MONATSGEDICHTE
Auswahl (2013-2022)
Manche der Monatsgedichte sind bloß lyrische Momentaufnahmen, andere sind aktuell geblieben. Hier findet sich eine handverlesene Auswahl aus den ersten zehn Jahren.
2013-2017
Später Besuch
(2013)
Ich träumte, dass zu später Stunde
die Klingel meiner Wohnung schellte,
und fragte mich, wer seine Runde
grad zog und sich zu mir gesellte.
Ich öffnete, ums zu erfahren,
nach kurzem Zögern schon die Tür
und meine Worte darauf waren:
„Ach je – was machen Sie denn hier?“
Dort stand ein Mann. Nicht allzu alt.
(Ich würde ihn auf dreißig schätzen.)
Von Bildern war mir die Gestalt
bekannt. Ich bat sie, sich zu setzen.
So trat der Mann gemächlich ein
und ließ sich auf mein Sofa sinken
und merkte an: „Ein Tee wär fein.
Ansonsten brauch ich nichts zu trinken.“
Er sagte das – als wär’s normal –
auf Deutsch (und auch noch ohne Slang!),
denn Träume wirken zwar real,
doch sind bei Sprachen selten streng.
Aus diesem Grunde brauchte ich
mein Englisch gar nicht rauszukramen.
Bei Ingwer-Tee ergab es sich,
dass wir darauf zu sprechen kamen,
wohin den Mann die Reise führte,
auf der er sich zur Zeit befand.
Ich merkte, wie mich das berührte
und dass ich viel Respekt empfand.
Er wurde von Geheimdienstleuten
des Westens nach wie vor gejagt,
sein Kopf erschien auf Titelseiten
und war auf Youtube sehr gefragt.
Er hatte nämlich in der Tat
(zunächst nur heimlich und versteckt)
den Überwachungsapparat
der großen Mächte aufgedeckt.
Und deshalb saßen diese Mächte
ihm jetzt seit Wochen schon im Nacken,
als ob es irgendetwas brächte,
ihn einzufangen und zu packen.
„Denn“, so bemerkte er entspannt,
„die Pläne, die ich jüngst entlarvte,
sind künftig weiterhin bekannt –
ganz gleich, wie hart man mich bestrafte.“
Es gebe nur noch ein Problem:
Solange er im Fokus stehe,
anstelle vom Kontrollsystem,
sei’s besser, wenn er zügig sehe,
sich möglichst ganz zurückzuziehen.
Zum einen nerve es ihn sehr,
vor diesem Lumpenpack zu fliehen,
zum andern sei es leider schwer,
den Menschen draußen zu vermitteln,
sich nicht auf ihn zu konzentrieren.
Er meinte: „Um euch wachzurütteln,
darf ich mich nicht mehr engagieren.
Ach ja – den Tee hab ich genossen.
Ich wünsche eine gute Nacht!“
Im Anschluss hat er sich erschossen
und ich bin schreiend aufgewacht.
Der Emigrant
(2014)
Das Schmunzeln kann er sich nur schwer verkneifen,
wenn Deutsche sich dazu verleiten lassen,
ein altes Stammtisch-Thema aufzugreifen,
und was zur Armutsmigration verfassen.
Natürlich tun ihm die Migranten leid.
Es freut ihn dennoch, wenn er davon liest
und dadurch weiß, dass sich in nächster Zeit
der Zorn gewiss nicht über ihn ergießt.
So lehnt er sich zurück und bleibt entspannt,
aus der Erfahrung weiß er ja bereits:
Die Reichtumsmigration wird kaum erkannt.
Wie schön ist doch ein Konto in der Schweiz!
Festungsgesang
(2014)
auf eine Ost- oder West-Nationalhymne singbar
Auferstanden aus Ruinen
wurde unser Kontinent
stark, und alle Länder schienen
wie ein Teil vom Happy End.
Menschen kämpften, Menschen starben
für den Frieden in der Welt.
Was wir hier geschaffen haben,
ist ein Glück, das lange hält.
Einigkeit und Recht und Freiheit
schenkt uns nämlich die EU
und zur Stärkung unsrer Einheit
machen wir die Grenzen zu.
