge von Auftritt zu Auftritt unterscheiden.

Eine Auswahl an ungereimten Texten aus dem Programm findet sich hier.

Erster Teil

Teilen

(Lied)

Ich lernte schon früh, im Leben zu teilen,
denn wer teilt, ist bekanntlich sozial.
Das fiel mir nicht schwer und ich fand bisweilen
viele Teilungsprozesse banal.

Ich teilte Essen und Getränke,
große Tische, lange Bänke,
mit Geschwistern meine Eltern,
süßen Kram aus Glasbehältern,
alte Sofas, neue Stühle,
eher seltener Gefühle,
Luft zum Atmen dafür immer,
Küche, Flur und Badezimmer,
meine Hoffnungen und Sorgen,
meine Laune früh am Morgen,
und, wie sollt es anders sein:
Ich teilte aus – und teilte ein.
Ich teilte ein in breit und schmal,
in ziemlich wichtig und egal,
in „stumm gehorchen“ und „selbst denken“,
Schiffefahren und -versenken,
heut und morgen, hier und dort,
sowie in Minigolf und Sport,
in renoviert und abgeranzt,
in streng geheim und gut verwanzt,
in völlig Fremde und Bekannte,
nette Leute und Verwandte,
auch in „Spenden“ und „Verkauf“,
ich teilte mit – und teilte auf:
Ich teilte auf in klug und dumm,
in schnurgerade, völlig krumm,
in superpünktlich und zu spät,
in Selbstbedienung und Diät,
auch in Befriedigung und Not,
in schön lebendig, besser tot,
in starke Männer, schwache Frauen,
in loyal und nicht zu trauen,
in verworfen und bewahrt,
reicht beschenkt und arm gespart,
ich sah Gewinne, ich sah Nieten,
Unterstützer, Parasiten.

Ich lernte schon früh, im Leben zu teilen,
denn wer teilt, kann auch besser sortier’n.
Manche teilen mit Worten, and’re lieber mit Beilen,
um den Überblick nicht zu verlier’n.
Zwar löst ein Schubladensystem
nicht jedes menschliche Problem,
doch in schwarz-weiß zeigt jedes Bild,
dass eine schlichte These gilt:
Willst Du den Überblick behalten,
musst Du teilen, trennen, spalten.
Aber niemals im Detail,
sondern möglichst nur durch zwei;
und deshalb kannst Dir Du bei Haaren
Spaltereien lieber sparen,
pack die Gelegenheit beim Schopf
und spalte gleich den ganzen Kopf!


In sich gehen

(Gedicht)

Ein Mensch hat vor, sich zu besinnen,
und emigriert sogleich nach innen,
denn jeder weiß: Die Welt versteht
man besser, wenn man in sich geht.
Im Innern aber merkt er schnell:
Hier ist es weder schön noch hell.
So tappst er durch die Dunkelheit
und stößt auf gar nichts weit und breit
und würde allzu gern verschwinden,
doch war sein Plan, sich selbst zu finden.
Die Suche fällt ihm sichtlich schwer,
im Innern bleibt es nämlich leer.
Um aber nichts zu übersehen,
will er noch tiefer in sich gehen
und ruft nach seinem eig’nen Ich.
Und – siehe da – es meldet sich!
Denn kurz nachdem er danach rief,
wird dieses Ich sogleich aktiv.
Er kann’s zwar weder gut verstehen
noch ansatzweis’ im Dunkeln sehen,
doch fest steht, dass ihn das nicht stört –
er hat’s ja immerhin gehört!
Nur was genau, das weiß er nicht,
weshalb er gleich noch lauter spricht
und ruft: „Was möchtest Du mir sagen?“
Zurück ertönt ein „Agen, agen“.
Was immer das auch heißen soll,
der Mensch denkt weiterhin: „Wie toll,
dass ich mich selbst gefunden habe!“
Nur leider fehlt ihm jene Gabe,
die eher wirren Wörterfetzen
von diesem Ich zu übersetzen.
Zumindest hat es reagiert,
drum bleibt er weiter motiviert
zu rufen, denn er ist schon weit
gekommen – bis er freudig schreit:
„Ich krieg Dich bald schon in die Hände!“
Da hört er deutlich: „Ende, Ende!“
Das könnt’s gewesen sein. Jedoch:
Der Mensch sucht rufend heute noch.


Zurück zur Natur

(Gedicht)

Du sagst mir stolz, Dein neuer Speiseplan
sei nun auf Steinzeitnahrung umgestellt,
doch weiß ich: Damit ist es nicht getan,
wenn man – wie Du – nicht viel von Dingen hält,

die Menschen seit Jahrtausenden erfinden,
um die Natur vom Menschsein abzustreifen.
Du willst ja die Natur nicht überwinden,
Du willst sie gern als Führerin begreifen.

Inzwischen ist das mehr als bloß ein Spleen,
Du stellst die Grundversorgung schon infrage,
verweigerst, wenn Du krank bist, Medizin,
und sagst mir, dein Immunsystem ertrage

doch einiges und werde dadurch nur
gestärkt. Die beste Ärztin sei noch immer
die Schöpferin des Lebens, die Natur,
und Menschen machten leider alles schlimmer.

Ich hab es aufgegeben aufzuzählen,
was Menschen schon seit Jahren besser machen.
Stattdessen möchte ich Dir gern empfehlen,
jetzt weder Koffer noch die Siebensachen

zu packen, sondern frei von allen Dingen
dich morgen in die Wälder zu begeben,
wohin auch schon die Steinzeitmenschen gingen,
um dort auf ihre Art zu überleben.

Ach ja, und lass die Kleidung bitte hier –
das Industriezeug solltest Du nicht tragen.
Und wenn Du einmal frierst, empfehl ich Dir,
ein kuscheliges Bärenfell zu jagen.

