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Was wir erreichten

Was wir erreichten

(2019)

Wir trafen uns zum ersten Mal am Raum 310,
ich fragte: „Ist hier das Adorno-Seminar?“
Du gabst zurück: „Seh ich so aus?“ und ich war irritiert.
Dann lachtest Du und meintest nur: „Ja, klar.“
Dann gingen wir hinein, wir hörten zu und schrieben mit,
in der Hoffnung, uns dann kompetent zu fühl’n.
Doch die Fragen nahmen zu, die Köpfe haben bald geraucht,
abends halfen zwei, drei Bier sie abzukühl’n.
Wir feierten aus Trotz das Leben und die Nächte lang,
als wären wir die Könige der Welt.
Uns verband bei allen Unterschieden dieses Gefühl:
Wir waren ab sofort auf uns allein gestellt.

Was wir uns wünschten, war ein Plan, der zu uns passte,
damit die Zukunft endlich einen Sinn ergab.
Zwar hatten andere ihr Leben lange vor uns schon geschafft,
aber niemand reichte uns den Staffelstab.
Das überkam uns völlig anders als erwartet:
Wir war’n erwachsen, aber fühlten uns nicht groß.
Und wohin die Wege führen würden, ahnten wir noch nicht,
doch wir hatten Energie und liefen los.

Wir bestritten unsern Alltag in Hörsaal und WG
und hielten mit dem Seminarplan Schritt.
Doch eines Morgens sagtest Du: „Mir wird es hier zu eng!“
und nahmst mich auf die nächste Demo mit.
Wir liefen durch die Straßen, machten jede Menge Lärm,
skandierten gegen Gier und Kapital.
Meine eigenen Probleme schienen plötzlich furchtbar klein,
der Kontext war ja ab sofort global.
Wir besetzten einen Hörsaal und erklärten selbstbewusst,
dass hier Gestaltungsraum für Zukunft sei,
um Gesellschaft neu zu denken: friedlicher und fair.
Wir fühlten uns auf einen Schlag so richtig frei!

Was wir erträumten, war die allgemeine Lösung
für die Probleme, die wir täglich vor uns sah’n.
Denn wir wussten, auch im Kleinen wären alle besser dran,
wäre es im Großen erst getan.
Wir diskutierten Theorien und Modelle,
mitunter dachten wir auch revolutionär.
In Gedanken lag die Utopie nur einen Sprung entfernt,
doch die Welt lief einfach weiter wie bisher.

Die Zeit war intensiv und verging doch wie im Flug.
Es wurde schneller als erwartet spät.
Wir retteten die Welt nicht, doch Du sagtest irgendwann:
„Das Thema meiner Abschlussarbeit steht.“
Darin hast Du große Fragen, die wir seit Jahren stellten,
auf eine Fragestellung reduziert.
So fand sich leichter eine Antwort. Du bekamst von Deinen Profs
Analysekompetenzen attestiert.
Ich nahm mir erst ein Beispiel, dann die nächsten Ziele vor,
beruflich wurde es schon bald konkret.
Nach den Jahren auf der Suche stellten wir inzwischen fest:
Wir haben eine Ahnung, wie es weitergeht.

Was wir erreichten, war ein Plan für unser Leben –
und wir verwarfen unsre Pläne für die Welt.
Aber hätten wir den Umweg über Großes nicht gewagt,
wir hätten uns dem Kleinen kaum gestellt.
Ob das der Welt am Ende nützt, bleibt weiter offen.
Wir hoffen nur, dass sie sich nicht bei uns beschwert.
Die Menschheit taumelt weiter, doch wir sind jetzt stabil.
Manchmal wünschten wir, es wäre umgekehrt.