Boote schwimmen, kentern, stranden,
Menschen flüchten bis hierher.
Mancher kommt dabei abhanden
mitten auf dem Mittelmeer.
Das ist tragisch, aber leider
müssen wir da konsequent
bleiben, denn die Wirtschaftsneider
schaden unserm Kontinent.
Will ein Flüchtling es versuchen,
ruft ihm zu: „Du Depp verkennst:
Jeder will ein Stück vom Kuchen,
doch die Anzahl ist begrenzt.“
Frieden haben wir geschworen,
deshalb geht’s uns heute gut.
An Europas Festungstoren
klebt jetzt höchstens außen Blut.
Trauert nicht um Flüchtlingsleichen,
denn wer ehrlich ist, der weiß:
Frieden dauerhaft erreichen
kann man nur um diesen Preis.
Herbst
(2014)
Die Luft ist heute überraschend kühl,
ist windig unterwegs, macht selten Rast.
Im kalten Hauch beschleicht mich das Gefühl,
ich hätt’ den Sommer wieder mal verpasst.
Wo sind die warmen Tage hin, von denen
ich mir am Jahresanfang viel versprach?
Ich meine mich nach Kommendem zu sehnen,
doch im Kalender ist es schon danach.
An einen Frühling mag ich mich entsinnen,
an Aufbruchsstimmung, Ziele und den Plan,
gemeinsam etwas Großes zu beginnen.
Wohin verschwand im Anschluss der Elan?
Was wurde aus dem Drang, der in uns steckte,
aus jenem Antrieb, der uns weiterbrachte?
Wo blieb die Neugier, die das Umfeld weckte,
das Feuer, das ein Geistesblitz entfachte?
Das alles ging wohl, als der Sommer kam.
Von diesem haben wir dann kaum gezehrt,
denn Statisches ist von Natur aus lahm
und somit weniger erinnernswert.
Zum Frühling lässt sich einiges erzählen,
der Sommer aber ist ein Status quo,
dem weitere Entwicklungsstufen fehlen –
zwar schön und warm, doch bleibt er eben so.
Das Faszinierendste ist stets, was sich bewegt,
was wächst und was sich noch verändern lässt.
Ein definiertes Zielereignis legt
zugleich den Punkt für einen Stillstand fest.
Denn schließlich sind es ja die Übergänge,
die ganz besonders intensiv erscheinen.
Entwicklung zieht Momente in die Länge –
zumindest kann man das im Rückblick meinen.
Und wenn uns dann der Sommer beispielsweise
erfasst, ergibt sich häufig das Problem:
Elan und Tatendrang verschwinden leise,
der Status quo ist nämlich sehr bequem.
Doch jeder Sommer wird mal abgelöst.
Es folgt der Herbst. Er bringt Veränderung,
indem er das Entstandene verstößt –
ganz sachte, ohne frühlingshaften Schwung.
Die Luft beginnt sich langsam abzukühlen,
ein Hauch von Sommer scheint noch nachzuhallen.
Nun geht es weiter. Neue Winde wühlen
auch die Gedanken auf und zeigen allen:
Am stärksten können wir das Leben fühlen,
wenn Dinge wachsen oder grad zerfallen.
Die Befreiung
(2014)
Schon lange vor den Online-Foren
war unsre Menschheit kaum zu retten:
Ein jeder Mensch wird frei geboren
und liegt doch überall in Ketten.
Obwohl die Philosophen dies
bereits vor langer Zeit so sah’n,
geht’s vielen Leuten heut noch mies –
als hätt’ sich einfach nichts getan.
Die Menschen stehen unter Druck,
sind angespannt, gestresst, gehetzt.
Und wirken Ketten auch wie Schmuck,
sie bleiben Ketten bis zuletzt.
Doch soll sich endlich etwas ändern,
dann schauen wir nicht länger zu
und schließen Pakte zwischen Ländern
von Kanada bis zur EU.
Am Anfang einer neuen Zeit
steht erstmal freier Handel an:
Der Markt wird morgen schon befreit,
die ganze Menschheit folgt ihm dann.
Kritik ist scheinbar angebracht,
doch ist sie unterm Strich egal:
Denn liegt beim freien Markt die Macht,
so liegt bei ihm auch die Moral.
