Dumm nickt gut

DUMM NICKT GUT

Das Kabarettprogramm “Dumm nickt gut” hatte im November 2012 in Wuppertal Premiere. Da sich Programme im Laufe der Zeit weiterentwickeln, können sich einzelne Formulierungen sowie Umfang und Reihenfolge der Beiträge von Auftritt zu Auftritt unterscheiden.

Eine Auswahl an ungereimten Texten aus dem Programm findet sich hier.

Erster Teil

1.1. Diese Jugend

Vorbild sein

(Lied)

Meine Eltern machen sich seit Jahren immer wieder Sorgen:
Was wird aus ihrem Kind und wie wird es morgen
sein Leben selbst bestreiten und organisier’n,
wie wird es sich durch die Zukunft manövrier’n?
Ich fürchte mich eigentlich nicht so vor Problemen,
was ich zum Leben brauche, werde ich mir einfach nehmen,
erfahrungsgemäß hat’s schon jeder geschafft,
beweist er nur genügend Durchsetzungskraft.
Denn der Lauf der Dinge ist gar nicht so schwer:
Wenn jemand gewinnt, dann verliert auch irgendwer.

Liebe Gesellschaft, spar dir die Bemühung,
wir geh’n in deiner Obhut sicher nicht ein.
Denn es gibt ja bekanntlich keine bessere Erziehung
als Vorbild zu sein.

Meine arbeitslose Freundin wünscht sich von mir,
dass ich ihren Unterhalt mitfinanzier.
Ich ließ mich sogar über einen Monat lang erweichen
und sagte ihr, zehn Euro in der Woche müssten reichen.
Das ist auch gar nicht wenig, wenn man mal bedenkt:
Das Geld bekommt sie ohne Leistung quasi geschenkt!
Und dennoch meinte sie, sie käm damit nicht aus,
so zog ich einen Schlussstrich und warf sie hochkant raus.
Denn der Lauf der Dinge ist gar nicht so schwer:
Wenn jemand gewinnt, dann verliert auch irgendwer.

Liebe Gesellschaft, spar dir die Bemühung,
wir geh’n in deiner Obhut sicher nicht ein.
Denn es gibt ja bekanntlich keine bessere Erziehung
als Vorbild zu sein.

Meine Lehrer in der Schule hatten manchmal Bedenken,
ich könnte auf die schiefe Bahn überschwenken,
nachdem herauskam, ich würde die Schwachen
dazu zwingen, meine Hausaufgaben zu machen.
Das war natürlich nicht ganz richtig dargestellt,
ich zahlte meinen Sklaven nämlich immerhin Geld,
und die dicke Kohle machte ich sehr geschickt:
übers Internet hab ich damals Schrott vertickt.
Denn der Lauf der Dinge ist gar nicht so schwer:
Wenn jemand gewinnt, dann verliert auch irgendwer.

Danke an die Meinungsmacher draußen im Land,
ohne euch hätten wir nicht so schnell erkannt,
dass es einen schneller zum Ziele führt,
wenn man sich nur auf sich selbst konzentriert!

Liebe Gesellschaft, spar dir die Bemühung,
wir geh’n in deiner Obhut sicher nicht ein.
Denn es gibt ja bekanntlich keine bessere Erziehung
als Vorbild zu sein.

Wer meint, diese Jugend würde immer schlimmer,
vergisst: unser Lebensstil ist längst Programm!
Wir fallen zwar tief, doch landen wir immer
neben dem Stamm.


Frühlingspläne

(Gedicht)

Bevor wir, ohne es zu ahnen,
die Lichter dieser Welt erblickten
und taktvoll nach dem Zeitgeist tickten,
begann man uns bereits zu planen.

Wir waren Wunsch, wir waren Wille,
wir waren Sinn und Luxusgut,
denn unsre Existenz beruht
auf der Entscheidung „Kind statt Pille“.

