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Das Wahllokal in meiner alten Schule

Das Wahllokal in meiner alten Schule

(2023)

Der Direktor stellt die Urnen auf, da kommen gleich die Zettel rein.
Für die Wahl zum neuen Bundestag will man gut vorbereitet sein.
Der Chef ist selbst im Einsatz, weil er sagt, dass sich das lohnt,
denn Mitbestimmung sei ihm wichtig, wie er heut betont.
Vergessen ist das Sommerfest, das er zuletzt verbat,
auch sein ignoranter Umgang mit dem neuen Schülerrat
spielen heute keine Rolle mehr, solang die Bürger wähl’n,
weil diesmal ausnahmsweise alle Stimmen zähl’n.

Alle vier Jahre wird meine alte Schule
zum gutbesuchten Wahllokal.
Einen Tag lang herrscht dann die Demokratie,
an den andern Tagen nicht einmal formal.

Zur Wahl von einer Richtung sind die Bürger angehalten:
Wie woll’n wir die Gesellschaft, unser Umfeld gern gestalten?
Nur in den Räumen mit den kahlen Wänden, wo jetzt die
Wahlkabinen stehen, bleibt das graue Theorie.
Zwei Schüler sind mit Eltern da, die heute wählen geh’n.
Sie dürfen das Prozedere von Außen einmal seh’n,
wenn man die Erwachsenen im Gegensatz zum Rest
der Schulbesucher über ihre Zukunft entscheiden lässt.

Alle vier Jahre wird meine alte Schule
zum gutbesuchten Wahllokal.
Einen Tag lang herrscht dann die Demokratie,
an den andern Tagen nicht einmal formal.

Ein Referendar hilft ebenfalls bei der Organisation,
denn Rahmenbedingungen einzuhalten kennt er schließlich schon
aus seinem Arbeitsalltag, der nur so flexibel ist
wie die Prüfkriterien und die nächste Frist.
Er fragte sich gern häufiger: Auf welche Weise hol
ich Schüler ganz authentisch ab? Wann fühlen sie sich wohl?
Wie kann ich sie begeistern? Was möchte ich erzähl’n?
Doch den Rahmen dafür durfte er nie wähl’n.

Alle vier Jahre wird meine alte Schule
zum gutbesuchten Wahllokal.
Einen Tag lang herrscht dann die Demokratie,
an den andern Tagen ist sie scheißegal.

Aber einen Sonntag lang lieben alle das Wahlprinzip,
als gäbe es kurz ein Schlachtverbot in einem Mastbetrieb,
als wär im Fußballstadion ein netter Umgang plötzlich schick,
als führte man ein Friedensgespräch in der Sturmgewehrfabrik.

Alle vier Jahre wird meine alte Schule
zum gutbesuchten Wahllokal.
Einen Tag lang herrscht dann die Demokratie,
an den andern Tagen … lalalalala.

Alle vier Jahre macht meine alte Schule
um 18 Uhr mit dem Wählen Schluss.
Beim nächste Mal mache ich mein Kreuz per Brief,
damit ich dieses Trauerspiel nicht mitansehen muss.