Befrei’n wir uns von jener Last,
uns demokratisch zu entscheiden!
Wer wählt, weiß nicht, ob’s später passt –
die Wahl zu haben, heißt: zu leiden.
So werden wir die Welt verwandeln.
Nicht überstürzt – nein, Schritt für Schritt.
Wir werden endlich freier handeln
und für die Wettbewerbe fit.
Und stellt sich irgendjemand quer
und unsern Zielen gar ein Bein,
bedenke und erkenne er:
Wir werden uns von ihm befrei’n!
Die Schlingen halten
(2015)
Für unsre Macht seid Ihr der Stein der Weisen –
sie lebt dank Euch und strahlt in Eurem Gold.
Es ist ein Kinderspiel Euch abzuspeisen,
fast meint man: Ihr habt’s selber so gewollt.
Durch Arbeit fest gebunden und geschunden,
gelingt es Euch nur selten klar zu denken.
Das Wörtchen „Sachzwang“ haben wir erfunden,
um keinen Blick auf unsre Macht zu lenken.
Wir wollen Euch zu keiner Arbeit zwingen,
denn wir betonen gern: „Der Mensch ist frei“
und bieten eine Auswahl vieler Schlingen,
in die Ihr schlüpfen dürft – nicht Sklaverei!
Schon lange gebt Ihr uns aus freien Stücken,
was wir Euch früher noch brutal geraubt.
Die Schlingen halten und sie werden drücken,
solange Ihr an ihren Sachzwang glaubt.
Impressionen zur fünften Jahreszeit
(2015)
Heut zieht ein Zug durch alle Gassen,
die Menge feiert, singt und lacht,
so wie sie das nur selten macht.
Ein jeder hier wirkt ausgelassen!
Man schwimmt im Bad aus platten Witzen,
als stünden alle unter Drogen.
Der Stock ist aus dem Arsch gezogen –
so lässt es sich bequemer sitzen.
Die Hierarchien sind wie weg-
geblasen (nur noch eins ist da:
ein lustiges Monarchenpaar),
denn alle fühl’n sich gleichsam jeck!
Zwar wahren sie den frohen Schein,
doch sind nicht wirklich zu beneiden:
Die meisten müssen sich verkleiden,
um endlich mal sie selbst zu sein.
Ziel verfehlt
(2016)
Es gilt bei jeder Form von Spitzen:
Ein Pfeil wird nie der Sache nützen,
bespricht man, statt des Ziels, den Schützen.
Gastgeberfreundlich
(2016)
Wer sagt, er freue sich auf Gäste,
die fleißig, jung und nützlich seien,
wer wünscht, es käme nur „das Beste“
ins Land, um sich hier einzureihen,
wer hofft, die vielen Gäste führten
zur Akzeptanz von Niedriglöhnen,
wer meint, es würden die, die’s spürten,
sich ohne Murren dran gewöhnen,
wer überzeugt ist, solche Sachen
erfreuten Gäste jederzeit,
versteht sich aufs Geschäftemachen,
doch sicher nicht auf Gastlichkeit.
Deutschland, den 24.09.2017
(2017)
Ich las ab sechs Prognose-Zahlen,
ich sah den blauen Balken wachsen,
las vom Vergleich mit andern Wahlen
und von der stärksten Kraft in Sachsen.
Ich las von starken Emotionen –
von Wut und Fassungslosigkeit,
von triumphierenden Personen
und Stolz auf eine alte Zeit.
Ich las und war bald aufgewühlt,
doch eines fehlte mir beim Lesen,
das hätt’ ich allzu gern gefühlt:
Ich wär gern überrascht gewesen.
Nett gemeint
(2017)
Er wurde langsam wütend, denn er fand,
dass sie ihn regelmäßig falsch verstand.
Er habe nämlich stets Respekt vor ihr,
ihm käme etwas wie Sexismus schier
nicht in den Sinn – er sei da reflektiert,
er habe ja im Übrigen studiert,
und überhaupt: Bevor sie auf die Schnelle
ein Urteil über seine Worte fälle
und ihm Wer-weiß-was-Schlimmes unterstelle,
wär schön, wenn sie dabei im Auge hätt:
Er meine, was er sage, immer nett.