Von uns erwartete man viel.
So tauchten wir im Lebenslauf
nicht bloß in Randnotizen auf,
wir waren ein erklärtes Ziel.

Und was für eins! Wir boten Fläche
für Projektionen, Träumereien,
wir sollten nach Rezept gedeihen –
das war wohl unsre größte Schwäche.

Denn noch bevor wir ansatzweise
den ersten Atemzug getan,
entstand schon ohne uns ein Plan
für unsre weit’re Lebensreise.

In Zukunft sollte alles passen –
wir wurden deshalb keinesfalls
der Chaostheorie des Alls
und blankem Zufall überlassen.

Wir mussten, kurz gesagt, gelingen.
Zwar zählten wir zur Mittelschicht,
doch sollten wir ganz sicher nicht
nur Mittelmäßiges erbringen.

Aus Sicht von anno dazumal
verlangte man auch nicht zu viel.
Die Zeiten wirkten recht stabil,
zum Kinderkriegen optimal.

Man hörte tolle Argumente,
um wieder Kinder großzuziehen:
Uns sollte eine Landschaft blühen
voll Wohlstand, inklusive Rente.

Wir sollten ohne Geld-Beschwerden
und allzu festes Rollenbild –
zwar freiheitlich, doch nicht zu wild –
zu unserm Glück erzogen werden.

So malten jene, die uns zeugten,
sich aus, wie wir mal werden sollten
und nahmen an, dass wir das wollten
und uns den Plänen gerne beugten.

Und schließlich kamen wir zur Welt.
Verwandte hatten längst die Uhr
und Weichen bis zum Abitur
nach bestem Wissenstand gestellt.

Wir konnten dadurch nur verlieren:
Wir sind mit einem Plan gestartet,
doch kam es anders als erwartet.
So lässt sich heute resümieren:

Man hat uns in den Welt gesetzt
und manchen Ratschlag mitgegeben,
man hat bloß – zeigt jetzt unser Leben –
die Zeit stabiler eingeschätzt.

Für alle, die uns planten, gilt:
Ihr müsst uns keineswegs belehren.
Wer weiß schon, wo wir heute wären,
entsprächen wir ganz eurem Bild?

Hört auf, die Angst zu übertragen –
die Angst bezüglich „Sicherheit“.
Das haben wir inzwischen leid.
Wohin’s uns führt, kann niemand sagen.

Und weil das niemand sicher weiß,
gibt’s keinen Grund, uns aufzuhalten,
das Leben selber zu gestalten –
im Notfall halt auf dünnem Eis.

Auch wir verspüren diesen Drang,
der jede Jugend aufrecht hält.
Wir wollen leben, denn die Welt
gehört uns einen Frühling lang!


Das Ende der Kindheit

(Gedicht)

Die Kindheit endet jedes Mal
real und manches Mal brutal.
Das lässt sich auch bei starken Kindern
bei aller Mühe kaum verhindern.

So ging’s auch Tom – grad zwölf geworden,
mit Papa fährt er Richtung Norden,
das Auto brettert durch die Nacht,
doch gibt der Vater kurz nicht acht:

Die Fahrbahn wird von Wild gekreuzt,
als Papa seine Nase schnäuzt
und – Bumm! – das Wagenlicht erlischt,
das Auto hat ein Tier erwischt.

Der Vater steigt aus seinem Wagen
und hört den Jungen panisch fragen:
„Was war das? Können wir es retten?“
Der Vater meint: „Will nicht drauf wetten …“

Der kleine Tom springt hinterdrein,
dann sieht er im Laternenschein
das braune Tier, nur mittelgroß –
das Reh liegt völlig regungslos.

