1. Feindlerthek
  2. Ungereimtes
  3. Wo bleibt das Positive?

Wo bleibt das Positive?

Wo bleibt das Positive?
(2019)

einleitendes Gedicht

Fluch der Geburt

Was ich auch arbeite, selber erreiche –
am Ende wiegt nichts, was ich mache, so schwer
wie die Frage, vor der ich seit Jahre gern weiche,
die immerzu gleiche: Wo komme ich her?

Ich will, was ich bin, ja auch gar nicht verleugnen:
so männlich und weiß bin ich privilegiert.
Aber soll man mich deshalb gleich morgen enteignen?
Da wäre ich, ehrlich gesagt, alarmiert.

Doch andererseits wär es sicher gerechter
(historisch betrachtet, so ganz allgemein),
denn ohne die kolonialistischen Schlächter
würd vieles für mich heute schwieriger sein.

Ich muss aber nicht mal historisch begründen,
wovon ich so privilegiert profitier.
Es lassen sich zahlreiche Beispiele finden
von Schieflagen zwischen „woanders“ und „hier“.

Das Wirtschaftsystem und die Art, wie wir leben,
ist, wo man auch schaut, auf Verlierern gebaut,
deren Elend und Blut nun am Wohlstandsmüll kleben.
Das Blut ist auch unseren Händen vertraut.

Wir greifen im Alltag mit schlechtem Gewissen
nach Dingen, die’s ohne das Leiden nicht gäb.
Ich empfinde es ehrlich gesagt als beschissen
und täglich belastender, wie ich grad leb …

Doch auch das ist nur privilegiertes Gelaber,
zu heulen, wie schwer diese Bürde doch sei,
und zu sagen: „Verantwortlich fühl ich mich, aber
ich fühle mich dadurch auch weniger frei.“

Ich kann mich da manchmal schon selbst nicht mehr hören,
noch schlimmer ist dann diese Koketterie:
Mich würde politisch so einiges stören
und mache ja was, doch genug sei es nie.

Und wenn ich so rede, dann klingt das am Ende
oft schäbig – da kann ich mich noch so bemüh’n,
denn es klappt nicht, egal, wie ich’s drehe und wende,
der privilegierten Geburt zu entflieh’n.

Was ich auch arbeite, selber erreiche –
zuletzt gibt dem eigenen Handeln den Sinn
eine Frage, um die ich seit Jahren schon schleiche,
die immerzu gleiche: Wo gehe ich hin?

Conférence

So einen Kabarettabend haben Sie sich anders vorgestellt, oder? Ganz ehrlich: Ich hab’s mir auch anders vorgestellt Kabarett zu machen. Was für einen Sinn hat das überhaupt … ? Keine Angst, den Abend hier ziehen wir noch durch. Aber ich frag mich manchmal echt, ob ich nichts Besseres zu tun hab, als Leute ablachen zu lassen. Wohin soll das denn auf Dauer führen? Ich will ja nicht zur Verharmlosung der politischen Lage beitragen. Es ist doch keinem geholfen, wenn Sie am Ende des Abends rausgehen und sich denken: Ist ja alles halb so schlimm. Aber sie sollen hier auch nicht wie gelähmt sitzenbleiben, weil alles so übel ist. Ich kann ja nur mutmaßen, was Sie für die Welt da draußen brauchen. Brauchen Sie vielleicht mehr Positives? Um dann hoffnungsvoller durchstarten zu können? Oder lieber mehr Horrormeldungen? Damit Ihnen der Ernst der Lage mal bewusst wird?
Das heißt nicht, dass ich die guten Nachrichten bewusst ignoriere. Ich will auch nicht undankbar sein. Ich hab unserem Wirtschaftssystem viel zu verdanken – und nicht nur ich – weite Teile der Welt haben bis heute von der finanziellen Wohlstandsflut profitiert. Schon John F. Kennedy wusste: „Mit der Flut steigen alle Boote.“ Gut, er hat vergessen zu fragen, wie weit die Flut noch steigen darf – aber statistisch wird die These grundsätzlich bestätigt: Wenn alle Menschen nach den Regeln des Modellmännchens handeln, also rein egoistisch ihre Gewinne steigern wollen, dann gewinnen auch alle. Sogar die Ärmsten auf diesem Planeten. Als Beleg dafür hat das Weltwirtschaftsforum in Davos eine Statistik vorgelegt, die zeigt, dass der Anteil der Menschen, die in absoluter Armut leben, in den vergangenen 200 Jahren drastisch gesunken ist: 1820 lebten noch 94 Prozent der Menschen in absoluter Armut, heute nur noch 10 Prozent. Ich gebe zu: Das wäre zur Abwechslung mal eine richtige Erfolgsstory für heute Abend gewesen. Ein optimistischer Lichtblick in der Finsternis der ganzen Weltuntergangsszenarien. Aber das kann ich ja so nicht stehen lassen. Deshalb habe ich mir die Statistik aus Davos noch mal genauer angeschaut. Und erfreulicherweise bin ich fündig geworden: Ich habe nämlich drei große Fragezeichen gefunden. Erstens: Wie wird hier eigentlich absolute Armut definiert? Laut Weltwirtschaftsforum gelten die Menschen als arm, deren Tageseinkommen unter zwei Dollar liegt. Realistischere – aber immer noch konservative – Rechnungen setzen die Untergrenze bei 7,40 Dollar fest. Zweitens: Können wir das globale Einkommen ernsthaft bis Anfang des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen? Nein. Einigermaßen verlässliche Zahlen dazu gibt es erst seit 1981. Und drittens: Warum sind Menschen in manchen Teilen der Welt überhaupt so extrem arm? Interessanterweise sind vor allem die Regionen von absoluter Armut betroffen, in denen die Menschen vor 200 Jahren noch gar nicht auf ein regelmäßiges Einkommen angewiesen waren, weil sie als so genannten Subsistenzbauern lebten. Das heißt, sie hatten genug Land, um sich selbst zu ernähren, haben sich gemeinschaftlich organisiert, aber sie brauchten eben kein Geld. Bis ihnen ihr Land genommen wurde – und zwar von Leuten, die ihnen erst mal weniger als zwei Dollar am Tag zahlten.
Die Statistik vom Wirtschaftsforum zeigt also in erster Linie, wie wir ein Armutsproblem definieren, das wir selbst verursacht haben. Da zieht auch nicht das Argument, wir würden den Armen dabei helfen, nach und nach unser Wohlstandsniveau zu erreichen. Was für ein Unsinn! Würden alle Menschen so viele Ressourcen verbrauchen wie wir Deutsche, würde eine Erde nicht ausreichen. Wir bräuchten drei.