Sie schlug ihm vor, dann dürfe er gern wagen,
das eigentlich Gemeinte auch zu sagen.
Es würde schließlich naheliegend scheinen,
er würde das Gesagte auch so meinen.
2018-2022
Einwurf der jungen Leute
(2018)
Ihr tragt Erfahrungen der vielen Jahre
wie einen gut gepflegten, langen Bart.
Ihr deutet stolz auf all die grauen Haare,
noch stolzer deutet ihr die Gegenwart.
Ihr werft Euch für die Außenwelt in Schale,
als mehrte dies den Inhalt Eurer Köpfe,
sitzt selbstgefällig in der Schaltzentrale
der Macht, bedient die Hebel und die Knöpfe –
nicht weil Ihr’s besser könntet, sondern schlicht,
weil Ihr als Erste dort gesessen habt.
Die Zeit hat’s Euch gegeben. Mehr war’s nicht.
„Gegeben“ heißt noch lange nicht „begabt“.
Wir sagen nicht, dass wir es besser wüssten.
Nur anders. Aber das ist auch schon was.
Wie wär es, mal gemeinsam auszumisten?
Und keine Angst: Es wird schon nicht zu krass.
Doch meidet Ihr gemeinsames Gelingen
wie Einzelkämpfer einen Staffellauf.
Ihr glaubt, wir wollen Euch zur Strecke bringen?
Uns drängt sich eher diese Frage auf:
Wozu der Stress, Euch böse aufzulauern?
Ihr habt ja keinen Vorsprung von Bestand.
Was heute jung ist, wird Euch überdauern.
Da warten wir doch lieber ganz entspannt.
Bleibt dennoch Eure Angst, durch uns zu stürzen,
schaut nicht auf uns herab – das hilft uns allen!
Warum Ihr Angst habt, lässt sich drauf verkürzen:
Wer weiter oben steht, kann tiefer fallen.
Hambacher Forst
(2018)
Ihr habt Euch oft verständnislos gegeben:
„Was bringt es denn, das Wäldchen hier zu retten?
Das ist doch – jetzt mal ehrlich – echt kein Leben,
sich wochenlang an einen Baum zu ketten.
Es ist auch nicht verhältnismäßig, um
das Bisschen Kohleabbau zu verhindern.“
Wenn’s so ist, dann erklär’n wir das Warum –
solang Ihr uns bekämpft – auch Euren Kindern:
Uns geht’s nicht bloß um diese Lebensräume,
genauso wenig geht’s Euch bloß um Kohle.
Von Außen wirkt es wie ein Kampf um Bäume,
im Innern sind es Kämpfe um Symbole.
Der Kampfplatz ist zwar klein, doch hier beginnt
die große Schlacht. Seit Langem ist es Brauch:
Am Ende siegt, wer das Symbol gewinnt.
Wir wissen das. Und Ihr, Ihr wisst es auch.
Aller Anfang ist relativ
(2019)
Als man ihn fragte, was der Neubeginn,
der Wechsel, diese Wende ihm bedeute,
wies er nach kurzem Zögern darauf hin:
„Der Schnee von gestern ist der Matsch von heute.“
Lob von oben
(2019)
Lauscht, wie Ihr noch nie gelauscht,
wenn Euch unsereins nun schwört,
dass er sich daran berauscht,
wenn er Eure Worte hört!
Sprecht wie Ihr noch nie gesprochen,
wollt Ihr ins Gewissen reden,
über Wochen ungebrochen –
ob in Deutschland oder Schweden!
Steht, wie Ihr noch nie gestanden,
zu dem Ziel, die Welt zu retten,
dass Versprechen nicht versanden
in “Wir müssten, sollten, hätten …”
Ruft, wie Ihr noch nie gerufen,
schwächelt nicht beim Protestieren,
um Alarm auf höchsten Stufen
öffentlich zu zelebrieren!
Denkt, wie Ihr noch nie gedacht,
kämpft für Eure Utopie
laut und klar, bevor es kracht!
Seht: Wir unterstützen sie!
Aber lasst uns uns’re Macht.
Risikobereitschaft
(2019)
Du hast mir häufig imponiert
mit deinem Hang zum Risiko.