So stirbt noch mehr an diesem Platz.
Symbolisch wirkt der Abschlusssatz
nach unbeschwerten Kindheitsjahren:
„Wir haben Bambi überfahren.“


Frühreif

(Lied)

Einst fragte eine Lehrerin
die Schüler ihrer fünften Klasse,
was ihnen für die Zukunft passe,
wo wollten Sie beruflich hin?
Die Laura meldete sich bald:
„Ich möchte später Tiere schützen,
Naturprojekte unterstützen
an Flüssen und im Regenwald.“
„Das find ich toll“, sprach die Marie,
„auch ich will uns’re Erde retten.
Ich sorge später in den Städten
für Wind- und Sonnenenergie!“
Da lächelte die Lehrerin,
nur Jonas sagte daraufhin:

„Ich weiß nicht, was daran erstrebenswert ist,
ob ihr die Erfolge nicht bald schon vermisst.
Ich bleibe, was das betrifft, gern Realist,
vertrau auf die Kraft,
die die Braunkohle schafft
und verdien mein Geld als Lobbyist.“

Die Lehrerin ging nicht drauf ein
und nahm als nächstes Moritz dran.
Der sagte: „Ich will irgendwann
verständnisvoll und offen sein.
Das soll auch im Berufe gelten.
Um seine Arbeit gut zu machen,
ist’s wichtig, häufiger zu lachen,
gemeinsam mit den Angestellten.
Am Arbeitsklima wird gefeilt
und niemand wird so leicht gefeuert
und kein Produkt sei überteuert,
Gewinn wird ganz gerecht verteilt.“
Die Lehrerin war hocherfreut,
doch Jonas sagte dazu heut:

„Ich weiß nicht, was daran erstrebenswert ist,
ob ihr die Erfolge nicht bald schon vermisst.
Ich bleibe, was das betrifft, gern Realist:
Schau, wie du verreckst,
wenn die Wirtschaft nicht wächst –
das vertret’ ich dann als Lobbyist.“

Das schien die Stimmung zu gefährden,
die Kinder schauten sehr verwirrt,
doch hieß es weiter unbeirrt:
„Was wollt ihr später einmal werden?“
„Ich werde Friedensaktivist“,
rief Jannik laut, „in Afrika.
Ich hab schon oft gehört, dass da
Gewalt am allerschlimmsten ist.
Dann hat’s ein Ende mit den Kriegen,
dem Morden und dem Blutvergießen,
die Menschen sollen Frieden schließen,
sich glücklich in den Armen liegen.“
Die Lehrerin war hin und weg,
nur Jonas sah dort keinen Zweck:

„Ich weiß nicht, was daran erstrebenswert ist,
ob ihr die Erfolge nicht bald schon vermisst.
Ich bleibe, was das betrifft, gern Realist:
Wo Streit alle schlaucht,
werden Waffen gebraucht –
so denk ich dann als Lobbyist.“

Bald war der Unterricht zum Glück
vorbei. Die Schüler konnten flitzen.
Nur Jonas blieb im Raum noch sitzen –
die Lehrerin hielt ihn zurück.
Sie sprach, dass er unmöglich sei,
der Junge aber sagte frei:

„Ich habe heut einiges richtig gestellt,
wer Ideale verfolgt, stirbt als einsamer Held.
Mag sein, dass die Haltung den meisten missfällt,
doch wenn ich’s erzähl –
ich mach keinen Hehl –
dann gibt mir mein Vater mehr Geld.“


Symbiose

(Gedicht)

Erfolgsrezepte sind oft schlicht:
zum Beispiel hat sich Unterricht,
der seit Jahrzehnten funktioniert,
meist biologisch reguliert
in Form der starken Symbiose
aus Ignoranz und toter Hose.