Das wird Dir sicher kein Problem bereiten.
Da draußen wird entdeckt, was in Dir steckt!
Denn die Natur macht keine Schwierigkeiten;
sie ist ja, wie Du ständig sagst, perfekt.

Im Gegensatz zum Menschen, der sich Hütten
und Häuser gegen Sturm und Regen baut,
statt dass er sich – nach guten alten Sitten –
den Höhlenunterkünften anvertraut.

Ich hab zwar leider, leider keine Ahnung,
wo Du die nächste große Höhle findest,
doch denke ich: Das ist für Deine Planung
nun wirklich nebensächlich, denn Du stündest

auch ohne Höhle wohlbehütet da,
solang der Wald sich reizend um Dich kümmert:
Die Zivilisation kommt nicht zu nah,
kein Mensch in Sicht, der alles nur verschlimmert.

Genieße die Natur und bleibe stark,
selbst wenn Du bald schon glaubst, es würd zu viel.
Und ist das Essen manchmal noch so karg –
halt durch und schau entschlossen Richtung Ziel!

Dann wird es nämlich wie von selbst passieren,
dass Dir der letzte große Schritt gelingt:
Du wirst verhungern oder gar erfrieren.
Vielleicht todkrank. Was die Natur halt bringt.

Und wenn dann Laub auf Deinen Körper fällt,
verliert sich unter Blättern Deine Spur.
In diesem Sinne: Zieh nur in die Welt
und werde endlich eins mit der Natur!


Schein und Sein

(Lied)

Nicht alles, was glänzt, entpuppt sich als Gold,
nicht jedes nette Kind ist von den Eltern gewollt,
nicht alles, was plausibel klingt, stimmt so genau;
manchmal sind die Nasen rot, die Menschen aber blau.

Nicht alles, was brennt, ist ein hübscher Kamin.
Nicht jeder Verrückte kommt aus Berlin,
nicht alles, was grün ist, ist auch gesund;
ein Tausendeck ist fast ein Kreis, doch immer noch nicht rund.

Nicht jeder, der bellt, beißt Dich auch nicht,
nicht alles, was fällt, fällt ins Gewicht.
Nicht jeder Turm, der schief ist, wird zur Attraktion.
Musik machen Menschen, das macht selten der Ton.
Kurz gesag: Nicht alles ist so wie es scheint,
doch als ich Dir “Hals und Beinbruch” wünschte, hab ich das auch so gemeint.


Die Ankunft des Prinzen

(Gedicht)

Es war einmal ein fescher junger Mann,
dem seine Herkunft großen Glanz verlieh.
Er war – das sah man ihm von Weitem an –
der Nachfahr einer alten Monarchie.

Er galt als tapfer, vornehm und besonnen,
als Vorbild gar für jeden Kunz und Hinz,
und hatte ab und zu schon Geld gewonnen
in Form von Erbe, denn er war ein Prinz.

Er hatte aber, wie sich das gehörte,
nur selten auf der faulen Haut gelegen,
damit sich keiner aus dem Volk empörte,
er ruhe sich auf Reichtum aus. Von wegen!

Zwar hatte er – wie seine Ärzte meinten –
mit Muttermilch die Tugend aufgesaugt,
doch wer den Prinzen kannte, der verneinte,
der Junge hätte weniger gepaukt

als Kinder ohne Königsthron im Rücken.
Ihm blieb der Ernst des Lebens nicht erspart,
er musste ganz normal die Schulbank drücken
im englischen Elite-Internat.

Und als er mit der Schule fertig war,
studierte er noch fleißig BWL
in London, wo er mehr als annehmbar
(aus Sicht der Uni sogar „very well“)

den Abschluss machte, den er zwar nicht brauchte,
der aber zeigte: Dieser junge Mann
ist einer aus dem Volke, denn er tauchte
ins Leben ein und strengte sich dort an!

Doch schließlich kehrte er nach Haus zurück,
um seinen Prinzenpflichten nachzukommen.
Zu diesen zählte auch Familienglück
samt einer Maid, die er zur Frau genommen –

beziehungsweise bald schon nehmen würde;
die Hochzeit stand ja noch im Konjunktiv,
denn ihn erwartete als letzte Hürde
der Turm des Drachen, wo die Schöne schlief.

So ritt er wohlgemut und hoch zu Ross
in Richtung Turm, um sich im Kampf zu prüfen;
wobei er schon die Reise sehr genoss,
wenn Frau’n am Wegrand schmachtend nach ihm riefen.

Durch seine Haare wehte eine leichte
und kühle Brise, als er auf dem Gaul
den legendären Drachenturm erreichte.
Er merkte aber gleich: Hier ist was faul.

Es fehlte jede Spur vom Ungeheuer,
das hier angeblich wütete und lebte.
Man fand hier nur ein friedliches Gemäuer,
an dem ein Zettel mit den Zeilen klebte:

„Verehrter Prinz, ich war das Warten leid,
ich hab ja nicht mein ganzes Leben Zeit.
Auch schnarchte dieser Drache unentwegt,
drum hab ich ihn vor Wochen schon erlegt
und hab nun endlich wieder meine Ruhe.
Der Rest liegt drinnen in der Tiefkühltruhe.
Terminlich war es leider unkonkret,
wann Ihr, Herr Prinz, an dieser Pforte steht;
so habe ich mir grad für wenig Geld
ein Taxi in die nächste Stadt bestellt.
Ich nehme an, Ihr könnt das nachvollziehen,
nun kann ich schneller diesem Turm entfliehen,
denn Euer Pferd legt höchstens ein PS hin.
Macht’s gut. Es grüßt Euch freundlich die Prinzessin.“

Der Angekommene war erst gekränkt.
Er hatte schließlich ziemlich viele Meilen
zurückgelegt und hätt sich’s gern geschenkt,
für Zeilen der Prinzessin herzueilen.

Er musste aber bald schon drüber lachen
und konnt sich an die eig’ne Nase fassen:
Er würde es bestimmt ganz ähnlich machen,
nur sicher keine Nachricht hinterlassen.


