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Das Lachen der Ohnmächtigen

DAS LACHEN DER OHNMÄCHTIGEN

Das Kabarettprogramm “Das Lachen der Ohnmächtigen” hatte im Januar 2015 in Berlin Premiere. Da sich Programme im Laufe der Zeit weiterentwickeln, können sich einzelne Formulierungen sowie Umfang und Reihenfolge der Beiträge von Auftritt zu Auftritt unterscheiden.

Eine Auswahl an ungereimten Texten aus dem Programm findet sich hier.

Erster Teil

1.1. Gründe für Optimismus und andere Nachrichten

Auf Schritt und Tritt

(Gedicht)

Wir waren eins und fühlten uns verbunden
und keine gängige Metapher reicht,
um darzustell’n, was Deiner Nähe gleicht:
Ich habe Dich als Fußpilz oft empfunden.


Physiologische Motivation für Optimismus

(Gedicht)

Ein Blick nach vorn ist angebracht,
weil’s keinen steifen Nacken macht.


Schlechtes in Gutes verwandeln

(Lied)

Die Welt in schwarz und weiß
zu teil’n, hat seinen Preis –
oft mündet es darin, nur noch schwarz zu seh’n.
Doch in jedem Dreck versteckt sich auch ein Zweck –
aber erst, wenn wir die Dinge globaler versteh’n.
Zum Beispiel kann ein Krieg Existenzen vernichten,
Zivilisten verstümmeln und gefährlich verletzen,
aber andre Existenzen wissen zu berichten:
Kriege schaffen eine Menge an Arbeitsplätzen.
Zwar ist so manches Kind in Afghanistan tot,
doch zugleich macht es Freude, wenn man daran denkt,
wie Kinderaugen leuchten, wenn ein Drohnenpilot
seinem Sohn einen Ego-Shooter schenkt.

Wir sollten nie vergessen: Wenn andere leiden,
dann können wir still trauern und es schrecklich nennen.
Doch wir können uns auch dafür entscheiden,
darin etwas Gutes zu erkennen,
darin etwas Gutes zu erkennen.

Wer hat noch nicht entdeckt:
die Welt ist nicht perfekt?
Als Binsenweisheit ist das jedem längst bekannt.
Erstickt ein Vieh im Blut,
schmeckt’s später trotzdem gut.
Denn Schreckliches und Schönes gehen Hand in Hand.
Große Wälder zu roden für Sojabohnen,
kann viele Rinder für ein Steakhaus ernähr’n.
Mit Gewinnen aus Nahrungsmittelspekulationen
kann man Obdachlosen ein Festmahl bescher’n.
Wenn die Dividende wie das Erdöl fließt,
kann man diese in Naturschutz investier’n
und wenn man viele männlichen Soldaten erschießt,
fällt es leichter, danach Frauenrechte einzuführ’n.

Wir sollten nie vergessen: Wenn andere leiden,
dann können wir still trauern und es schrecklich nennen.
Doch wir können uns auch dafür entscheiden,
darin etwas Gutes zu erkennen,
darin etwas Gutes zu erkennen.

Mit Hilfe des Profits aus Minen, die wir weltweit verkaufen,
können wir Beinprothesen entwickeln und Kriegsopfer wieder laufen.
Aus Blutdiamanten lassen sich schöne Verlobungsringe machen,
die Schokolade aus Kinderarbeit bringt andere Kinder zum Lachen.

Wir sollten stets bedenken: Wenn andere leiden,
dann können wir still trauern oder es ertragen.
Doch wir können uns auch dafür entscheiden,
menschlich Kapital daraus zu schlagen,
menschlich Kapital daraus zu schlagen


Der Abonnent

(Gedicht)

Herr Großmann hält vom Käseblatt,
das täglich seine Heimatstadt
mit Druckerschwärze überflutet
nicht viel, doch wie man schon vermutet,
hat Großmann, wenig reflektiert,
die Zeitung dennoch abonniert.
Denn, was man von dem Blatt auch hält –
fast jeder in der Stadt bestellt
und liest es alle Tage, weil …
Der Grund heißt: Regionaler Teil.
Rein journalistisch ist zwar der
besonders stumpf und inhaltsleer,
doch wünschen Leser einen andern,
hilft nur noch eines: auszuwandern.
Für viele aber, die dort wohnen,
gehört das nicht zu den Optionen,
die im Moment in Frage kämen,
stattdessen kann man sich bequemen,
sich täglich drüber auszulassen,
es sei mal wieder nicht zu fassen,
wie überflüssig dieser Brei
im regionalen Blättchen sei.
So pflegt Herr Großmann jedes Mal
das selbe Morgenritual:
Die Zeitung kommt, er liest sie quer,
er ist enttäuscht, dann schüttelt er
den Kopf und sagt: „Was soll das hier?“
und wirft das Blatt ins Altpapier.
Auch wenn das Lesen sich nicht lohnt,
so ist er immerhin gewohnt,
sich morgens kurz mal aufzuregen
und dann die Zeitung wegzulegen.
Und weil er das seit Jahren kennt,
bleibt Großmann treuer Abonnent.


An eine PR-Agentin

(Gedicht)

Du fleischgeword’ne Männerphantasie
spielst leidenschaftlich vieles, was verlangt
und auch verlangend ist, hast aber nie
um Würde oder Ehre je gebangt.

Fast alles ist mit dir verhandelbar –
wie weit du gehst, bestimmt allein der Preis.
Für deine Kunden bist Du wandelbar.
Die Masken sieht nur der, der um sie weiß.

Zudem verstehst du Leere auszufüllen,
obgleich das bloß mit heißer Luft geschieht.
Du bist die Meisterin der schicken Hüllen,
erschaffst die Haut, die Blicke auf sich zieht.

Was außen abschreckt, kannst du übermalen,
sodass sich seine Wirkung vollends wendet:
Die Menschen meinen dann, es würde strahlen,
doch werden eigentlich davon geblendet.

Du selber gibst dich immer sehr diskret,
und kannst mit glatten Hüllen, die dich kleiden,
und im Gewand der Seriosität
die Blicke in dein Inneres vermeiden.

Machst du für Kunden deine Beine breit
und fallen deine Hüllen schließlich doch,
entblößt du deine Oberflächlichkeit
und in Erinnerung bleibt nur ein Loch.