Botanik im Schulalltag

(Gedicht)

Ein Lehrer hat mir neulich sachlich
(thematisch eher außerfachlich)
erklärt, wie er zu Schülern stünde
und das Verhältnis so empfinde:
Wenn Kinder in die Schule gingen,
so wolle er sie niemals zwingen –
ganz gleich, bezüglich welcher Themen –
an Lernprozessen teilzunehmen.
Sie sollten sich nicht sinnlos quälen.
Er würde ihnen halt erzählen,
was ihm sein Lehrplan unterbreite –
und falls das mal auf Schülerseite
auf reges Interesse stieße,
dann wär’s erfreulich, doch es hieße
im Umkehrschluss noch lange nicht,
es läge gar am Unterricht,
wenn Schüler sich nicht int’ressierten
und dementsprechend nichts kapierten.
Er wolle sich in Klassenzimmern
auch nur bedingt um Kinder kümmern
denn zeitlich könnt’ er bei den meisten
die Arbeit überhaupt nicht leisten.
Ansonsten tät er seine Pflichten:
Bewerten, prüfen, unterrichten;
der Draht zu Schülern sei neutral,
oft seien sie ihm schlicht egal.
So ließe sich zusammenfassen:
Er würd sie meist in Ruhe lassen.
Wer wolle, dürfe gern gedeih’n,
wer nicht, der gehe eben ein.

Ich fand das recht verwunderlich,
denn das Verhältnis kannte ich
bisher doch nur im großen Ganzen
von mir und meinen Zimmerpflanzen.


Wenn jemand Kinder mag

(Gedicht)

Wenn jemand Kinder wirklich mag
und ihre freien Geister schätzt
und sich bewusst an jedem Tag
mit ihnen auseinandersetzt,

wenn jemand Kindern zeigen will,
dass Freundschaft Egoismus schlägt,
dass Leistungsdruck und jeder Drill
nach vorne schubst, doch niemals trägt,

wenn jemand Kinder unterstützt
und will er keinesfalls gefährden,
was kindlicher Entfaltung nützt –
dann sollte er nicht Lehrer werden.


Die Welt der tausend Möglichkeiten

(Gedicht)

Für Versand und Ihre Ware zahle ich bestimmt kein Geld,
was Sie mir geliefert haben, hab ich sicher nicht bestellt.
Ja, okay, das ist was andres – aber nur zum Probeliegen.
Brauch ich’s nicht, dann können Sie das Exemplar gleich wiederkriegen.
Das Letzte war mir auf die Dauer leider viel zu laut,
und abgeseh’n vom guten Look hat’s nicht so viel gekonnt.
Deshalb hab ich mich noch mal ausführlich umgeschaut.
Gäb es das Gesamtpaket eventuell in blond?

Willkommen in der Welt der tausend Möglichkeiten,
facettenreich und turbulent, mit weißen und mit bunten Seiten.
Wer träumt heute nur noch von der Variante A,
sind die Varianten B bis Z noch da?
Willkommen in der Welt, in der du alles werden kannst,
solang du in Bewegung bleibst und zwischen allem tanzt,
was sich bietet und ereignet, hier und jetzt, bei jedem Schritt
und wenn’s dich überzeugt hat – nimm es mit!

Unser Urlaub war vom Anfang bis zum Ende gut gefüllt,
denn in Griechenland gibt’s mehr zu sehn als jedes Jahr auf Sylt.
Man hatte uns im Vorfeld viele Städte dort empfohlen,
wir waren überall, doch konnten wir uns kaum erholen.
Den nächsten Urlaub haben wir natürlich schon gebucht:
Wir starten in Marokko und fahren bis Loch Ness,
den Flug nach Peking hab ich gestern auch noch rausgesucht –
das würde sicher schön, wär da nicht der ganze Stress.

Willkommen in der Welt der tausend Möglichkeiten,
facettenreich und turbulent, mit weißen und mit bunten Seiten.
Wer träumt heute nur noch von der Variante A,
sind die Varianten B bis Z noch da?
Willkommen in der Welt, in der du alles werden kannst,
solang du in Bewegung bleibst und zwischen allem tanzt,
was sich bietet und ereignet, hier und jetzt, bei jedem Schritt
und wenn’s dich überzeugt hat – nimm es mit!