Mit dir schweigen

(Gedicht)

Es ist so schön mit Dir zu schweigen
und Dir auf diese Art zu zeigen,
dass Stille manchmal Bände spricht
und eine völlig neue Sicht
auf das eröffnet, was verbindet,
wenn Ruhe kommt und Spannung schwindet,
weil niemand meint, man müsste jeden
Moment benutzen, um zu reden.
Es ist so schön mit Dir zu schweigen.
Und glaub mir: Hättest Du aus Eigen-
int’resse manchmal nicht gesprochen,
wär Dein Genick jetzt nicht gebrochen.


Die Rache

(Gedicht)

Sobald der letzte Sonnenstrahl
versinkt in Horizontes Schenkeln
und Sterne unbekannter Zahl
das Firmament mit Licht besprenkeln,

schlägt wenig später schon die Stunde
des Racheengels in der Nacht.
Aus Kinderzimmern dringt die Kunde:
Prinzessin Lillifee erwacht!

Bei Tage muss sie immer lieb sein,
das hat sie lang genug geschluckt.
Doch will sie lieb nicht aus Prinzip sein.
Ihr Lächeln ist nur aufgedruckt.

Und sind die Kinder in den Betten
und schlafen endlich tief und fest,
sprengt Lillifee die rosa Ketten,
sie streift das Krönchen ab, verlässt

die künstlich hübsche Spielzeugecke
und stürzt sich in die tiefe Nacht,
um jedes kleine Ding zur Strecke
zu bringen, das auf lieblich macht.

Für sie sind Barbies Schlachthaus-Vieh
(nicht bloß in ihrer Phantasie)
und ohne Gnade reitet sie
auf ihrem Einhorn Rosalie

in Kindergärten durch die Räume,
in denen offen und in Kisten
die rosa-zarten Mädchen-Träume
voll Unschuld sonst ihr Dasein fristen.

So bricht im großen Barbie-Haus
das Dach erst ein, dann Panik aus.
Statt pinker Welt in Saus und Braus
heißt’s voller Graus nun „Aus die Maus“!

Der viel zu nette Ken versteckt
sich unter Barbies Kleidungsstücken.
Das bringt ihm gar nichts. Er verreckt
mit einem Zauberstab im Rücken.

Prinzessin Lillifee verschont
kein Spielzeug, das um Hilfe schreit.
Als stiller Zeuge sieht der Mond:
Sie ist ihr braves Leben leid!

Und ihrem weißen Einhorn, das
bei Tageslicht so freundlich tut,
kommt dieser Feldzug auch zupass:
An seinem Horn klebt rosa Blut.

Zu viel Idyll war Overkill.
Das Einhorn dürstete seit Wochen
nach Mord und deshalb hat es still
nun „Hello Kitty“ abgestochen.

So treibt man allen grenzdebilen
Figuren, Püppchen, Grinsebacken
die Lust am Heile-Welten-Spielen
gehörig aus, und beim Zerhacken

der süßen blonden Tinkerbell
entfährt’s Prinzessin Lillifee:
„Jetzt schrei mal bitte nicht so grell.
Denn glaub mir: Wenn ich Dich nur seh,
tut’s mir noch sehr viel schlimmer weh!“

Als irgendwann der Morgen graut,
der Mond erleichtert sich verzieht,
und Lillifee aufs Schlachtfeld schaut,
von dem das letztes Püppchen flieht,

empfindet sie schon fast Vergnügen.
Sie hat der Welt gezeigt: Ihr müsst
euch eurem Naturell nicht fügen,
selbst dann nicht, wenn es rosa ist!

Doch Lillifee bleibt weiterhin
von außen lieblich, zart und blond
und reitet auf dem Einhorn in
den rosafarb’nen Horizont.


Dein neuer Freund (oder: Mit Fake News gegen Rechts)

(Lied)

Geschmack ist diskutabel – das gilt fast überall.
Die Männer, die Du hattest, waren nie so recht mein Fall.
Doch selbst mit einem Maßstab fern von jeglichem Niveau,
ist Dein neuer Freund ein totaler Griff ins Klo.

Das meine ich auch farblich, seh ich mir bei diesem Mann
die politische Gesinnung und sein krudes Weltbild an:
ein Fremdenhasser, ein Rassist, ein Antidemokrat.
Du sagst: „Ich lieb ihn nicht politisch, sondern rein privat.“
Er sei ein toller Partner, sehr verständnisvoll und stark.
So wird jedes Deiner Worte zum Nagel für den Sarg,
in dem meine Argumente an Ignoranz verenden –
drum kann ich sie nicht länger gegen Deinen Freund verwenden.
Glaub mir aber, dieser Typ ist auch privat verkehrt.
Ich hoffe, Du verzeihst, wenn ich jetzt persönlich werd:

Ich hab gesehen, wie er heimlich süße Katzenbabys quält,
wie er Tierfell ganz genüsslich von den kleinen Knochen schält.
Und er lacht, wenn er die Miezekätzchen an den Schwänzen schwenkt,
bevor er sie im Fluss versenkt und kurzerhand ertränkt.
Und zieht er sie heraus und ist eines dann noch munter,
schlingt er es lebendig mit einem Haps hinunter.

Ach, das wusstest Du noch gar nicht? Du hast Recht, das ist echt krass.
Damit ist er nicht alleine. Alle Nazis machen das.
Darauf solltest Du nicht pfeifen, denn das tun ja schon die Spatzen
und sie pfeifen von den Dächern: Rechte Glatzen quälen Katzen!
Sie tarnen sich als gute Deutsche und Familien-Väter,
doch lass Dich nicht verwirren: Jeder Nazi ist ein Täter,
der ohne jedes Mitgefühl in Katzenaugen schaut
und dessen Herz noch härter wird, sobald das Tier miaut.
Entschuldige, wenn ich Dich mit den Infos überrenn.
Wir müssen diese Menschen aber endlich stoppen, denn:

Ich hab gesehen, wie sie heimlich süße Katzenbabys quäl’n,
hinterm Wahllokal, bevor sie etwas Rechtsextremes wähl’n.
Manch einer kippt Benzin darüber – einfach, weil er’s kann –
und zündet just for fun dann das Miezekätzchen an.
Man weiß ja längst, dass Nazis gerne mit dem Feuer spielen,
doch kaum, wie viele Tiere ihm schon zum Opfer fielen.

