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Mein Nachbar argumentiert

Mein Nachbar argumentiert

(2016)

Mein Nachbar hat die Faxen dicke
und zetert, die Regierung ticke
doch nicht ganz sauber, denn die Welt
mit Flüchtlingsströmen überall
sei schwer gezeichnet vom Zerfall
und längst schon auf den Kopf gestellt.

Man dürfe jetzt nicht lange fackeln –
und sollten mal die Grenzen wackeln,
so wär es wichtig, Position
an diesen Grenzen zu beziehen,
um allen, die von sonstwo fliehen,
schnell klar zu machen: „Unser Ton

hat mit der Lage sich verschärft!
Und wenn ihr jetzt noch weiter nervt,
dann bleibt es nicht beim Kopfgeschüttel!
Wir greifen, wenn’s nicht anders geht
und ihr das nur noch so versteht,
im Notfall auch zum letzten Mittel!“

Zum Abschluss stellt mein Nachbar fest:
„Ich glaub, den Durchschnittsflüchtling lässt
ein Pazifismus völlig kalt.
Der denkt sich doch, das Land wär seins!
Gewiss ist: Er versteht nur eins
und zwar die Sprache der Gewalt!“

In seinem Kopf ergibt das Sinn.
Mein Nachbar war stets gut darin,
von sich auf andere zu schließen.
Drum wär’s vermutlich konsequent,
da er das kluge Argument
als Sprache überhaupt nicht kennt,
ihn eines Tages zu erschießen.

Ich machte mir mit dem Gebrauch
von dieser Logik aber auch
die Argumentation zueigen,
ich müsste jetzt wie jene sprechen,
die Gegner lieber niederstechen,
anstatt im Streit Respekt zu zeigen.

Drum wird mich nichts dazu bewegen,
mal meinen Nachbarn umzulegen,
weil klar ist, was dagegen spricht:
Ich gäbe ihm und seinem Hass
mit meinen Taten Recht. Doch das,
das gönn ich meinem Nachbarn nicht!