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Fröhliches Nicht-Lernen

Fröhliches Nicht-Lernen
(2012)

einleitendes Gedicht

Nachmittagsfernsehen

Mittwoch Nachmittag um dreie
gellen unverschämte Schreie
aus der Wohnung über mir.
O-Ton: „Halt die Fresse, Schlampe,
scher dich nicht um meine Wampe,
hol ma lieber neues Bier!“

An den Lärm, der runterdröhnt,
bin ich länger schon gewöhnt
und ich hab ein dickes Fell.
Wenn ich jenen Klängen lausch,
weiß ich: Jetzt läuft Frauentausch
viel zu laut auf RTL.

Folglich frag ich mich: Was nun?
Und: Was soll ich bitte tun,
um die Laune hochzuhalten?
Oft ergibt sich, wo ich wohn,
meinerseits die Reaktion,
selbst den Fernseh’r einzuschalten.

Dann wird nachmittags geglotzt,
wie ein Schnurrbart-Träger motzt
(meist mit Kevin und Chantall).
Fleisch sei voll mit Vitamin,
meint die lispelnde Nadine,
und Salat sei nicht ihr Fall.

Ein Empfänger von Hartz IV
zeigt, dass ein Blatt Klopapier
pro Toilettengang genügt.
Fällt auch das Niveau ins Tal,
steigt der Spaß proportional
und die Fernseh-Zeit verfliegt.

Doch ein Spaß erfreut noch mehr,
schickt man diesen hin und her –
meist als Youtube-Link im Netz.
Denn die allergrößten Lacher
werden erst geteilt zum Kracher –
das ist menschliches Gesetz!

Und so schauen wir in Massen
etwas, das wir schwerlich fassen
und was furchtbar blöd erscheint.
Aber alle lachen herzhaft
und wir fragen manchmal scherzhaft:
„Ist das wirklich ernst gemeint?“

Viele meinen zu verstehen,
wenn wir diese Grütze sehen,
welcher Sinn dahinter steckt.
Nämlich: Lasst uns Scheiße fressen,
um nicht ständig zu vergessen,
dass Gemüse besser schmeckt!

Wenn wir aber ehrlich wären,
würden wir uns selbst erklären,
dass wir uns den Spaß kaum gönnten,
machte Scheiße nicht bewusst,
dass wir uns – trotz allem Frust –
das Gemüse leisten könnten.

Anmerkung:
Um dich gut zu fühl’n im Leben
und dich grisend zu erheben,
muss es unter dir was geben,
denn dann kannst Du drüberschweben.

Conférence

Wir kennen alle seit Jahren die Diskussion, wie stark der erhöhte Konsum von Privatsendern zur allgemeinen Verblödung beiträgt. Es gibt eben einen Unterschied zwischen „Bildungs-Fernsehen“ und „bildungsfern sehen“. Hirnforscher melden sich bei dem Thema auch schon zu Wort. Auf fast jede Frage zum Thema „Lernen“ wissen wir inzwischen eine biologische Antwort. Das führt zu Schlagzeilen wie „Faulenzen – wie Nichtstun die Lernleistung verbessert“. Das ist eine ähnlich scharfsinnige Erleuchtung wie „Schlafen – Wie Pennen effektiv die Müdigkeit reduziert“. Dass freie Zeit einfach gut tut, glauben wir erst, wenn wir es aus dem Munde eines Hirnforschers gehört haben. Ein Konzept, das wissenschaftlich nicht belegt wurde, ist wertlos. Im Umkehrschluss ist aber vieles, das sich wissenschaftlich belegen lässt, umso wertvoller. Vor allem im finanziellen Sinne. Seit Forscher herausgefunden haben, dass die Gehirne von Kleinkindern besonders aufnahmefähig sind, schicken manche Eltern ihre Sprösslinge schon mit zwei Jahren in den Privatunterricht. So baut man konsequent den Karrierevorsprung der Kleinen aus. Und dafür zahlt man natürlich auch gerne.
Wenn man sich dann aber etwas ausführlicher mit Ergebnissen der Hirnforschung befasst, stellt man fest, dass die Sache mit dem Alter gar nicht so wichtig ist. Viel wichtiger ist, dass Lernen und Gefühle eng miteinander verknüpft sind. Menschen können also viel besser und leichter lernen, wenn sie dabei positive Empfindungen haben. Das scheint nur leider an den wenigsten Schulen bisher angekommen zu sein.
Die Sachen mit den „positiven Empfindungen“ hat nur einen Haken: Glückshormone können auch dann produziert werden, wenn wir besonders schlecht lernen. Bekanntestes Beispiel: Mathematik. Wir kennen alle solche Menschen, die einem gerne erzählen, dass sie kein Mathe können. Ich gehöre ja selbst dazu – ich bin geradezu begeistert davon und mein Gehirn wird mit Glückshormonen förmlich überschwemmt, wenn ich von meinen mathematischen Unkenntnissen berichte. Und zwar durch einen einfachen Trick, mit dem sich das Gehirn selbst verarscht: Zwar hatte ich nie mathematisch wertvolle Erkenntnisse, aber ich hatte wenigstens die Erkenntnis, dass ich kein Mathe kann. Und weil ich in dem Fachbereich sonst keinen anderen Grund zur Freude hatte, stachelte mich mein Gehirn dazu an, mich wenigstens darüber zu freuen, dass ich erkannt hatte, kein Mathe zu können. Wenn sich eine solche Überzeugung erst einmal durchgesetzt hat, ist es für Lehrer ziemlich schwer, dagegen anzurennen. Denn immer dann, wenn ein Schüler, der glaubt kein Mathe zu können, eine Mathe-Aufgabe lösen soll, wird sich der Schüler an die negativen Gefühle erinnern, die er hatte, als er an den letzten Aufgaben gescheitert ist. Deshalb wird er sich lieber auf die positiven Gefühle verlassen, die er immer dann empfindet, wenn er erkennt: Ich kann kein Mathe!
Der Lehrer wiederum wird irgendwann frustriert aufgeben und am Ende ebenfalls überzeugt sein, dass der Schüler kein Mathe kann. Denn wenn der Lehrer kein Erfolgserlebnis hat, indem sein Schüler etwas dazu lernt, schüttet das Gehirn eben dann Glückshormone aus, wenn die Erkenntnis da ist: Der Schüler kann wirklich kein Mathe! Dadurch ist gewissermaßen beiden Seiten geholfen. Vielleicht liegt darin sogar eine Chance für die Bildung der Zukunft: Die Schüler lernen einfach nur noch, dass sie Idioten sind und nichts können. Mit der Zeit wird das Gehirn seiner wichtigsten Funktion nachkommen und den Schülern einfach Glück vorgaukeln. Sie werden dann lächelnd durchs Leben schreiten – als Verkörperung der philosophischen Weisheit „Ich weiß, dass ich nichts weiß“. Denn wenn es schon der Bildung hierzulande nicht besser gehen kann, dann doch wenigstens den Schülern.