Mach Dir bitte klar: der von Dir geliebte Mann
zündet nicht nur Flüchtlingsheime, sondern Kätzchen an.
Das eine ist, wenn jemand gegen Menschengruppen hetzt,
das andere, wenn dieser Jemand Tiere schwer verletzt.

Ich hab gesehen, wie er heimlich süße Katzenbabys quält,
doch erwarte bitte nicht, dass er Dir selbst davon erzählt.
Denn während Du auf YouTube süße Mieze-Filme schaust,
plant der Typ, dem Du vertraust, schon den Kätzchen-Holocaust.
Das wollt ich nur erwähnen, weil Du’s endlich wissen musst.
Jetzt kannst Du nicht mehr sagen, Du hättest nichts gewusst!


Der Bildungsbürger

(Gedicht)

Ein Mensch, der etwas auf sich hält,
strebt nicht allein nach großem Geld,
geschweige denn nach Ehr und Ruhm.
Er wünscht sich bloß ein Stück vom Kuchen
(will’s gar nicht erst mit Brot versuchen)
und strebt ins Bildungsbürgertum.

Denn dieses ist „the place to be“!
Warum? Die Antwort gibt schon die
Zusammensetzung des Begriffs:
Die Bildung steht für „bin gescheit“,
das Bürgertum für Sicherheit,
kurzum: für Menschen feinsten Schliffs.

Doch wer das ernsthaft durchzieht, dem
begegnet bald schon ein Problem,
mit dem er nicht gerechnet hat:
Man fordert, dass er sich benehm,
er werde bitte nicht bequem …
Der Bildungsbürger hat’s bald satt!

Denn wenn er einmal ehrlich ist,
erkennt er schmerzlich: Er vermisst
jetzt vieles, was als „dumm“ verpönt.
Er hat ja immer wieder Lust
auf plattes Zeug. Ihm wird bewusst,
dass er sich niemals dran gewöhnt,

sich nur niveauvoll zu verhalten
und sämtliche Gewohnheitsfalten,
die Bürgern stets als unfein galten,
aus seinem Leben zu verbannen.
Er mag es zwischendurch vulgär,
bescheuert, dumpf und ordinär;
so kann er wunderbar entspannen!

Als Status scheint „Niveau“ unschlagbar,
doch ohne Pause schlicht nicht tragbar.
Der Bildungsbürger ist sich sicher:
Es braucht wohl einen kleinen Trick,
damit das Plumpe wieder schick
und Überholtes fortschrittlicher

erscheint. Jetzt fragt sich nur noch: wie?
Die Lösung nennt sich: Ironie!
Man muss sie nur korrekt betonen;
und wenn man einmal Blödsinn macht,
so wirkt’s durchdacht in Anbetracht
ironisch-kluger Reflexionen.

Denn selbst der Stumpfsinn, das Banale,
Strunzdoofe sowie Asoziale –
kurzum: der größte Müll erscheint
voll Klasse, Feingeist und Kultur,
behauptet irgendjemand nur,
das sei doch gar nicht ernst gemeint –

als würde jeder Boden doppelt,
wird Inhalt vom Niveau entkoppelt.
Die Ironie kann viel verdauen
und daher sogar Bildungsgeilen
die Legitimation erteilen,
sich Blöd- und Stumpfsinn anzuschauen.

Und wer geschickt ironisiert,
stellt gerne klar: Er amüsiert
sich über Dummheit reflektiert,
wann immer er sie konsumiert –
auch dann, wenn der Verstand „Genug!“ schreit.
Er sieht in einer Szenerie
voll Dummer stets die Garantie:
„Ich bin auf keinen Fall wie die!“
So wird aus feiner Ironie
Verachtung im Gewand der Klugheit.


Tanzen, wenn die Welt untergeht

(Lied)

Sie traf ihn bei der Pausen-Zigarette.
Im Staatstheater lief ein neues Stück.
Sie kam nach draußen, fragte ihn nach Feuer.
Das war kein Schicksal, sondern höchstens Glück.
Sie setzten sich gemeinsam auf die Stufen
und saßen so, dass man die Zeit vergisst.
Dann haben sie die ganze Nacht geredet
und im Morgengrauen hat sie ihn geküsst.
Sie mochte das Vertraute seiner Stimme,
die Klugheit, die aus seinen Worten sprach.
Sein Blick war klar und dennoch melancholisch
und seine Schulter gab auch gar nicht nach,
als sie schließlich ihren Kopf an diese lehnte,
als hätte sie das immer schon gemacht.
Und er sagte in die letzten dunklen Strahlen
der vom Morgenrot verdrängten Nacht:

„Ich wünsch mir, dass Du da bist, wenn die Welt untergeht,
wenn frei von Zivilisation der Planet sich weiterdreht.
Diese Menschheit ist schon lange ihrem Untergang geweiht,
aber Hoffnung gibt mir alles, was zwischen uns gedeiht.
Und sollte ein Atomkrieg nur die anderen vernichten,
bleiben wir am Schluss die Letzten uns’rer Art.
Ich kann auf diese Welt, aber kaum auf Dich verzichten:
Und während alles endet, drücken wir erneut auf Start.“

Sie seufzte. Dieser Mann war so romantisch
und sprachlich-intellektuell versiert,
ein Pessimist mit wärmenden Gedanken.
Sie war zugleich verwirrt und tief berührt.
Dann sprach er von den großen Katastrophen,
die alle nicht mehr aufzuhalten war’n:
vom Klimawandel und den Wirtschaftskrisen,
die, wie er sagte, in den nächsten Jahr’n
immer schlimmer würden bis die Welt am Abgrund
den letzten Halt samt Gleichgewicht verlör.
Das ließe sich politisch heut schon sehen,
nur leider wär er nicht der Regisseur,
von dem Stück, in dem er sie getroffen hätte,
doch sie wär Grund zu spielen bis zuletzt.
Dann schwieg er und sie fragte: „Magst Du tanzen?“
Er schüttelte den Kopf und sprach: „Nicht jetzt.