Die Hand

(Lied)

Guten Tag, Herr Intendant, ich bedanke mich für die Ehre,
dass ich über Sie berichten darf!
Und dann aus diesem Anlass – zu heutigen Premiere!
Da komm ich gerne, auch mit Fotograf.
Ja, wie Sie schon sagten: Der Abend wird recht lang,
denn später wird mit allen angestoßen
mit äußerst edlem Alkohol bei einem Sektempfang,
Sie zählen schließlich zu den wirklich Großen!
Und machen Sie sich bitte keine Sorgen
bezüglich der Premieren-Rezension.
Der Text erscheint dann gleich am Montagmorgen,
gewiss mit sehr viel Lob im besten Ton.

Denn:
Die Hand, die einen füttert, beißt man nicht,
sonst verschluckt man sich daran.
Außerdem weiß ich, dass mir diese Hand
den Weg nach oben weisen kann.
Die Hand, die einen füttert, beißt man nicht,
weil man sonst daran erstickt.
Und deshalb ist es stets gesünder,
wenn man freundlich nickt.

Guten Abend, Herr Minister! Ich bin ehrlich hocherfreut,
dass wir uns mal endlich wiederseh’n!
Bei diesem Wirtschaftsgipfel genieß ich hier und heut
zwischen hohen Tieren rumzusteh’n.
Auf solche Treffen kann ich auch in Zukunft nicht verzichten,
ich mag es, als Reporter exklusiv
aus nächster Nähe und nicht bloß von Ferne zu berichten,
mein Chef bewertet das sehr positiv.
Sie fragen mich, woran ich grade schreibe?
Ach, wissen Sie, das ist doch völlig gleich.
Solange ich in diesen Kreisen bleibe,
schreibe ich als einer von Euch!

Denn:
Die Hand, die einen füttert, beißt man nicht,
sonst verschluckt man sich daran.
Außerdem weiß ich, dass mir diese Hand
den Weg nach oben weisen kann.
Die Hand, die einen füttert, beißt man nicht,
weil man sonst daran erstickt.
Und deshalb ist es stets gesünder,
wenn man freundlich nickt.

Ich wirke manchmal abgehoben oder elitär,
doch weiß ich auch, wie dumm Distanz für mich beruflich wär.
Und nur mit dem direkten Draht – unter anderm nach Berlin –
kann ich alles, was passiert, wirklich nachvollzieh’n.
Ganz egal, worüber ich bis heute schrieb
und wohin mich mein Beruf auch trieb –
überall hatten mich die Leute lieb,
denn ich folgte dem Prinzip:

Die Hand, die einen füttert, beißt man nicht,
sonst verschluckt man sich daran.
Außerdem weiß ich, dass mir diese Hand
den Weg nach oben weisen kann.
Die Hand, die einen füttert, beißt man nicht,
sonst wird die Luft noch knapp.
Und wenn die Hand mir nützen soll,
lecke ich sie lieber ab!


Der Nachrichtenüberbringer

(Gedicht)

Einst kam in einem fernen Land
ein Mann zum Königshof gerannt
und klopfte panisch an das Tor.
Er flehte: „Eure Majestät!
So öffnet! Es ist sonst zu spät!
Ach, leiht mir bitte Euer Ohr!“

Ein Wächter öffnete dem Mann
und sah ihn skeptisch musternd an,
bevor er sagte: „Komm schon rein.“
Der König, der den Mann empfing
und müde auf dem Throne hing
sprach gähnend: „Muss es heute sein?“

„Und ob!“ entfuhr’s dem Gegenüber,
„Es tut mir leid. Es wär mir lieber,
ich wüsste nichts von diesen Taten:
Ihr kennt die Genfer Konvention
und gegen die verstoßen schon
seit Jahren unsere Soldaten.

Die Fotos, die das unverhohlen
beweisen, habe ich gestohlen
und lege sie Euch hiermit vor.
Die Täter sind da auch zu sehen.
Bestraft sie nun für die Vergehen,
denn dafür klopfte ich ans Tor!“

Auf einmal war der König wach:
„Du glaubst im Ernst, dass ich das mach?
Das müsstest Du doch besser wissen:
Erst hast Du unsere Soldaten
bestohlen und danach verraten –
wie hinterhältig und gerissen!

Die Nachricht kam zum Glück nicht weit,
sonst würde sie die Sicherheit
der Kämpfer nur noch mehr gefährden.
Der Feind sucht stets nach Angriffsgründen
und würde er die Fotos finden …
Ach, spar Dir sämtliche Beschwerden!

Ein Mensch wie Du – und kein Soldat –
ist Risiko für unsern Staat!
Und deshalb sollst Du dafür büßen!“
Der andre reagierte schier
verwirrt: „Trotz Mühe will sich mir
die Logik einfach nicht erschließen …“
Worauf die Wachen zügig kamen
und jenen Boten mit sich nahmen,
um ihn im Anschluss zu erschießen.

Wer hier das Happy End vermisst,
ist wohl zu Recht sehr angepisst.


1.2. Gut gemeint

Wo ein Wille ist

(Lied)

Er hat vor langer Zeit bereits beschlossen:
Eines Tages wird zurückgeschossen!
Er kennt für seinen Kampf bereits das Ziel,
obwohl kein Schuss von dieser Seite fiel.
Das kann ihm seine Pläne nur erschweren:
denn um andern Kriege zu erklären,
sollte er den Angriff gut begründen,
doch blöderweise ist kein Grund zu finden.
Und just in dem Moment, als er es braucht,
ist beim Gegner etwas aufgetaucht:
Giftgas oder andre schlimme Waffen.
Als Grund zum Angriff scheint das wie geschaffen!

Das liefert wieder einmal den Beleg:
Wo ein Wille ist, findet sich ein Weg.

Er hat als Unternehmer schon seit Jahren
Erfolge und Gewinne eingefahren
und ähnlich lange stört ihn schon am Staat
der riesige Verwaltungsapparat.
Er meint, dass das den Bürgern wenig bringe,
stattdessen aber sehr viel Geld verschlinge;
das Ganze habe schon so manchen Wert,
den er geschaffen habe, rasch verzehrt.
So hat er sich seit Jahren aufgeregt
und nun ein neues Konto angelegt –
der deutsche Staat zieht davon nichts mehr ein,
denn Steuern zahlt er jetzt in Liechtenstein.

Das zeigt mal wieder: ist ein Wille da,
sind die Wege Richtung Ziel besonders nah.