Welches Fach soll ich studieren und was wär beruflich klug
und was könnte mir gefallen und wo lerne ich genug?
Die Entscheidung hab ich schließlich vor dem Hintergrund getroffen:
Mit Wirtschaft halt ich mir noch möglichst viele Wege offen.
Denn mein größter Gegner war immer schon die Zeit,
in der man weitaus mehr als selbige verliert:
Mit jedem meiner Wege, für den ich mich entscheid’,
werden andre Wege auf ewig ausradiert.

Willkommen in der Welt der tausend Möglichkeiten
mit nur einer Gegenwart und verlorenen Vergangenheiten,
die vor ein paar Tagen oder auch vor ein paar Jahr’n
eine Überlegung für die Zukunft war’n.
Willkommen in der Welt, in der du vieles kurz erfasst
und in der du alle paar Minuten was verpasst.
Und immer, wenn du fragst, was das Beste für dich sei,
ist der Moment, den du suchst, schon vorbei.


1.2. Tag- und Nachtgedanken

Die Elster

(Gedicht)

Mitternacht umgab mich düster,
machte mich im Kopf noch wüster
als ich mich seit Tagen fühlte –
aufgewühlt und dennoch leer.
Deshalb wollt’ ich Ruhe haben;
plötzlich hörte ich ein Schaben
wie vom Schnabel eines Raben
von der Eingangstüre her.
„Sicher niemand, den ich kenne“,
dachte ich, „nur irgendwer.
Ich erwarte keinen mehr.“

Ach, ich fühlte mich so kläglich,
denn ich grübelte unsäglich:
Was ist lebenslang erträglich
und was macht das Dasein schwer?
All mein Denken, mein Empfinden
wollt’ ich en detail ergründen,
um den Lebenssinn zu finden.
Doch so lange und so sehr
ich mein Großhirn auch bemühte,
schien mein Kopf mir schrecklich leer
und ich dacht, jetzt käm nichts mehr.

Was war das? Es klopfte wieder!
Langsam streckte ich die Glieder,
um zur Wohnungstür zu gehen.
Ich erhob mich matt und schwer
und bewegte mich zur Türe,
hoffend, dass ich dort erführe,
wer mich bei der Nacht-Lektüre
meines Großhirns bittesehr
so entschieden stören wollte.
Aber draußen war es leer,
vor der Tür stand niemand mehr.

Ich begann mich umzuschauen,
wollte meinen Ohren trauen,
die das Klopfen vorhin hörten.
Drang es nicht von draußen her?
Hatte ich es falsch vernommen
und nur Winde mitbekommen,
fragte ich mich ganz beklommen –
draußen blieb es still und leer.

Ich verriegelte die Türe,
wünschte, dass das alles wär
und es käme niemand mehr.
Drinnen wollte ich mich setzen –
da vernahm ich mit Entsetzen,
dass das Klopfen wiederkehrte.
Dort vom Fenster kam es her!
Etwas schabte leis und pickte,
pochte, klopfte, kratzte, tickte,
was sich nachts gewiss nicht schickte.
Darum fragte ich mich, wer
diesen Lärm erzeugen mochte
und was war wohl sein Begehr?
Weiter wusste ich nicht mehr.

Als ich, ohne dies zu wissen,
dann das Fenster aufgerissen,
war ich selber höchst verwundert,
denn von draußen flog nun quer
eine Elster durch das Zimmer,
schwarz und weiß, mit blauem Schimmer.
So was trifft man ja nicht immer –
wo kam dieses Wesen her?
Höflich fragte ich den Vogel:
„Sag, wie heißt du, bittesehr?“
Drauf die Elster: „Immer mehr!“

„Dich“, entfuhr’s mir voll Entzücken,
„wird gewiss der Himmel schicken,
um mich endlich zu erleichtern,
dass ich nicht mehr wie bisher
jede Nacht ins Leere stiere
und bis morgens früh sinniere,
wie ich bloß mein Leben führe,
leitet sich das Ziel nicht her.
Elster, eine Frage hätt ich:
Brauch ich Ruhm und große Ehr?“
Sprach der Vogel: „Immer mehr!“