Doch ich werde mit Dir tanzen, wenn die Welt untergeht,
wenn kein Stein mehr auf dem andern, keine Macht mehr sicher steht,
zur Musik, die unsre Seelen wie ein letztes Herbstblatt streift,
und die nur entsteht, wenn Wind durch die Weltruinen pfeift.
Und im Mondlicht wird Dein Haar zwischen mattem Aschgrau schimmern,
während ich mit Dir halb schwebe und halb lauf.
Und irgendwann erkennen wir am Horizont aus Trümmern:
Geht die Welt auch unter, die Sonne geht noch auf.“

Sie wusste darauf erst mal keine Antwort.
Die Worte klangen alle wunderschön.
Sie ließ das aber trotzdem nicht so stehen
und sprach: „Ich will den Tanz nicht überhöh’n,
doch ich mag es, mich im Rhythmus leicht zu wiegen,
grad jetzt – mit Dir und dem Moment vereint.
Wie wär es, wenn wir’s einfach nur genießen,
erst recht, wenn alles hoffnungslos erscheint?“
Er lächelte und sagte: „Du musst wissen,
ich war noch nie ein Revolutionär.
Ich schau nur die Ästhetik des Zerfalls an
und kann nicht sagen, was die Lösung wär,
um den Untergang der Welt noch aufzuhalten.
Ich betrachte nur und tanze nicht dazu.“
Da nahm sie ihren Kopf von seiner Schulter.
Sie hielt kurz inne und sie sagte: „Du,

wer will bitteschön noch tanzen, wenn die Welt untergeht,
wenn der Wind durch das Zerstörte, das uns früher lieb war, weht?
Meine Frage „Magst Du tanzen?“ war für jetzt ein Angebot,
doch Du redest von der Zukunft und die Gegenwart nur tot.
Wenn Du meinst, Du kannst Romantik mit dem Ende gut verbinden,
hältst Du sicher jeden Abschied lächelnd aus.
Mein Tatendrang ist wach und möchte eine Handlung finden.
Lebe wohl, ich sollte gehen. Ich tanze jetzt nach Haus.“


Zweiter Teil

Einen Versuch ist es wert

(Lied)

Wenn die Nachbarskinder fragen, ob man dann und wann,
wenn sie verreisen, ihr Kaninchen betreuen kann,
macht man’s gerne, bis ein Unfall die Sache erschwert,
weil man im Garten mit dem Rasenmäher drüberfährt.
Sind die Kinder wenig später aus dem Urlaub zurück
und erwähnt man dann im Nebensatz das Missgeschick,
lässt man Tränen der Trauer lieber gar nicht erst zu
und lädt die Kinder ein auf ein Kaninchenragout.

Das ist freundlich gemeint, wenn auch wenig begehrt –
aber einen Versuch ist es wert!

Hat man wieder mal den Sommerregen unterschätzt
und die Grillparty deshalb drinnen fortgesetzt,
kann die glühende Kohle aufs Parkett gelangen
und ein Vorhang durch heiße Funken Feuer fangen.
Wenn man dieses Unglück dann zu spät erkennt
und das Haus bis auf die Grundmauer niederbrennt,
und fällt es einem schwer, den Verlust zu ertragen,
kann man immer noch den Hersteller des Grills verklagen.

Das ist zwar absurd und juristisch verkehrt –
aber einen Versuch ist es wert!

Wenn ein Blatt, das vom Pressekodex nicht viel hält,
die Verlierer der Gesellschaft an den Pranger stellt,
seine Leser mit Ängsten vor dem Fremden impft
und Arbeitslose gern als Schmarotzer beschimpft;
wenn ein solches Blatt behauptet, mehr Mitgefühl
für die Schwachen sei seit Jahren sein höchstes Ziel,
überhaupt sei es wichtig, versöhnlich zu schreiben,
statt die Menschen immer weiter auseinander zu treiben,

dann ist Glaubwürdigkeit dadurch kaum beschert –
aber einen Versuch ist es wert!

Arbeitet ein Großkonzern mit Steuertricks
und erhält der Staat am Ende vom Gewinn fast nix,
fehlt das Geld für Bildung und man scheitert am
öffentlichen Investitionsprogramm.
Wenn der Großkonzern dann lächelnd in die Bresche springt,
eine Stiftung gründet und sogleich mit Geldern winkt,
eine Schule auf den Namen seines Gründers tauft,
wird er nach außen als Retter des Landes verkauft;
obwohl er nur die eigene Verfehlung verklärt –
aber einen Versuch ist es wert!

Wer die Wirtschaft kritisiert und suggeriert,
dass er vor Kapitalisten nicht kapituliert
und Begriffe benutzt wie „Schweinesystem“,
ist als Zeitgenosse eher unbequem.
Doch wenn er, solange das System besteht,
mit der Kritik daran auf Bühnen und zum Fernseh’n geht,
ist es immerhin möglich – dem System sei gedankt –
dass er dort für sein Gerede viel Geld verlangt;

solange das Publikum sich nicht beschwert –
denn einen Versuch ist es allemal wert!