Der Fortschritt bricht sich technisch neue Bahnen,
die Zukunft lässt sich heute kaum erahnen:
Mit Internet und digitalem Fluss
ist bekanntlich lange noch nicht Schluss.
Im Gegenteil: Es wächst im großen Stil
und technisch ist es längst ein Kinderspiel
zu speichern, was im Internet passiert,
und was ein Mensch zur Zeit im Netz vollführt.
Wir wissen selbst, dass unsre Nutzerdaten
rein theoretisch einiges verraten –
man könnte ja sogar überwachen …
Wer soll sich aber diese Arbeit machen?

Doch fest steht, dass der Umkehrschluss auch gilt:
Wo ein Weg ist, ist auch irgendwer gewillt!


Die Leidenschaftslosen

(Gedicht)

Sie kennen Gesetze, sie paragraphieren,
zitieren, statt ständig zu philosophieren
und haben ihr Dasein im Zentrum der Macht
am Schreibtisch im Beisein von Akten verbracht.

Sie denken in Nummern und schreiben in Zahlen
und lassen sich niemals von irrationalen
Gedanken bedrängen, beengen und leiten,
sobald sie politische Wege beschreiten.

Sie können die Folgen von Krisen benennen,
ganz ohne die Menschen dahinter zu kennen.
Sie fühlen nicht mit, denn für sie ist ja klar:
Empfindung kann schwanken, Statistik bleibt wahr.

Sie werden sich selten am Machtgefühl laben,
sie mögen es aber, Kontrolle zu haben,
um stets auf der richtigen Seite zu sein –
die Hauptsache ist, jemand stellt sie dort ein.

Sie dienen dem Staat, aber geben sich nie
als starke Verfechter der Demokratie.
Wozu auch? Es ändern sich schließlich mit Wahlen
zwar einzelne Posten, doch selten die Zahlen.

Ihr Ziel war es nie, Politik zu gestalten,
sie wollen nur das, was schon da ist, verwalten.
So bleibt, wenn politische Stürme auch tosen,
die Macht in den Händen der Leidenschaftslosen.


Aufstände gestern und heute

(Gedicht)

Der Mob, der einst auf Barrikaden
die Könige von Gottes Gnaden
bekämpft und dann enthauptet hat,
erreicht den Marktplatz einer Stadt,
auf dem Schafott und Pranger standen,
heut selten noch in unsern Landen.
Denn meist verläuft der Mob
sich schon in einer Online-Petition.


Verweichlichung

(Lied)

Dein kleiner Sohn kam letzten Sommer in die Schule,
und was dort abläuft, findest du so richtig kacke.
Du schimpfst, die Lehrer seien Frauen oder Schwule
und erst die Rektorin – so ne Walldorfschabracke!
Der Großteil der Schüler sei Migranten,
zumindest nicht deutsch, das sähe man schon,
mit komischen Genen, nicht entfernt verwandten.
Das ist doch kein Umgang für deinen Sohn!

Dabei hast du ja gar nichts gegen Minderheiten,
dir bereitet nur die Überfremdung Unbehagen,
genau wie die Verweichlichung in heutigen Zeiten –
das dürfe man doch bitte noch sagen!
Du bist sicher, diese Schule überspanne den Bogen:
Kinder würden dort gezwungen, sich anzupassen;
von der Multi-Kulti-Homo-Lobby umerzogen –
doch von deinem Sohn soll’n die ihre Hände lassen!

Manchmal wünsche ich mir, du hättest Recht
und Dein Sohn bliebe bei der Sache trotzdem cool,
wechselte dann eines Tages sein Geschlecht
oder würde zu deinem Schrecken richtig schwul.
Dann würden deine Gene nicht mehr reproduziert,
auch weil die Überfremdung alles okkupiert,
und wir könnten alle künftigen Generationen,
vor dir und deiner Sippe verschonen!


Das Feriencamp

(Lied)

Alle Kinder sind heute sehr gespannt,
was sie im Sommercamp erwartet.
Bisher ist ihnen nur der Ort bekannt,
an dem der Erlebnisurlaub startet.
Vom Helikopter werden sie zu Hause abgeholt
und schließlich am Ziel abgesetzt.
Es dauert nicht lang, dass die Kinderschar jolt,
denn die Kleinen wissen jetzt:

Dieser Urlaub wird ein Kracher,
Action-Träume werden wahr!
Heldentum und Widersacher,
das erlebt man hier hautnah.
Fröhlich grüßen Offiziere,
jeder freut sich darauf sehr,
dass man fleißig hier trainiere
im Feriencamp der Bundeswehr!

Die Kleinen sind im Spreewald stationiert,
denn hier wird es niemanden stören,
wenn man ein paar neue Waffen ausprobiert,
die zum großen Arsenal gehören.
Zunächst lernen alle Kinder gut zu ziel’n,
um dann weiter so zu verfahr’n:
Die Besten dürfen die Deutschen spiel’n,
die anderen sind die Taliban.

Manchmal laut und manchmal leise,
manchmal konzentriert, mal wild
geht’s auf Abenteuerreise,
hier wird nicht nur Zeit gekillt!
Fröhlich kämpfend als Soldaten
läuft der Nachwuchs hin und her.
Kinder, auf zu neuen Taten
im Feriencamp der Bundeswehr!

Nicht jeder meistert den Parcours
mit dem Minensuchgerät.
Wie schön, wenn sich in Wald und Flur
nicht nur Emotion entlädt!
Hier geht es schließlich nicht um Mord,
sondern um Verbesserung
der Leistungen im hohen Sport
der Selbstverteidigung!

Jeder darf mal Panzer fahren,
denn das ist doch gar nicht schwer,
das erfreut die Kinderscharen
bei der deutschen Bundeswehr!
Hier will jeder alles geben,
denn die Besten lädt man ein
bald schon noch mehr zu erleben –
das Camp wird dann in Syrien sein.


Private Terrorabwehr

(Gedicht)

Bekanntlich ist man stets bemüht,
für Sicherheit im Land zu sorgen.
Wenn Terror aber erst mal blüht,
erwischt es mich vielleicht schon morgen.

Man rechnet einfach nicht damit
und plötzlich hat man den Salat:
Die falsche Zeit, ein falscher Schritt,
und – Bumm! – ein Selbstmordattentat.

Ich seh nicht ein, das hinzunehmen,
und stell mich, wo ich leb und wohne,
der Grundgefahr mitsamt Problemen
und bau mir heute eine Drohne!

Natürlich schaff ich keine an,
die ab und zu auf Ziele schießt
und somit Menschen töten kann,
wovon man hin und wieder liest.