Da hab ich manchmal Neid verspürt,
noch öfter dachte ich: „Chapeau“,
weil ich mich selbst so wenig traute,
zumal ich das Spontane mied
und gern auf die Statistik schaute,
bevor ich irgendwas entschied.
Statt mich, wie du, ins Abenteuer
zu stürzen und mal viel zu wagen,
war mir das nie so ganz geheuer
und ständig hörtest du mich fragen:
„Was tust du, wenn dir was passiert?“
Dann kamst du nachher grinsend an
und meintest: „Hat ja funktioniert.“
Das ändert aber nichts daran,
dass ich inzwischen klar erkenn:
Es ist bescheuert, was du machst.
Das sag ich dir persönlich, wenn
du aus dem Koma noch erwachst.
Gemeinsamer Nenner
(2020)
Selbst wenn ich gerne mal die Farbe änder
und jemand anderes das Mat’rial,
so sind wir uns – bei aller freien Wahl –
in einem einig: Uns ist ein Geländer
an einer Schlucht auf keinen Fall egal.
Eine Frage der Blickrichtung
(2020)
Wir können es nur schwer ertragen –
doch, wie es dazu kam, verstehen.
Und sollte irgendwer nun sagen,
er habe das nicht kommen sehen,
was sich seit tausenden von Tagen
am Horizont zusammenbraute,
der muss sich heute ernsthaft fragen,
wohin er all die Jahre schaute.
Letzte Runde
(2021)
Am Kneipenabend geht’s hoch her,
den Schluss zu finden fällt da schwer,
drum braucht’s – auch wenn es nicht behagt –
den unbeirrten Barmann, der
entschlossen “Letzte Runde!” sagt.
Die einen reagier’n gelassen,
die andern können’s gar nicht fassen,
dass dieser Abend enden soll.
Doch alle machen ihre Tassen
und Gläser noch mal richtig voll.
Denn jeder weiß: Die letzte Runde
ist – ganz egal zu welcher Stunde –
im Grunde nicht verhandelbar.
Die Worte aus des Barmanns Munde
sind immer klar und immer wahr.
Doch geht’s hier nicht um seinen Willen.
Es herrscht ja Einigkeit im Stillen:
Man braucht mal eine Pause, um
den Vorrat wieder aufzufüllen.
Dem Barmann nimmt das niemand krumm.
So ist die letzte Runde nur
die regelmäßige Zäsur
im Kreislauf, wenn er innehält –
bis bei der nächsten Kneipentour
ein Gast ein neues Glas bestellt.
Ob sich der Neuanfang dann lohnt,
ob ihm ein Zauber innewohnt,
wie einst in Hermann Hesses Stufen?
Wer weiß. Zumindest sei betont:
Die besten Chancen dafür schufen
auch die, die “Letzte Runde!” rufen.
Selbst wenn
(2022)
Selbst wenn der Zug im Tempo rast,
in dem du ihn nie rasen sahst,
selbst wenn der Abgrund näher rückt,
so nah, dass alles in ihn blickt,
selbst wenn in Angst vor großem Leid
ein ganzer Wagen “Bremsen!” schreit,
wird jemand noch die Lippen schürzen
und sagen: “Bloß nichts überstürzen.”
Die Preise steigen
(2022)
Der Anblick hoher Rechnungskosten
begünstigt, dass so mancher flucht.
Und wer Kontakte hat, versucht
sich bei besonders teuren Posten
noch günstig etwas abzuzweigen.
Die Preise steigen.
Die Angst beginnt schon umzugehen,
sind die Reserven angebrochen:
Wie werden wir die nächsten Wochen,
die nächsten Jahre überstehen?
Und nehmen wir das hin und schweigen?
Die Preise steigen.
In einer Krisenzeit verschärft
sich erst die Lage, dann der Ton –
und angesichts der Inflation
ertönt es wütend und genervt:
“Die Lösung werden diese feigen
Politiker bestimmt vergeigen!”
Die Preise steigen.
Doch das Geschimpfe lindert kaum
die Not. So bleibt am Ende nur,
zu spar’n: an Wärme und Kultur,
an Essen und an manchem Traum.
Um welchen Preis? Das wird sich zeigen.
Die Preise steigen.