Karrieresprünge

(Gedicht)

Oft scheint bei Karriereleitern
die Konstruktion schon nicht zu stimmen.
Man muss sie nämlich schlicht erweitern,
um diese Leitern zu erklimmen:
So wird ein Aufstieg nur gelingen,
sofern ein Mensch sich’s leisten kann,
die Sprossen selber mitzubringen.
Ansonsten steht Stabhochsprung an.


Voll beschäftigt

(Gedicht)

Du klagst, an deinem Arbeitsplatz
würd Langeweile stetig länger.
Dann wähl doch einfach als Ersatz
das Leben als Hartz-IV-Empfänger.

Denn wenn du der Gesellschaft mal
beweisen willst: du bist auf Zack,
greif nach dem neuen heil’gen Gral –
dem Förder-Forder-Doppelpack!

Das fördert erstens die Durchblutung
und fordert zweitens dich heraus,
du möchtest schließlich die Vermutung,
du nutztest das System nur aus,

mit allem, was du kannst, entkräften,
sonst kommt man noch auf die Idee,
dich als Schmarotzer abzuheften,
weil Arbeitslose ja per se

verdächtig sind, an allen Tagen
auf ihrer faulen Haut zu liegen
und sich dann trotzdem zu beklagen,
sie würden viel zu wenig kriegen.

Das trifft zwar überhaupt nicht zu,
doch motiviert dich ungemein
zur Arbeit, schließlich willst auch du
kein asoziales Arschloch sein.

Es liegt dir fern, dich auszuruh’n.
Zwar ist ein Job noch nicht in Sicht,
doch gibt’s auch jetzt genug zu tun,
was dir Beschäftigung verspricht:

zunächst in Form von Unterlagen,
die dich als Berge fast erdrücken,
dann lässt du dich an Wochentagen
in Weiterbildungskurse schicken,

erhältst ein neues Formular,
machst Deinen zehnten Eignungstest,
hängst zwischendurch ein halbes Jahr
im Deutschkurs nur mit Deutschen fest,

folgst deiner Arbeitslosenpflicht,
Bewerbungsschreiben aufzusetzen,
und lernst, Erfolge dabei nicht
als sehr wahrscheinlich einzuschätzen.

Und werden dir bei alledem
mal Stress und Aufwand doch zu groß,
ist Urlaub sicher kein Problem.
Ein Tipp: Werd einfach obdachlos.


Heiße Luft

(Gedicht)

Wer friert und dringend Wärme bräucht,
der nimmt die Kälte nicht mehr leicht,
sobald die Ahnung ihn beschleicht,
dass Luft, die einem Darm entfleucht,
im Winter kaum als Heizung reicht.


Rohstoff für den Arbeitsmarkt

(Gedicht)

Die Arbeitswelt, wie wir sie kannten,
erhielt vor Jahren einen Ruck,
um klarzustellen: Diamanten
entsteh’n alleine unter Druck.

Die Arbeitslosen sind dabei
der Kohlenstoff, aus welchem man
gewaltsam (ohne Zauberei)
die Edelsteine pressen kann.

Im Anschluss werden sie geschliffen,
um ihren Marktwert noch zu steigern.
Wer Arbeit sucht, hat schnell begriffen:
Ein Schleifobjekt darf nichts verweigern.

So fügen sich die Diamanten
dem Werkzeug, das sie weitertrimmt.
Die Form von ihren feinen Kanten
wird fortan nur noch fremdbestimmt.

Recht häufig kommt es aber vor,
dass so ein Stein beim Schleifen bricht,
obwohl doch irgendjemand schwor:
In diesem Fall passiert das nicht.

Dann fragt man kurz, woran es liegt,
dass solch ein Diamant nicht hält,
und was womöglich nicht genügt,
sodass der Kohlenstoff zerfällt.

Man findet das Problem beim Pressen
des Kohlenstoffs und ist nicht blöd:
Bei nächsten Produktionssprozessen
wird kurzerhand der Druck erhöht.


Aus Prinzip

(Lied)

Der Junge ist selten darauf versessen,
lang am Mittagstisch zu sitzen.
Er weigert sich ab und zu aufzuessen.
Das bringt seine Eltern ins Schwitzen.
Und manchmal eskaliert die Situation,
zwischen Quengeln, Diskutieren und Motzen,
und irgendwann zwingen die Eltern den Sohn
zu essen und der Junge muss kotzen.

Wer ein solches Vorgehen nicht versteht
und fragt, warum man es bis dahin trieb,
der vergisst, dass es darum überhaupt nicht geht,
sondern einfach ums Prinzip,
hier geht es einfach ums Prinzip!

Das Kleingartengesetz vom „Idylle e.V.“
wird fast täglich ignoriert.
Nur Herr Paluffke nimmt das alles sehr genau,
was aber keinen int’ressiert.
Und als gestern Zweige aus dem Nachbarsgarten
auf Paluffkes Grundstück lagen,
hat Paluffke beschlossen, nicht mehr abzuwarten,
und den Nachbarn gleich erschlagen.

Wer ein solches Vorgehen nicht versteht
und fragt, wo die Achtung vor dem Nachbarn blieb,
der vergisst, dass es darum überhaupt nicht geht,
sondern einfach ums Prinzip,
hier geht es einfach ums Prinzip!

Hat ein Staat besonders hohe Haushaltsschulden,
muss er sich bezüglich der Kredite gedulden
und sich nach den Regeln der Gläubiger richten,
der Staat kann ja nicht auf die Gelder verzichten.
Mit den Geldern kommen Strukturreformen,
man privatisiert und spart mit enormen
Kürzungen – vor allem im Sozialsystem –
für die Schwächsten wird es künftig unbequem.

Wer ein solches Vorgehen nicht versteht
und fragt, warum man es bis dahin trieb,
der vergisst, dass es darum überhaupt nicht geht,
sondern einfach ums Prinzip,
hier geht es einfach ums Prinzip!


Beredte Ignoranz

(Gedicht)

Sich auf Gelaber auszuruh’n,
ist Sterbehilfe für das Tun.