Nein, nein, das ginge mir zur weit.
Ich will mich nicht bewaffnet wehren.
Mir reicht es schon, von Zeit zu Zeit
mit meiner Drohne aufzuklären.

Ich werde bloß mal Bilder schießen.
Vor allem aus der Nachbarschaft,
wie Leute ihre Blumen gießen,
nackt baden oder stümperhaft

ihr altes Fahrrad reparieren,
in unsre gelben Tonnen pissen …
Das würd ich gerne kontrollieren,
es schadet nicht, das mal zu wissen.

Wobei – es ist nicht auszuschließen,
dass mir die Bilder zeigen werden,
dass Nachbarn, die sonst Blumen gießen,
mein Leben lange schon gefährden.

Womöglich lebe ich seit Jahren
im Zentrum einer Terrorzelle
und bin mir einfach nicht im Klaren:
Hier wohnen lauter Kriminelle!

Bislang ist das nur ein Verdacht,
doch wenn ich jetzt noch länger warte,
dann hat man mich schon umgebracht,
bevor ich meine Drohne starte.

Ich gehe aber gern als Sieger
hervor und deshalb rasch zu Werke
und bau den unbemannten Flieger,
ergänzt um eine neue Stärke:

Ich bin ja schließlich nicht naiv,
die Drohne wird jetzt explosiv.
Und gucken meine Nachbarn schief,
dann schieß ich eben präventiv!

Doch klappt es nicht auf diese Tour
und lande ich in fiesen Fängen,
dann bleibt als letztes Mittel nur,
mich selber in die Luft zu sprengen!


Ich knicke doch nicht ein

(Lied)

Vielen Dank auch, liebes Gewissen,
Du fühlst Dich wohl ganz schlau,
wenn Du meinst, ich nähm es mit der Rettung der Welt
nicht so genau.
Misch Dich bitte nicht ständig ein
und hör endlich auf zu nerven,
ich bemühe mich doch und habe mir
fast gar nichts vorzuwerfen.

Ja, okay, ich war gestern bei Burger King
und hab dort Chicken Nuggets gegessen,
doch ansonsten bin ich Vegetarier,
ab und zu Fleisch ist doch angemessen.
Die Adidas-Schuhe fand ich halt schick.
Soll ich denn jedes Mal schauen,
wie fair ein Unternehmen produziert?
Da kann ich ja bald keinem mehr trauen!
Ich hatte nie ein eigenes Auto
und nutze nur Rad oder Bahn,
so geht’s doch klar, wenn ich in den Urlaub
auch mal fliege statt zu fahr’n!
Die Welt zu verbessern ist echt wichtig,
das sollte jeder versteh’n,
aber es kann nicht Sinn der Sache sein,
das völlig verbissen zu seh’n.

Ich knicke doch nicht ein, ich beuge mich nur leicht,
die Schmerzgrenze ist noch lange nicht erreicht.
Es ist doch nichts verloren, geschweige denn zu spät,
denn ich bin keiner, der seine Ideale verrät.
Ich würde nie behaupten: Meine Ziele war’n verkehrt.
Ich merke nur, dass ich realistischer werd.

Ich geb zu, ich finde den Gedanken schön,
es mir privat bequem einzurichten,
beim Eigenheim würd’ ich auf die große Küche
und den Garten nicht verzichten.
Doch erstmal muss ich darauf hinarbeiten,
um das alles bezahlen zu können.
Und hab ich mir das irgendwann verdient,
darf ich’s mir – wie ich finde – auch gönnen.
Engagement für Mensch und Natur
und politische Demonstrationen
unterstütze ich gerne, aber zwischendurch
muss ich mich doch auch mal schonen.
Die Welt zu verbessern finde ich super
und ist ein hehres Ziel!
Doch kann ich nicht immer auf alles achten,
das wird mir auf Dauer zu viel.

Ich knicke doch nicht ein, ich beuge mich nur leicht,
die Schmerzgrenze ist noch lange nicht erreicht.
Es ist doch nichts verloren, geschweige denn zu spät,
denn ich bin keiner, der seine Ideale verrät.
Ich würde nie behaupten: Meine Ziele war’n verkehrt.
Ich merke nur, dass ich realistischer werd.

Mich stören Spekulanten und Hedgefond-Firlefanz,
doch ich brauche die Versicherungen bei der Allianz.
Was soll ich denn als Einzelner dadurch schon verschlimmern?
Ich kann mich auf der Welt ja nicht um alles kümmern.
Mancher mag behaupten, ich wär inkonsequent,
doch das müsste jeder anders sehen, der mich besser kennt:

Denn ich beuge mich nur leicht und knicke niemals ein,
ich halte dran fest, mir selber treu zu sein,
und bin mir ziemlich sicher: Ein Selbstverrat tät weh.
Die Schmerzgrenze meide ich, wo immer ich auch geh.
Nur manchmal hab ich Angst, dass das vieles nur beschönt –
womöglich hab ich mich an den Schmerz bereits gewöhnt.


Zweiter Teil

2.1. Optimierung auf ganzer Linie

Essen ist fertig!

(Lied)

Das Essen ist fertig, nehmt Euch eine große
Portion Spaghetti mit Hackfleischsoße!
Aber nicht übertreiben. Das reicht erst mal. Halt.
Haut rein, liebe Kinder, sonst wird es noch kalt.
Wie schön ist es, Euch beim Essen zuzuschauen,
im Anschluss seh ich Euch sehr glücklich verdauen.
Doch habt Ihr schon darüber nachgedacht,
was die Bolognese so lecker macht?

Kinder, wir haben heute Opa verspeist!
Ihr müsst zugeben, dass er sich als schmackhaft erweist.
Was guckt Ihr denn so? Es hat Euch vorhin geschmeckt.
Ihr habt den Teller sogar noch mal abgeleckt.
Ich verstehe nicht, warum das plötzlich ekelig ist,
bloß weil Ihr jetzt von dieser Zutat wisst!

Opa war keiner mehr von den Jungen,
wir hätten ihn deshalb notgedrungen
in eine Seniorenresidenz geschafft
und dort hätte es ihn dann hinweggerafft.
Das Geld für ein Altersheim lässt sich sparen –
dafür können wir lieber in den Urlaub fahren.
Ach, verzieht jetzt bitte nicht Euer Gesicht!
Bolognese war doch immer Euer Leibgericht.

Kinder, wir haben heute Opa verspeist!
Er war nicht mehr zu gebrauchen und völlig vergreist.
So ist der Lauf der Dinge – irgendwann ist Schluss,
woran sich wirklich jeder Mensch gewöhnen muss.
Doch wie den meisten geht’s Euch besser, wenn Ihr vergesst,
was man Euch auftischt und was Ihr so esst.