Das, was diese Elster krächzte,
war, wonach ich täglich lechzte:
eine Antwort für das Leben!
Es beschäftigte mich sehr.
Somit wollte ich es wagen,
meine ganzen Daseinsfragen
an das Tier heranzutragen,
schienen sie auch noch so schwer.
„Sag, wie viel sollt’ ich mir nehmen
von dem Gut, das ich begehr?“
Drauf die Elster: „Immer mehr!“

Wieder klang der Satz entschieden,
daher war ich höchst zufrieden
mit dem Auftritt jenes Vogels,
der mich musterte und der
sitzen blieb und sich nicht trollte,
als ich von ihm wissen wollte,
wo man Urlaub machen sollte.
„Sag, empfiehlst Du Küsten-Flair
oder aber hohe Berge,
wo ich nur sehr ungern wär?“
Sprach die Elster: „Immer Meer!“

Weiter stellte ich die Fragen,
die mir so am Herzen lagen:
„Sag, was braucht zu seinem Glücke
bittesehr ein Milliardär?
Will ich gut und sinnvoll leben
und mich nicht so schnell ergeben –
sag, was sollte ich erstreben?
Und wie viel Verzehr ist fair?
Oder gar aus Fitnessgründen:
Was empfiehlst Du beim Dessert?“
Sprach die Elster: „Immer mehr!“

Heut bekenn’ ich völlig offen:
Seit ich dieses Tier getroffen,
geht’s mir mit dem Leben besser,
denn ich nehm es kaum noch schwer.
Früher hin und her gerissen,
muss ich Luxus heut’ nicht missen,
denn ein nerviges Gewissen
plagt mich auch nicht mehr seither.
Will ich hören, was ich brauche,
fühle ich mich manchmal leer,
spricht die Elster: „Immer mehr!“


Der Albtraum

(Gedicht)

Ich träume manchmal nachts konkret,
wie uns’re Zivilisation
im Feuerhagel untergeht.
Die Szene läuft dann auch mit Ton.

Ich frag’ mich immer, was das soll,
wenn plötzlich alles explodiert.
Der Unfug ist, weiß Gott, nicht toll
und ich bin jedes Mal schockiert.

Doch nicht, weil ich die Schreie höre
und an der ganzen Menschheit hänge.
Woran ich mich am meisten störe,
sind meine Rufe in der Menge.

Denn während Leute um sich schlagen
und hier und da ein Feuer raucht,
hör ich mich laut und deutlich sagen:
„Wo ist ein Smartphone, wenn man’s braucht?“


Der Pressefotograf

(Lied)

Ich sah dich mit deiner Affäre
verträumt und verschlungen am Strand.
Ich weiß nicht, was schlimm daran wäre,
ich selbst find das unint’ressant.
Ich hab so was oft schon gesehen,
es hat mich noch nie aufgebracht.
Doch weil uns’re Leser drauf stehen,
hab ich ein Foto gemacht.

Jetzt seid ihr ganz groß in der Zeitung:
Du und er – wie ihr da liegt.
Ihr habt von der Redaktionsleitung
sogar den Titel gekriegt.
Die Meldung zieht rasch ihre Kreise
und du tust mir beinahe leid.
Du siehst dich berechtigterweise
als Opfer der Öffentlichkeit.

Man hört sie schon laut diskutieren
über Sinn und Moral deiner Tat.
Da hilft dir auch kein Echauffieren,
das Thema sei viel zu privat.
Wir alle haben unsere Schwächen,
das habe ich niemals verneint –
es kann umso leichter sich rächen,
je stärker jemand erscheint.

Und sieht man den Starken dann fallen,
erscheint der Moment oft sehr kurz.
Die spannendsten Bilder von allen
entstehen direkt vor dem Sturz.
So dokumentiere ich täglich
den Augenblick vor dem Tumult.
Ich finde das durchaus verträglich
und spüre auch keinerlei Schuld.

