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Der Pressefotograf

Der Pressefotograf

(2011)

Ich sah dich mit deiner Affäre
verträumt und verschlungen am Strand.
Ich weiß nicht, was schlimm daran wäre,
ich selbst find das unint’ressant.
Ich hab so was oft schon gesehen,
es hat mich noch nie aufgebracht.
Doch weil uns’re Leser drauf stehen,
hab ich ein Foto gemacht.

Jetzt seid ihr ganz groß in der Zeitung:
Du und er – wie ihr da liegt.
Ihr habt von der Redaktionsleitung
sogar den Titel gekriegt.
Die Meldung zieht rasch ihre Kreise
und du tust mir beinahe leid.
Du siehst dich berechtigterweise
als Opfer der Öffentlichkeit.

Man hört sie schon laut diskutieren
über Sinn und Moral deiner Tat.
Da hilft dir auch kein Echauffieren,
das Thema sei viel zu privat.
Wir alle haben unsere Schwächen,
das habe ich niemals verneint –
es kann umso leichter sich rächen,
je stärker jemand erscheint.

Und sieht man den Starken dann fallen,
erscheint der Moment oft sehr kurz.
Die spannendsten Bilder von allen
entstehen direkt vor dem Sturz.
So dokumentiere ich täglich
den Augenblick vor dem Tumult.
Ich finde das durchaus verträglich
und spüre auch keinerlei Schuld.

Mein Ziel ist es nicht zu entlarven,
ich schau nur, ob das Motiv passt.
Denn die Aufgabe von Fotografen
ist die Arbeit mit Licht und Kontrast.
Vor allem Kontrast.