Im Übrigen möchte ich nicht verhehlen:
Ich kann dieses Essen jedem nur empfehlen,
denn fest steht, wenn man Senioren brät:
Das ist billiges Fleisch mit hoher Qualität!
Da weiß man, was drin ist, und das ist allemal
sicherer als alles aus dem Kühlregal,
kein Gammelfleisch, kein Massentier und ähnlicher Dreck –
und die Alterspflege fällt auch noch weg!

Kinder, wir haben heute Opa verspeist!
Das passiert eben, wenn man auf Verbraucherschutz scheißt.
Das ist sparsam für den Haushalt und höchst effizient
und es bringt Euch nichts, wenn Ihr weiterhin flennt.
Die Oma liegt im Keller und ist auch schon tot,
die gibt es dann morgen frisch aufs Pausenbrot!


Statt Ritalin

(Gedicht)

Die Prügelstrafe, weiß man jetzt,
wurd in der Wirkung unterschätzt,
denn früher konnte sie bei Kindern
erfolgreich ADS verhindern.
Drum gilt: Vermisst Du Disziplin,
spar lieber Geld und Ritalin.
Wozu der Apotheken-Gang?
Ein Rohrstock hält ein Leben lang!


Scheitern lernen

(Gedicht)

Fast haarfrei, dennoch ungeschoren,
verschrumpelt, schwächlich, wehr- und schutzlos –
so liegst Du da, grad frisch geboren,
gesellschaftlich noch völlig nutzlos.

Den Urinstinkten nachzugeben
und Dich, mein Kindlein, zu beschützen,
wär leicht, doch will ich Dich im Leben
gern effektiver unterstützen,

indem ich Dir die Watte nehme,
in die Dich sonst Dein Umfeld packt.
Dann spürst Du leichter die Probleme,
den Zeitgeist und den Lebenstakt.

Wer nämlich aufgepasst hat, kennt
den Ratschlag wichtiger Experten
aus Business und Management:
Es kommt drauf an, sich abzuhärten!

Das wird den Menschen eingebläut
auf allen Karriereleitern.
Drum merke Dir, mein Kind, schon heut:
Erfolgreich wirst Du nur durchs Scheitern!

Soll Dir der Aufstieg je gelingen,
so musst Du erst am Boden liegen.
Ich habe vor, Dir beizubringen,
Dich nie in Sicherheit zu wiegen.

Das wird Dich hin und wieder stressen
und ist kein Null-acht-fünfzehn-Drill.
Trotz allem darfst Du nie vergessen,
dass ich doch nur Dein Bestes will.

Der Plan ist lange schon gefasst –
Du darfst ab heut mit ihm gedeihen
und wirst, sobald Du Hunger hast,
minutenlang vergeblich schreien.

Dann lasse ich mich nicht erweichen,
selbst wenn Dein Stimmchen laut krakelt.
Mit Tränen lässt sich nichts erreichen,
ganz gleich, wie sehr Dir etwas fehlt!

Das Essen kommt schon, gibst Du Ruh
(nach allerspätestens zwei Tagen).
Dann lernst Du hoffentlich dazu,
statt jeden Mangel zu beklagen.

Du sollst ja schließlich daran reifen
und lernen damit umzugehen,
um eines Tages zu begreifen:
Wir fallen nur, um aufzustehen!

Das wirst Du immer wieder merken,
mein Kind, ich sorge schon dafür:
So wird es Dich zum Beispiel stärken,
verbringst Du Nächte vor der Tür.

Und willst Du Fahrradfahren lernen,
sind Hindernisse angebracht.
Das linke Stützrad zu entfernen
ist, wie Du seh’n wirst, schnell gemacht.

Dann fährst Du los, fällst gleich zur Seite
und überlebst den Sturz nur knapp,
wobei Dich dieser Spruch begleite:
Was Dich nicht tötet, härtet ab!

Folgt bald darauf der Lebensernst,
so wage ja nicht einzuknicken!
Ich werde Dich, damit Du lernst,
auf eine Brennpunktschule schicken,

wo aggressive Kinder Dich
in Pausen in die Enge treiben,
denn mit dem Edding werde ich
auf Deine Stirn fett „Opfer“ schreiben.

Ach, ich vergaß noch zu erwähnen:
Du sollst ja Jason-Justin heißen,
damit die Lehrer wie Hyänen
Dein Können in der Luft zerreißen.

Gewiss wirst Du Dich fragen, wie
das durchzustehen ist, doch sieh
in sämtlichen Schikanen die
perfekte Langzeitstrategie!

Womöglich wirst Du dran erkranken
und leiden, aber glaube mir:
Du wirst mir eines Tages danken,
dass ich Dich heute malträtier!

Und stehst Du einmal nicht mehr auf,
weil Angst die Oberhand gewinnt,
bleibt dieser Satz im Lebenslauf:
Du hattest Deine Chance, mein Kind!


Rektaler Hinweis

(Gedicht)

Wer gern in Ärsche kriecht, muss wissen:
Dort wird er irgendwann beschissen.


Lebensoptimierung

(Gedicht)

Bekanntlich gilt es als gegeben:
Die Ordnung ist das halbe Leben.
Drum solltest du dir raten lassen,
die Welt in Zahlen aufzufassen.

Dich mag am Anfang irritieren,
das Leben so zu reduzieren,
doch kann Abstraktheit schon ab morgen
für Übersicht und Ordnung sorgen.

Verlier dich nie in den Details,
beschränk dich lieber auf den Preis,
der rauskommt, wenn du kalkulierst,
was du an Kräften investierst

und was sich dann gewinnen lässt.
Bleibt in der Summe dir ein Rest
mit einem Plus davor, steht fest:
Bestanden ist der erste Test!

Zunächst bleibt das jedoch ein Traum –
im ersten Anlauf ist es kaum
zu schaffen, auf ein Plus zu kommen.
Es sei Dir aber nicht genommen,

dein Leben kräftig auszumisten
und dich zu fragen: Ja, was ist denn
als Kostenfaktor so horrend
und überhaupt nicht effizient?

So gibt’s, das kann man schnell vergessen,
die Freunde, die dich manchmal stressen,
und die man, sagt dir dein Verstand,
auf Dauer lieber ganz verbannt,

sobald die Rechnung faktisch klärt:
die Freundschaft ist es nicht mehr wert!
Auch viele Partnerschaften sind
(egal ob mit, ob ohne Kind)

nur überflüssiger Ballast,
der nicht in deine Ordnung passt,
obgleich du jetzt betonen kannst,
wie gut du dich beim Sex entspannst.