Mein Ziel ist es nicht zu entlarven,
ich schau nur, ob das Motiv passt.
Denn die Aufgabe von Fotografen
ist die Arbeit mit Licht und Kontrast.
Vor allem Kontrast.


Nachmittagsfernsehen

(Gedicht)

Mittwoch Nachmittag um dreie
gellen unverschämte Schreie
aus der Wohnung über mir.
O-Ton: „Halt die Fresse, Schlampe,
scher dich nicht um meine Wampe,
hol ma lieber neues Bier!“

An den Lärm, der runterdröhnt,
bin ich länger schon gewöhnt
und ich hab ein dickes Fell.
Wenn ich jenen Klängen lausch,
weiß ich: Jetzt läuft Frauentausch
viel zu laut auf RTL.

Folglich frag ich mich: Was nun?
Und: Was soll ich bitte tun,
um die Laune hochzuhalten?
Oft ergibt sich, wo ich wohn,
meinerseits die Reaktion,
selbst den Fernseh’r einzuschalten.

Dann wird nachmittags geglotzt,
wie ein Schnurrbart-Träger motzt
(meist mit Kevin und Chantall).
Fleisch sei voll mit Vitamin,
meint die lispelnde Nadine,
und Salat sei nicht ihr Fall.

Ein Empfänger von Hartz IV
zeigt, dass ein Blatt Klopapier
pro Toilettengang genügt.
Fällt auch das Niveau ins Tal,
steigt der Spaß proportional
und die Fernseh-Zeit verfliegt.

Doch ein Spaß erfreut noch mehr,
schickt man diesen hin und her –
meist als Youtube-Link im Netz.
Denn die allergrößten Lacher
werden erst geteilt zum Kracher –
das ist menschliches Gesetz!

Und so schauen wir in Massen
etwas, das wir schwerlich fassen
und was furchtbar blöd erscheint.
Aber alle lachen herzhaft
und wir fragen manchmal scherzhaft:
„Ist das wirklich ernst gemeint?“

Viele meinen zu verstehen,
wenn wir diese Grütze sehen,
welcher Sinn dahinter steckt.
Nämlich: Lasst uns Scheiße fressen,
um nicht ständig zu vergessen,
dass Gemüse besser schmeckt!

Wenn wir aber ehrlich wären,
würden wir uns selbst erklären,
dass wir uns den Spaß kaum gönnten,
machte Scheiße nicht bewusst,
dass wir uns – trotz allem Frust –
das Gemüse leisten könnten.

Anmerkung:
Um dich gut zu fühl’n im Leben
und dich grisend zu erheben,
muss es unter dir was geben,
denn dann kannst Du drüberschweben.


1.3. Vom Umherschweifen und Abwarten

Warum in die Ferne schweifen?

(Gedicht)

Warum in die Ferne schweifen,
liegt die weite Welt so nah?
Lerne nur zur Maus zu greifen,
denn das Internet ist da!

Warum noch nach draußen gehen,
ist es drinnen so bequem?
Sich die Straßen anzusehen,
ist – dank Google – kein Problem.

Warum selber etwas kochen,
gibt es Pizza – Punkt – D – E?
Das ist selbst für viele Wochen
tragbar für dein Portemonnaie.

Warum noch mit Menschen reden,
sind die Chatrooms doch so groß?
Außerdem wirst du dort jeden,
der dich nervt, viel schneller los.

Warum eigentlich studieren?
Und wenn doch, dann nur zu Haus.
Du kannst gern den Job verlieren –
sorg mit Online-Poker aus!

Warum den Charakter stärken?
Achte auf Design und Stil!
Letztlich bleibt von allen Werken
nur auf Facebook dein Profil.

Warum sich die Mühe machen,
sich der Welt in echt zu zeigen?
Über analoge Sachen
wird man später nämlich schweigen.