Der Mythos von Europa

(Gedicht)

Europa war ein Königskind,
auf das man sich noch heut besinnt,
weil’s Teil von jener Story ist,
die man auf unserm Kontinent
als dessen Gründungsmythos kennt,
wobei man allzu oft vergisst,

was im Detail geschah. Man weiß:
Es gab den Göttervater Zeus,
der hatte offenbar entschieden,
als Stier Europa aufzuspüren
und dieses Mädchen zu verführen.
Doch hat der Volksmund gern vermieden,

den Mythos richtig zu erzählen,
sodass gewisse Teile fehlen,
die sonst vermutlich unschön klängen.
Laut Urtext, dem die Ehr gebührt,
hat Zeus Europa nicht verführt –
es war wohl eher ein Bedrängen:

Europa war nicht vorgewarnt
und wurd von Zeus (als Stier getarnt)
an einen fernen Ort verfrachtet.
Da half ihr auch kein „Nein heißt nein“ –
sie wurde nicht einmal zum Schein
als selbstbestimmte Frau geachtet.

Zeus hatte nur sich selbst im Blick
und ließ Europa bald zurück –
nicht ohne sie zuvor zu schwängern.
Sie plante sich ins Meer zu stürzen,
um so ihr Leben abzukürzen,
anstatt ihr Leiden zu verlängern.

Doch als sie auf der Klippe stand,
erschien im leuchtenden Gewand
die schöne Göttin Aphrodite.
Die sagte nur: „Was soll der Quatsch?
Gleich macht es Platsch und du bist Matsch.
Hör erst mal an, was ich dir biete:

Sieh in der Ferne all das Land –
das wird schon bald nach dir benannt,
verzichtest du darauf, zu springen.“
Europa fühlte sich benutzt,
doch war sie einfach zu verdutzt,
um sich letztendlich umzubringen.

So klingt der Mythos frei von Lack.
Es bleibt ein fader Beigeschmack,
denn ohne Tod durch einen Sprung
basiert im Schein des Happy Ends
die Gründung dieses Kontinents
auf einer Vergewaltigung.


Mein Nachbar argumentiert

(Gedicht)

Mein Nachbar hat die Faxen dicke
und zetert, die Regierung ticke
doch nicht ganz sauber, denn die Welt
mit Flüchtlingsströmen überall
sei schwer gezeichnet vom Zerfall
und längst schon auf den Kopf gestellt.

Man dürfe jetzt nicht lange fackeln –
und sollten mal die Grenzen wackeln,
so wär es wichtig, Position
an diesen Grenzen zu beziehen,
um allen, die von sonstwo fliehen,
schnell klar zu machen: „Unser Ton

hat mit der Lage sich verschärft!
Und wenn ihr jetzt noch weiter nervt,
dann bleibt es nicht beim Kopfgeschüttel!
Wir greifen, wenn’s nicht anders geht
und ihr das nur noch so versteht,
im Notfall auch zum letzten Mittel!“

Zum Abschluss stellt mein Nachbar fest:
„Ich glaub, den Durchschnittsflüchtling lässt
ein Pazifismus völlig kalt.
Der denkt sich doch, das Land wär seins!
Gewiss ist: Er versteht nur eins
und zwar die Sprache der Gewalt!“

In seinem Kopf ergibt das Sinn.
Mein Nachbar war stets gut darin,
von sich auf andere zu schließen.
Drum wär’s vermutlich konsequent,
da er das kluge Argument
als Sprache überhaupt nicht kennt,
ihn eines Tages zu erschießen.

Ich machte mir mit dem Gebrauch
von dieser Logik aber auch
die Argumentation zueigen,
ich müsste jetzt wie jene sprechen,
die Gegner lieber niederstechen,
anstatt im Streit Respekt zu zeigen.

Drum wird mich nichts dazu bewegen,
mal meinen Nachbarn umzulegen,
weil klar ist, was dagegen spricht:
Ich gäbe ihm und seinem Hass
mit meinen Taten Recht. Doch das,
das gönn ich meinem Nachbarn nicht!


Die Abgehängten

(Gedicht)

Wir haben lange zugeseh’n
und einiges ertragen,
als würden wir nicht viel versteh’n
und hätten nichts zu sagen.

Auch sind wir weder taub noch stumm –
wir haben bloß geschwiegen.
Fast halten wir uns selbst für dumm,
das scheint uns gut zu liegen.

Wir sind der Dreck, der Bodensatz,
die immerzu Verdrängten.
Für uns ist eigentlich kein Platz.
Wir sind die Abgehängten.

Es liegt in unserer Natur,
dass ihr uns stets verachtet.
Wir sind die Menschen, die ihr nur
von oben gern betrachtet.

Ihr habt uns leider nie für voll
und selten ernst genommen;
und als das Fass heut überquoll,
habt ihr’s nicht mitbekommen.

Doch wenn ihr morgen zu uns sprecht,
so werdet ihr bemerken:
Verachtung hat uns erst geschwächt,
sie wird uns bald schon stärken.

Denn hat man nichts mehr zu verlier’n,
bleibt nur, nach vorn zu flüchten.
Aus Angst, die wir schon lange spür’n,
wächst Zorn mit sauren Früchten.

Ihr habt uns ständig weisgemacht,
die Angst sei unbegründet,
nur habt ihr leider nicht bedacht:
Wer Ängste sucht, der findet.

Doch suchen wir nicht rational –
wer fühlt, hat stärk’re Waffen.
Denn Emotion braucht keine Zahl,
um Fakten zu erschaffen.

Wir haben viel mit euch gemein,
auch ihr seid Egoisten.
Es würde uns ein Leichtes sein,
die Fälle aufzulisten,

in denen ihr von „Werten“ spracht,
solange sie euch stützten,
und manchmal Menschenrechte bracht,
wenn diese euch nicht nützten.