Doch effiziente Menschen pflegen
die eig’nen Hände anzulegen,
denn häufig ist ja einzuwerfen:
Beziehung kostet viel mehr Nerven,

als dass sie mal Entspannung bringt –
wodurch der Nutzen stetig sinkt.
Drum gilt in sämtlichen Bereichen
des Lebens: kürzen oder streichen!

Zur leichten Übersicht erstelle
noch eine nützliche Tabelle,
in der dann alle Dinge stehen,
mit einem Zahlenwert versehen.

So wird es künftig für dein Leben
ein gut sortiertes Ranking geben,
das zeigt: Was könntest du bedenken?
Was solltest du dir lieber schenken?
Wo lässt das Risiko sich senken?
Denn schließlich kannst du alles ranken!

Das willst du bald schon nicht mehr missen
und wirst es sehr zu schätzen wissen,
nur nackte Zahlen vorzufinden
und damit alles zu begründen.

Ein Beispiel: „Wieso machst du Schluss?“ –
„Im Ranking bringst du nie ein Plus.“ –
„Du, Schatz, es hat doch noch gefunkt …“ –
„Jetzt nerv nicht. Nächster Minuspunkt.“

Woanders: „Oma, ich erwäge,
Dich aufzugeben, denn die Pflege
wär künftig nur noch effizient,
erhielt ich mehr im Testament.“

So sind Konflikte zu vermeiden
und Dinge leichter zu entscheiden,
und Ordnung schaffst du immer besser
als Lebensqualitäten-Messer.

Denn was dein Leben auch beschränkt,
dich in die falsche Richtung lenkt
und, wie auch immer, mal beengt –
es wird dann einfach ausgerankt!


Seenotrettung aus Arbeitgebersicht

(Gedicht)

Europa, was für eine Schande!
Es ist doch nicht mit anzusehen,
wie Flüchtlingsboote hier am Rande
des Kontinentes untergehen.

Zu helfen, wäre längst geboten!
Es wäre nämlich schlicht verkehrt,
zu sagen, viele dieser Toten wär’n
lebend ebenfalls nichts wert.

Erst recht aus Unternehmersicht
sind diese Opfer nur Verschwendung!
Die Rettung wäre daher Pflicht:
Wir haben ganz gewiss Verwendung

für jene, die befürchten müssen,
sie würden auf dem Meer begraben.
Die werden uns die Füße küssen,
sobald wir sie gerettet haben!

Es wäre damit viel gewonnen,
wie jeder sich schon denken kann:
Denn wer dem Tode grad entronnen,
nimmt jede Art von Arbeit an.

Dann könnten wir den Beinah-Leichen
die schlimmsten Niedriglöhne zahlen.
Es würde ihnen trotzdem reichen,
vermutlich würden sie noch strahlen,

aufgrund des Glückes, hier zu sein.
Europa würde dadurch schöner
und ließe Flüchtlinge herein
als lebensfrohe Billiglöhner.


Hinter Zäunen und Mauern

(Lied)

Wir sitzen hinter Zäunen oder Mauern,
die Welt da draußen ist nicht unsre Welt,
doch spüren wir die Menschen draußen lauern
und schrecken auf, wenn unser Jagdhund bellt.
Wir sind gewohnt, uns täglich abzuschotten,
weil jeder Mensch uns potentiell bedroht.
Wir kennen uns’re eigenen Marotten.
Was wir nicht fühlen, halten wir für tot.

Wir sehen uns als geistige Eliten,
wir wirken, wenn wir sprechen, selbstbewusst
und lesen der Gesellschaft die Leviten,
beklagen Wertverfall und Wertverlust.
Sozialromantik nennen wir die Lüge,
die jedem Menschen Gutes unterstellt,
obwohl selbst Optimisten zu genüge
erkennen: Es läuft anders in der Welt!

Die Angst ist unser stetiger Begleiter,
wir raffen um uns, was sich raffen lässt.
Wir streben stets nach mehr und immer weiter,
doch gierig ist bekanntlich auch der Rest.
Denn jeder Mensch ist Opfer seiner Triebe,
Moral ist ein Kostüm und niemals echt,
weshalb aus allem nur zu folgern bliebe:
Im Kern sind alle Menschen faul und schlecht.

Die Wenigsten woll’n wirklich etwas leisten,
ihr Antrieb sind Bequemlichkeit und Gier.
Das gilt da draußen für die allermeisten.
Sind wir einmal ehrlich, sehen wir:
Wir müssen Leistung notfalls auch erzwingen,
sodass, wer uns nicht hören will, uns fühlt.
Gesellschaft kann ja schließlich nur gelingen,
wird unser Menschenbild nicht weichgespült.

Ein Menschenbild in eine Form zu gießen,
machen wir seit vielen Jahren blind.
Uns fällt nicht schwer, auf andere zu schließen,
weil wir wissen, wie wir selber sind.


2.2. Neue Perspektiven

Eine Angeklagte verteidigt sich

(Gedicht)

„Herr Richter“, sprach die Anklagte,
„ich kann nur, was ich vorhin sagte,
noch einmal deutlich wiederholen:
Mir tut die Tat bis heute leid,
doch hätt ich, je nach Dringlichkeit,
sie andern Frauen auch empfohlen.

Zumindest solchen, die mit einer
Gegebenheit, die ähnlich meiner,
zu kämpfen und zu leben hätten.
So paradox das scheinbar klingt:
Ich glaub, auf diesem Weg gelingt
es die Gesellschaft noch retten.

Nicht heute, doch auf lange Sicht –
wenn das Gericht auch widerspricht.
Die Logik gibt mir nämlich Recht.
Obgleich es Ihnen nicht behagt:
als Mutter hab ich zwar versagt,
doch sonst verhielt ich mich nicht schlecht.

Zumindest insgesamt betrachtet.
Ich habe stets darauf geachtet,
dem Wohl des Staates nicht zu schaden.
Drum war es richtig, wie ich find’,
mein grade frisch gebor’nes Kind
im Müll-Container abzuladen.

Es war schon tot, als das geschah.
Natürlich. Denn ich wollte ja
die Nachbarn keinesfalls erschrecken.
Da macht sich schließlich Panik breit,
wenn’s aus der gelben Tonne schreit.
Wer will schon Babys dort entdecken?

