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Metaphorisches Duell

Metaphorisches Duell I

Der Tragödie erster Teil

Es gibt ja bekanntlich Menschen, die man nicht ausstehen kann und denen man dennoch nicht aus dem Weg geht. Man fiebert solchen Treffen sogar ein wenig entgegen. Wie ein Pfeil, der die Armbrust verlässt, auf sein Ziel zusteuert und voller Vorfreude sein Opfer fixiert; wobei nicht ganz sicher ist, ob das Opfer im letzten Moment vielleicht doch noch ausweichen wird.
Ein solcher Mensch, den ich nicht ausstehen kann, dem ich aber nie für immer aus dem Weg gehe, ist der Dichter Holger Meisenbach. Als wir uns das erste Mal begegnet sind, war es Feindschaft auf den ersten Blick. Ich entsinne mich nicht, dass er sich mir gegenüber einmal höflich oder gar freundlich geäußert hätte. Trotzdem lasse ich es mir nur ungern entgehen, ihm gegenüberzutreten, wenn diese unvergleichlich charmant-unverschämten Kommentare über seine Lippen tanzen.
Wie zum Beispiel vergangenen Monat, als wir uns zufällig bei „Burger King“ über den Weg liefen. Er begrüßte mich mit den Worten: „Einen wunderschönen verfaulten Tag, du Schatten deines entleerten Egos! Ich werde das Insektengift im Blumenbeet deiner Zukunft sein; der Grabstein über deinen zermalmten Knochen!“ So fängt es immer an, wenn wir uns treffen. Und wer will so etwas schon auf sich sitzen lassen? Also entgegnete ich: „Sei mir gegrüßt, du unbeschriebenes Blatt Papier! Merk dir ein für alle Mal: Ich bin die zersetzende Salzsäure, die ins Bad der Lebensfreude gekippt wird; der Atommüll auf fruchtbarer Erde und die Brennnessel im Garten Eden! Ich bin der Fels in der Brandung, an dem dein Floß der Hoffnung elendig zerschellen wird; der Pitbull im Hühnerstall und der Skorpion am romantischen Sandstrand! Ich bin das Salz im Erdbeereis; die Rasierklinge, die deine Zahnhaare entfernt; die Schlucht, die aus dem Fluss des Lebens einen stürzenden Wasserfall macht; der Steinhaufen auf den Schienen, die den Weg zu deinem Lebenssinn ebnen und der Betonuntergrund, auf den ein Samenkorn fällt!“ Holger nickte nur selbstsicher. Sein Blick wanderte geringschätzend über die Preisliste des „Burger Kings“ an der Wand. Der Gesichtsausdruck blieb unverändert, als er mich ansah und mir weitere Kommentare ins Gesicht schleuderte: „Du defekte Bildröhre! Ich bin das Blut im Füller, der deine Lebensgeschichte schreibt; das Kanonenrohr in der Klosterkapelle; die unerbittliche Flamme unter dem längst verkohlten Grillwürstchen und der Ärmel, der vier Asse zurückbehält! Ich bin für dich wie ein beinloser Stuhl, ein eckiges Rad, ein Magnet ohne Plus-Pol und eine Rosenhecke ohne Blüten!“ Langsam fand ich, dass er es übertrieb. Wie immer. Doch es juckte mich, dem etwas entgegenzusetzen. Also rief ich: „Du minenloser Bleistift! Du bist wie eine Notrufnummer mit Warteschleife; eine Sintflut aus Kanalisationsgewässern oder eine gammelige Birne auf dem Mittagstisch der Schwedischen Königin! Du verdrecktes Brillen-Putztuch; du wurzellose Buche; du stiefelförmiges Pantoffeltierchen! Ich werde wie ein Kirschkern in deiner Luftröhre sein; wie ein Sekundenzeiger, der dir unaufhaltsam davon hechtet; wie ein Leck im Tank deines Daseins; eine Sackgasse ohne Wendemöglichkeit und so unberechenbar wie die Zahl Pi!“
Zwei Sekunden später stand der Geschäftsführer neben uns. Wir bekamen Hausverbot bei „Burger King“. Draußen auf der Straße schüttelte Holger nur mitleidig den Kopf und sagte bloß sechs Silben: „Du Möchtegern-Poet!“ Zugegeben, ich habe ihm vieles in der Vergangenheit verziehen. Aber das hier war etwas Anderes. Diese Beleidigung prallte nicht ohne Weiteres an mir ab. Ich werde sie ihm noch in drei Jahrzehnten nachtragen. Meine Muse, die den Frontalangriff zum Glück mit einer leichten Verletzung überlebt hat, ließ sich nun erst recht nicht mehr beirren und inspirierte mich zu folgendem Gedicht, das ich an dieser Stelle Holger Meisenbach widmen möchte. Es trägt den Titel:

Zerstörte Harmonie

Er saß mit ihr auf einer Düne,
den Sonnenuntergang bestaunend;
er blickte mit verzückter Miene
aufs Meer und sagte schließlich raunend:

„Willst du mich heiraten, mein Schatz?
Ich liebe dich! Sei du mir nah!“
Sie hörte lächelnd diesen Satz
und sagte darauf schüchtern: „Nein.“

Er schaute sie entgeistert an.
Sie hatte ihm das Herz gebrochen!
Und er, der sehr verliebte Mann,
er hatte sich zu viel versprochen.

Doch dann probierte er’s erneut
und sprach zu ihr: „Mein bestes Stück!
Hast du die Antwort schon bereut?“
Sie meinte nur: „Da hast du Pech.“

Ihr Tonfall war dabei ganz kühl,
in seinen Ohren klang‘s fast barsch.
Es war ein schreckliches Gefühl.
Der ganze Abend war kaputt.

Was für ein mieses Frauenzimmer!
So hinterhältig und durchtrieben!
Im Gehen sagte er noch: „Immer
und ewig werde ich dich hassen!“

Er ging verzweifelt, aufgewühlt,
und hätte gerne auf der Stelle
Erinnerungen fortgespült
mit einer hohen Meereswelle.

Das Meer blieb aber ganz entspannt,
es ruhte, wurde beinah’ still
und so erhielt es elegant
die Illusion von dem Idyll.

Mehr lässt sich hierzu nicht berichten,
denn die zerstörte Harmonie
mit netten Worten schönzudichten,
gelingt selbst einem Dichter selten.


Metaphorisches Duell II

Der Tragödie erster Teil

Erfahrungsgemäß trifft man in Situationen, die man nicht gebrauchen kann, häufig auch die Menschen, die man noch weniger gebrauchen kann. Wie ein schicksalhafter Schweißfilm ziehen unangenehme Situationen grundsätzlich die nervigsten Schmeißfliegen an. Diese Theorie bestätigte sich kürzlich, als mir eine Kletterpartie in den Schweizer Alpen zum Verhängnis wurde. Im sonnenüberfluteten Übermut war ich auf einen grasbewachsenen Felsvorsprung hinabgeklettert. Von dort aus hatte man eine sagenhafte Aussicht auf die umliegende Landschaft. Ich genoss es einige Minuten lang, bis ich feststellte, dass sich der Rückweg weitaus komplizierte gestalten würde. Als ich mich nämlich an der steinigen Wand hoch zerren wollte, entpuppte sich diese als äußerst benutzerunfreundlich. Ein Stück brach ab und wenig später saß ich wieder auf dem knapp bemessenen Felsvorsprung.
Zwei Quadratmeter Bewegungsfreiheit sind nicht viel. Erst recht nicht, wenn sich hinter dir eine Steinwand und vor dir ein 2000 Meter tiefes Tal befindet. Gezwungenermaßen rief ich um Hilfe, in der Hoffnung, irgendwann werde mich schon ein Wanderer hören. Zu meiner Überraschung tauchte schon kurz darauf ein Gesicht über mir auf. „Heil dir, niedergestochener Cäsar!“ drang es zu mir hinunter. „Was für eine unangenehme Lage.“ Ich zuckte zusammen. Dort oben stand niemand anderes als mein Lieblingsfeind, der Dichter Holger Meisenbach. Instinktiv rief ich zurück: „Wünsche dir einen mottenzerfressenen guten Tag, du jodelnde Heino-Attrappe! Deine Visage hat die beruhigende Wirkung eines fegenden Tsunamis, einer mutierten Tarantel oder einer Kriegserklärung der USA. Allein deine Anwesenheit ist wie ein Salatblatt an der Metzgertheke, ein Freibadbereich im Klärwerk, ein Gurken-Logo auf einem Apple-Computer oder eine Kondomwerbung im Vatikan! Du bist wie ein alkoholfreier Whiskey, ein geflicktes Küchensieb, eine Eintagsfliege mit Monatskarte oder ein naturalistisches Picasso-Gemälde!“ Mir war bewusst, dass diese Worte hier völlig fehl am Platz waren, vor allem in Anbetracht meiner Situation. Aber bei Holgers herablassendem Blick hatte es mich einfach überkommen. Nun beugte er sich etwas weiter vor und setzte sein fieses Josephsgrinsen auf, bei dem ich nie ganz wusste, ob es mich eher an Joseph Ackermann oder Joseph Ratzinger erinnerte. Meinen Angriff ließ er natürlich nicht unerwidert: „Du abgestumpftes Henkerbeil! Ich bin das Loch im Aquarium deiner Hoffnungen; eine Dynamitstange in der Kloschüssel; deine hässliche Affäre in den Flitterwochen und die Schafsherde im Eisenbahntunnel. Ich bin so verlässlich wie ein vegetarischer Löwe; ein Medikament aus dem Internet; ein Kaffeerunde, die ein Geheimnis für sich behalten soll oder ein Fallschirm auf dem Rücken von Jürgen Möllemann!“ Auch wenn ich auf einem zwei Quadratmeter großen Felsvorsprung saß – gegenüber Holger Meisenbach würde ich unter keinen Umständen klein beigeben. Diese Provokationen schrieen nach einer Antwort. Somit rief ich nach oben: „Du braun gefleckte Milka-Kuh! Du bist wie eine 24-Stunden-Ausgabe des Musikantenstadels, ein chinesischer Gabelbenutzer, ein Rahmspinat ohne „Blubb“ oder eine Dampfwalze im Porzellanladen. Du Werwolf im Schafspelz, du Kettenbrief-Container, du achteckiges Pentagon, du apokalyptischer Kunstreiter! Ich werde für dich wie die Mücke in der finnischen Sauna sein; wie die glühende Zigarette im Benzinkanister; der motorgetriebene Rollstuhl ohne Bremsen; das Vorwort zu deinem Obduktionsbericht und so gradlinig wie der Satzbau von Edmund Stoiber!“ Holgers Josephsgrinsen wurde noch breiter. Anstatt den Wortkampf mit fairen Mitteln fortzusetzen hob er nur kurz die Hand und sagte: „Tschüs! Genieß die Zeit an der frischen Luft. In drei Stunde sag ich vielleicht mal der Bergwacht Bescheid.“ Dann war er weg und ließ mich auf dem Felsvorsprung zurück.
Die Zeit bis zum Erscheinen der Bergwacht verbrachte ich zunächst damit, eine blaue Enzianblüte anzustarren, bis ich irgendwann nach einem kleinen Stein griff und damit begann, ein Gedicht in den Felsen zu ritzen. Ich widmete es Holger Meisenbach und seinem Verhalten. Es trug den Titel:

Taktlos

Er war ein muskulöser Mann,
Student im Fach Maschinenbau,
und machte ganz verliebt sich ran
an eine Germanistikfrau.

Er wusste nicht, was er da wagte,
doch schien es anfangs zu gelingen,
bis er sie eines Tages fragte:
„Soll ich dich jetzt noch nach Hause bringen?“

Er hätte lieber mal geschwiegen.
Die Germanistin wurde bleich.
Er sprach, um’s noch zurecht zu biegen:
„Muss ja auch nicht sofort sein. Wie wär’s … ähm … gleich?“

Das war zu viel. Sie wich zurück
und schimpfte wütend auf ihn ein:
„Du Kleingeist! Geh mir aus dem Blick!
Wie kann man nur so taktlos sein?!

Ein linguistisches Verbrechen!
Das tut ja in der Seele weh!
Kannst du denn nicht mit Versmaß sprechen?!
Er meinte etwas hilflos: „Nö.“

Da sprach sie – im Gesichte Röte:
„Der Rhythmus ist durch dich gestört!
Was bin ich froh, dass unser Goethe
schon tot ist und dich nicht mehr hört!“

Sie schrie (in Wut bald nassgeschwitzt):
„Den Abend würd’ ich gern genießen!
Wie soll das gehen? Denn du trittst
den Versfuß mit den eig’nen Füßen!

Vergiss auch die Familienplanung!
Was soll ich bloß mit einem Mann,
der vom Trochäus keine Ahnung
und keine Jamben bilden kann?!“

Dann ging sie schnellen Schrittes fort,
er spürte seinen flauen Magen,
ergriff ein letztes Mal das Wort:
„Warte! Ich muss dir was Wichtiges sagen!“

Er hätte sie noch gern geküsst.
Doch als er merkte, dass der Satz
„Ich liebe dich“ ein Jambus ist,
war’s längst zu spät und für die Katz.

Moral: Man kriegt es oft zu spüren,
seit Langem gilt das alte Spiel:
Willst schöne Frauen du verführen,
so brauchst du sehr viel Taktgefühl!