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Schere-Stein-Papier

Schere-Stein-Papier

(2023)

Für uns alle ist das Leben eine Lotterie:
Vielleicht gewinnst du ständig, vielleicht auch nie.
Wer weiß, vielleicht bist du ein reicher weißer Mann,
der sich vor Erbe und Erfolgen kaum noch retten kann.
Vielleicht betrifft dich auch keiner dieser Faktoren
und du wurdest als Frau im Sudan geboren.
Und ändert sich die Ausgangslage marginal,
dann nur mit viel Glück, deshalb schau’n wir doch mal,
wie wir das Glücksrad der Lebenslotterie überwinden
und endlich einen Weg zu mehr Gerechtigkeit finden –
in Form eines Spiels, deshalb starten wir
mit einer Runde Schere-Stein-Papier!

Es beginnt schon im Kreißsaal – oder eher davor,
denn statistisch steht bereits bei der Zeugung fest,
ob man den Nachwuchs die Karriereleiter empor-
klettern oder von der Leiter fernhalten lässt.
Auf Chancengleichheit kann man da lange warten,
aber nehmen wir an, alle Kinder erhielten
die Chance auf einen teuren Privatkindergarten –
vorausgesetzt, dass sie erfolgreich spielten:
„Gehört der beste Kita-Platz bald dir oder mir?
Komm, wir spielen Schere-Stein-Papier!“

Das Gleiche gälte künftig in jedem Betrieb:
Jede Stellenvergabe wär nur zu begreifen,
verstünde man das schlichte Spiel-Prinzip
„Einwickeln, schneiden oder lieber schleifen?“
Bei Wohnungen – sei es jetzt zu Kauf oder Miete –
machten nicht die Reichsten automatisch das Rennen,
sondern jene, die auch ohne irgendwelche Kredite
bei der Wohnungsvergabe die Spiele gewännen,
denn die Wohnungsbewerbung bedeutete schier
viele Runden Schere-Stein-Papier.

Wenn jetzt irgendwer wissen will, was das soll,
und behauptet: auch Würfeln wäre wirkungsvoll,
dann sage ich: Würfeln wäre zwar nicht schlecht,
doch wird der Leistungsgesellschaft überhaupt nicht gerecht.
Denn mit der Wahl von Schere, Papier und Stein
gibt’s die Möglichkeit, selber dran schuld zu sein,
ob man das Spiel gewinnt, denn man muss selbst entscheiden:
Soll ich einwickeln, schleifen oder lieber schneiden?

Für alle Menschen gäb es neue offene Türen:
auch ich könnte schon morgen einen Großkonzern führen,
ein Tellerwäscher hätte dann überall auf Erden
die Chance, mit einer Handbewegung Millionär zu werden.
Obdachlose könnten Hotelketten besitzen
und Chefetagen kämen ziemlich schnell ins Schwitzen,
denn um eine Frage wären sie kaum zu beneiden:
Einwickeln, schleifen oder lieber schneiden?
Einwickeln, schleifen oder lieber schneiden?

Aber will sich irgendjemand mit mir zanken,
ob da nicht der Zufall das Schicksal bestimmt,
verweis ich auf den liberale Grundgedanken,
dass jeder die Verantwortung selbst übernimmt –
auch für Glück und Unglück im Jetzt und Hier.
Warum dann nicht bei Schere-Stein-Papier?