Ich weiß. Es ist dann doch passiert.
Der Sack war schlampig zugeschürt,
der linke Fuß hat rausgeschaut.
Die Nachbarin fand’s ziemlich krass
und wirkte nach dem Schock recht blass.
Das hat ihr wohl den Tag versaut.

Auch das bedaure ich heut sehr.
Trotz allem fällt es mir nicht schwer
zu sagen: Es war richtig so.
Auf diesem Weg hab ich dem Staat
und meinem Baby viel erspart –
als erstes das Hartz-IV-Niveau.

Ich bin ja langzeitarbeitslos.
Statistisch sind die Chancen groß,
dass Kinder, die wir Hartzer werfen,
dem Staat bloß auf der Tasche sitzen
und keinem Steuerzahler nützen.
Das will ich keinesfalls verschärfen!

Zumal die Fakten fördern würden,
dass jede Menge Bildungshürden
zu hoch für meine Kinder wären.
Womöglich ginge dieses Pack
den Lehrern auch noch auf den Sack –
da mag man doch kein Kind gebären!

Vor Kurzem ist das halt geschehen.
Inzwischen hab ich eingesehen,
wie blöd bereits die Zeugung war.
Der Vater hat ja auch kaum Geld,
er war bei Opel angestellt.
Zum Glück ist’s Baby nicht mehr da!

Herr Richter, diese Hartzer-Blagen,
die perspektivlos um sich schlagen,
sind für uns alle eine Last.
Und später – das geht häufig schnell –
wird diese Brut dann kriminell
und landet nur im teuren Knast.

Das alles habe ich bedacht,
doch eines hab ich falsch gemacht –
das, geb ich zu, bleibt nicht verborgen:
Muss so ein Baby mal verschwinden,
dann sollte man aus Umweltgründen
es nur im Bio-Müll entsorgen.“


Die Mitte

(Gedicht)

Wohin das Leben dich auch treibt,
du solltest stets die Mitte meiden,
denn wer dort einmal hängen bleibt,
wird immerzu darunter leiden.

Die Mitte nämlich ist die Stelle
des höchsten Drucks, der größten Angst,
kein Ein-, kein Ausgang, nur die Schwelle,
von der du kaum noch fortgelangst.

Die Mitte ist die Defensive.
Dort fürchtest Du den tiefen Fall
aus Frosch- und Vogelperspektive,
denn Ängste lauern überall:

Die Menschen vor und über dir
beneidest Du und eiferst ihnen
seit Jahren nach, doch scheint es schier
unmöglich, Hoffnung zu bedienen,

die darauf aus ist, aufzusteigen
und möglichst weit voranzukommen.
Du weißt: du wirst es eh vergeigen –
das Ziel bleibt sichtbar, doch verschwommen.

Und hinter oder unter dich
magst Du die Blicke gar nicht lenken.
Du fürchtest ja, dann würde sich
bestätigen, was viele denken:

Dass jeder, der nach unten schaut,
dem Sturz bereits entgegensieht,
sobald er seinem Stand misstraut
und dann sich selbst nach unten zieht.

Du bist Gefangener der Mitte,
wenn unter dir der Abgrund klafft,
und fehlt dir, trotz bemühter Schritte,
zum Aufstieg noch die letzte Kraft.

Du würdest gern den Druck vermeiden
und suchst nach einer off’nen Tür.
Am Ende wirst du sie beneiden:
die über und die unter dir.

Denn beide Seiten machen frei:
ganz oben hast Du jede Wahl,
ganz unten – das ist schön dabei –
ist alles, was du tust, egal.

So steckt ein Rat in diesen Worten:
nimm notfalls einen Sturz in Kauf
und halt dich an den schlimmsten Orten,
doch niemals in der Mitte auf.


Selbstfindung

(Lied)

Du willst mit dir im Reinen sein und dich nicht länger binden,
denn du hast dich auf den Weg gemacht, um dich selbst zu finden.
Jetzt möchtest du in irgend so ein Dorf in Hinterindien reisen,
um dort Tag und Nacht ausschließlich um dich selbst zu kreisen.
Du konzentrierst dich jetzt auf dich, begründest das ausführlich:
„Das ist nicht egozentrisch, sondern nur natürlich,
denn bekanntlich dreht sich um die Sonne unser Erdenreich;
ein Mensch, der in sich ruht, verkörpert beides zugleich.“

Das heißt in andern Worten, mein Erdenschatz und Sonnenschein,
du würdest nie behaupten, der Mittelpunkt der Welt zu sein –
zumindest nicht der ganzen, denn deine kleine Welt
besteht ja nur aus dir, so hast du’s dir zurechtgestellt.
Doch apropos Mittelpunkt, du weißt ja gar nicht, wo der ist,
du suchst seit Neustem deine Mitte, hast sie lange schon vermisst.
Ich find, du solltest langsam mal den Flug nach Indien buchen,
da kannst du fern von mir deinen Kram zusammensuchen.

Das fandest du wohl auch, denn kaum hatt ich’s ausgesprochen,
war’n Deine Sachen schon gepackt und du bist aufgebrochen
und machtest dich auf jenen Weg, der dich zu dir selber führe,
schriebst mir eine Karte: „Es ist toll, wie ich mich spüre …“
„Gespürt hast du dich sicher“ – das war es, was ich dachte,
als man mir acht Wochen später diese Nachricht überbrachte:
Du sei’st glatt erstochen worden, als du meditiertest
und dich grad entspannt auf deine Mitte konzentriertest.

Der Täter war ein Bauer, der war völlig ausgerastet,
ihn hatten Schulden wegen seines Maisfelds überlastet,
deshalb war er mit dem Wunsch nach Rache losgezogen
und westlichen Gesichtern ohnehin schon schlecht gewogen.
Doch du bist dir bis zu deinem Ende treu geblieben,
zumindest hat ein Zeuge das später so beschrieben:
Du konntest den verrückten Mörder zwar schon nahen hören,
aber sprachst: „Ich lasse mich von Äußerem nicht stören.“

Die andern sind geflohen und dich hat nichts aus der Ruh gebracht,
der Bauer hat dann kurzerhand Frikassee aus dir gemacht.
Fast bis zur Unkenntlichkeit warst du danach verschwunden,
doch später hat man immerhin deine Mitte noch gefunden.


Bildungsreise

(Gedicht)

Die Welt ist klein, zumindest in den Köpfen.
Wir Menschen mögen es, uns zu beschränken,
statt alle Möglichkeiten auszuschöpfen
und übern Horizont hinaus zu denken.