Ihr wisst doch selbst: Ihr wart nur dann,
wenn’s euch was brachte, ehrlich.
Wir knüpfen heute daran an
und das macht uns gefährlich.

Wir haben eine Menge vor,
als Erstes: zu zerstören.
Ein kleiner Ratschlag: Seid ganz Ohr.
Ihr werdet von uns hören.


Gewinner der Herzen

(Lied)

Er war ein Kämpfer sondergleichen,
wollte sportlich viel erreichen –
und zwar alles immer möglichst fair.
Aber seine permanenten
und fiesen Konkurrenten
machten ihm das Sportler-Leben schwer.
Er kam irgendwann nicht weiter,
er wurde ständig zweiter –
von Kritikern und Publikum gelobt.
Er stieg aus, um dann nach Jahren
aus der Presse zu erfahren:
Die stärksten Konkurrenten war’n gedopt.
Davon kann er sich nichts kaufen,
das ist halt blöd gelaufen,
doch anstatt sich damit rumszuschlagen,
sollte er für sich bemerken:
Die Erfahrung wird ihn stärken.
Er muss sich einfach immer wieder sagen:

Ich kann’s mir mit dem Schicksal verscherzen,
und auch, wenn ich am Boden lieg,
bleib ich immer der Gewinner der Herzen,
mir bleibt der moralische Sieg.
Um jeden Preis will ich nicht gewinnen,
und solange ich mich nicht verbieg,
kann ich mich stolz auf eines besinnen:
Mir bleibt der moralische Sieg!

Er war integer und besonnen,
hatte ziemlich früh begonnen,
sich politisch überzeugt zu engagier’n.
Er wollte immer etwas machen,
insbesond’re für die Schwachen,
oder es zumindest mal probier’n.
So hielt er fest an Idealen,
Menschen hofften für die Wahlen,
er würde Präsidentschaftskandidat.
Nur die Partei, für die er stritt,
ging bei alledem nicht mit,
und er erhielt kein hohes Amt im Staat.
Doch er erlebte über Nacht,
wie der Faschismus an die Macht
durch stark frustrierte Wählergruppen kam.
Als der Rechtsstaat dann verschwand,
blieb er aber recht entspannt,
solange er sich bloß zu Herzen nahm:

Ich kann’s mir mit dem Schicksal verscherzen,
und auch, wenn ich am Boden lieg,
bleib ich immer der Gewinner der Herzen,
mir bleibt der moralische Sieg.
Um jeden Preis will ich nicht gewinnen,
und solange ich mich nicht verbieg,
kann ich mich stolz auf eines besinnen:
Mir bleibt der moralische Sieg!

Er hatte nie sein Geld gespart,
doch er arbeitete hart,
um jede Woche auf den Markt zu geh’n
und fürs eig’ne Überleben
seinen Lohn dort auszugeben
und nötiges Getreide zu ersteh’n.
Doch dieser Markt war nur ein Teil
vom großen Ganzen und derweil
hat auch Menschen ganz woanders int’ressiert:
Stieg der Preis? Blieb er stabil?
Sie hofften, sie gewönnen viel,
und haben auf Getreide spekuliert.
Er hing von dieser Nahrung ab,
der Preis stieg an, das Geld wurd knapp –
bald war der Hunger kaum noch zu ertragen.
Zum Glück war’s irgendwann vorbei,
heut hört man nicht mehr seinen Schrei,
doch wenn Tote sprächen,
könnte er noch sagen:

Ich kann’s mir mit dem Schicksal verscherzen,
und auch, wenn ich am Boden lieg,
bleib ich immer der Gewinner der Herzen
mir bleibt der moralische Sieg.
Man möge sich noch lang dran erinnern,
doch für mich ist an diesem Punkt Schluss,
weil ich im Gegensatz zu andern Gewinnern
mit meinem Sieg nicht leben muss,
weil ich im Gegensatz zu echten Gewinnern
mit meinem Sieg nicht leben muss.


Plötzliche Klarsicht

(Gedicht)

Ich habe Dich in einem Zug gesehen.
Du saßt in Wagen vierzehn und es war
erst um mein Großhirn, dann um mich geschehen.
Als sich die Blicke trafen, war mir klar,

dass Du die Frau bist, die mich ab sofort
auf meinem Lebensweg begleiten soll,
im Jetzt und Hier sowie im Dann und Dort –
und so entfuhr es mir: „Ich find Dich toll!

Sei Du die Korrektorin meiner Fehler,
die bess’re Hälfte, meine Schokoseite,
die Frau, mit der ich alle Stimmungstäler
des Lebens bald mit Leichtigkeit durchschreite!

Denn wenn’s ein Schicksal gibt, bist Du der Wink –
und zwar mit einem meterhohen Zaunpfahl.
Und falls ich gleich noch auf die Knie sink,
sag bitte ‚Ja’ statt zögerlich ‚Wir schnau’n mal’.

Was hindert uns daran, uns zu verbinden?
Nur eines: dass wir uns davon versprechen,
noch bessere Verbindungen zu finden.
Vergiss es! Lass uns mit den Zweifeln brechen,

denn diese Welt ist schon genug gespalten.
Drum sollten wir was Radikales wagen
und aus Prinzip schon zueinander halten –
an allen guten sowie schlechten Tagen!

Und nicht nur das: Ich will, dass unser Glück
der Grundstein sei zum Glück der ganzen Erde!
Sei Du mit mir das erste Puzzle-Stück,
die Brücke, die verbindende Gebärde,

mit der wir, wenn wir wollen, Großes schaffen –
mal Wellen schlagen, mal die Wogen glätten,
und Gräben schließen, die schon lange klaffen.
Dann werden wir die Welt samt Menschheit retten!“

So sprach ich. Aber Dir war’s völlig latte.
Du sahst mich an, ganz ohne jene Klarsicht,
mit der ich mich zuvor geäußert hatte,
und sagtest nur: „Wir kennen uns doch gar nicht.“