Trotz dieser Neigung gibt es junge Spunde,
die lieber öfters aus dem Hause gehen
und die beschließen, eine große Runde
durchs Land und um den Erdenball zu drehen.

Denn sie versprechen sich von einer Reise
in andere Regionen und Gefilde,
durch die Erfahrung dort ein bisschen weise
zu werden. Schließlich heißt es, Reisen bilde.

Das tut es auch, wie der Bekanntenkreis
nach einem knappen Jahr auf Fotos sieht.
Erkenntnis Nummer eins: „Es war sehr heiß,
zu unserm Klima echt ein Unterschied!“

Und dann die Menschen anderer Kulturen!
Ein Heimgekehrter schwärmt: „Ach, war das toll
auf so lebendigen und fremden Spuren
zu wandeln. Ein Erlebnis. Eindrucksvoll.

Hinzu kommt: Sich in einem fernen Land
mit off’nem Blick und Neugier umzuschauen,
macht uns als Europäer tolerant
und hilft die Vorurteile abzubauen.“

Ein andrer Fotograf bestätigt nur:
„Ich war ja sowieso noch nie Rassist,
jetzt weiß ich aber sicher, dass Kultur
in jeder Form und Art berechtigt ist.

Das muss man nämlich stets im Kontext sehen.
Ich möchte deshalb wiederholt betonen:
Gewalt ist häufig leichter zu verstehen,
erkennt man sie als Teil von Traditionen.

Oft habe ich mich selber dran gestört.
Inzwischen prägt mich aber die Erkenntnis:
In weiten Teilen dieser Welt gehört
die Unterdrückung gar zum Selbstverständnis.

Das kommt ja schließlich nicht von ungefähr,
dass hier und da noch Diktatoren herrschen.
Und dieser Kult ums eig’ne Militär –
die Leute haben eben Spaß an Märschen.

Auch stimmt es selten, wenn man impliziert,
dass Menschen die Gewalt dort nicht ertrügen,
denn mancherorts wär’n Frauen irritiert,
wenn ihre Männer sie nicht länger schlügen.

Die Menschen werden ja zu nichts gezwungen.
Bloß weil’s uns fremd ist, ist es nicht gleich schlecht.
Im Grunde sind die ganzen Steinigungen
doch nur ein anderes Konzept von Recht.“

„Wir sollten“, heißt es weiter, „auch nichts ändern.
Wir sahen immer wieder auf der Reise:
Der Tod durch Hunger ist in manchen Ländern
schon ritualisierte Lebensweise.

In unsern Ohren klingt das zwar nach Qualen,
doch haben wir erlebt: Den Menschen dort
gelingt es, Glück und Würde auszustrahlen.
Sie sterben gern an ihrem Heimatort

und wissen bis zum letzten Atemzug
das Leben sehr zu schätzen, und zugleich
ist ihnen das, was sie erhalten, oft genug.
Dort gilt, wer niemals hungern muss, als reich.

Wir können uns daran ein Beispiel nehmen.
Denn liegen viele Orte auch entfernt,
so haben wir zum Umgang mit Problemen
im Hier und Jetzt doch einiges gelernt.“

Die Weisheit, die aus diesen Wort spricht,
bekommt in einer langen Fotoreihe
mehr Farbe und in Teilen ein Gesicht.
Das meiste ist ein hübscher Blick ins Freie.

So rückt die ganze Weltgemeinschaft näher.
Es wirkt für uns vertraut und sehr gekonnt,
erklären weitgereiste Europäer
die Menschheit hinter ihrem Horizont.


Schöne Feiertage!

(Lied)

Ein Langzeitarbeitsloser hockt in einem Plattenbau
und feiert Heiligabend allein mit seiner Frau.
Das Jobcenter hat hier den Strom vor kurzem abgestellt –
zum Glück gibt’s noch ein Teelicht, das die Wohnung leicht erhellt.
Mit einer Zeitung haben sich die beiden zugedeckt,
der Apfel-Zimt-Tee ist gefroren und schmeckt auch geleckt.

Habt nun schöne Feiertage,
sei’s auch ärmlich und verdreckt,
denn ihr zeigt uns (ohne Frage),
welcher Sinn in der Weihnacht steckt!
Können wir euch auch nichts geben,
sind wir doch gedanklich nah.
Lasst uns heut das Glück erleben,
Hallelu-uh-uh-uh-ja!

Ein Mädchen näht in Bangladesh an einem rosa Shirt,
als es aus der Ferne eine Glocke schellen hört.
Das Mädchen hält kurz inne und lächelt still und leis,
Rauch weht durch die Türe und allmählich wird es heiß.
Dann näht das Mädchen weiter, wobei es daran denkt:
Das Shirt bekommt womöglich ein nettes Kind geschenkt.

Dass der Herrgott dich belohne,
wünschen wir in unsrer Stadt,
denn du zeigst uns zweifelsohne,
welchen Sinn die Weihnacht hat!
Und obwohl wir dich nicht kennen,
stehen wir dir gerne nah.
Herz und Seele sollen brennen,
Hallelu-uh-uh-uh-ja!

Der Krieg hat ganze Dörfer auf einmal weggerafft,
zehn Kinder sitzen mit der Mutter hungrig und erschlafft
um die letzte Mahlzeit, die sich noch ergattern ließ:
ein Krug mit dunklem Wasser und eine Schüssel Grieß.
Bevor der sich’re Tod die Familie bald ereilt,
wird – und das ist schön – das letzte Bisschen noch geteilt.

Ihr habt nicht umsonst gelitten,
ihr seid nicht umsonst verreckt,
denn ihr zeigt uns (unbestritten),
welcher Sinn in der Weihnacht steckt!
Seid ihr aus der Welt geschieden,
bleibt ihr doch symbolisch da.
Euer Tod steht für den Frieden –
Hallelu-uh-uh-uh-ja!


Der Tag danach

(Gedicht)

Wenn ihre Taten Angst und Schrecken
verbreiten und wir dann beschließen,
die Menschenrechte zu verstecken,
damit sie nicht auf diese schießen;

wenn in dem Schrei nach Sicherheit
der Ruf nach Freiheit untergeht,
wenn alles für den Krieg bereit,
doch niemand für den Frieden steht;

wenn wir Vergeltungsdrang verspüren
und wir den Kampf, den sie begonnen,
mit gleichen Mitteln weiterführen,
dann haben sie bereits gewonnen.