Denn was bleibt, ist digital,
und im Licht des schönen Scheins
bleibt am Ende nur die Wahl
zwischen Null und einer Eins.


Klischees und Wirklichkeit

(Gedicht)

Sie hatte ihren Schuhschrank voll
mit achtundfünfzig teuren Paaren,
fand „Pink“ als Farbe ziemlich toll
und ließ sich gern nach Hause fahren.

Die Hobbies hießen: shoppen gehen,
mit Freunden chatten oder chillen,
am Abend GZSZ sehen,
mit Alkopops den Magen füllen.

Ihr Laberdrang war permanent,
sie galt als wandelndes Klischee,
beheulte jedes Happy End
im Kino und auf DVD.

Und wenn sie eine Sitcom sah,
dann war sie häufig sehr verblüfft
und rief: „Ihr glaubt nicht, wie man da
mein Leben und mich selber trifft!“

Ihr Freund war irgend so ein Pfosten,
der seinen Körper künstlich sonnte
und nachmittags – auf Papas Kosten –
im Golfclub schlagen lernen konnte.

Er gab sich häufig eher kühl,
denn Emotionen nervten ihn,
und weil ihm Autofahr’n gefiel,
verbrauchte er auch viel Benzin.

Daneben war er Fußball-Fan
und traf sich mit „den Jungs“ zum Gucken,
um dann sein Ego aufzubläh’n
und kistenweise Bier zu schlucken.

Und wenn er Autowerbung sah,
so war er häufig sehr verblüfft
und meinte: „Schaut mal, wie man da
den Stil von meinem Leben trifft.“

Doch nichts war so, wie’s ihm erschien,
und – wie bei seiner Freundin – gilt:
Die Bilder spiegelten nicht ihn,
denn er war selbst das Spiegelbild.


Die Grenzen der Aufklärung

(Gedicht)

Nervös – und wie auf etwas wartend – saßen
die Eltern ihrem Sohn jetzt gegenüber.
Die zwei Erwachs’nen wirkten gleichermaßen,
als täten sie grad alles and’re lieber.

Doch beiden Elternteilen war bewusst:
Sie mussten es dem Jungen endlich sagen.
Ansonsten käm er eines Tages just
auf die Idee, noch selbst danach zu fragen.

Der Vater setzte nun zum Sprechen an:
„Du wirst bald zwölf und deshalb dachten wir,
na ja, Du bist zwar noch nicht ganz ein Mann,
doch wenn wir, also künftig … und Du Dir …

Du weißt ja, ich und Deine Mutter sind
nicht von Natur aus alt – das ist normal!
Mir war vor vielen Jahren – so als Kind –
der Schritt zu der Entscheidung fast egal …“

Die Mutter klinkte sich jetzt zögernd ein:
„Es geht nicht drum, sich heute festzulegen,
und wie Du wählst, bestimmst nur Du allein …
Dich wird in Zukunft vielerlei erregen …“

Der Vater unterbrach: „Wir wollen bloß,
dass Du Dich nicht verkrampfst und Dich entspannst,
denn Deine Mitverantwortung ist groß.
Du weißt, dass Du uns alles fragen kannst.“

Vom Sohn kam nur, er würd’ das schon verstehen
und auf das Angebot in Zukunft bauen,
doch würd’ er jetzt zurück auf Zimmer gehen
und endlich seinen Porno weiterschauen.

Der Vater seufzte: „Schwieriges Kaliber.
Der Junge wird es uns noch oft erschweren,
ihn engagiert und motivierend über
politisches Bewusstsein aufzuklären.“

Anmerkung:
Wer kaum an Staat und Bürger denkt,
wird meist sehr billig abgelenkt.


Küchensitzung

(Lied)

Wir sitzen zu viert in der Küche von unserer WG in Berlin.
Das einzige, was wir vermissen ist ein Kamin.
Acht Kronkorken liegen am Boden, das letzte Bier ist bald geleert.
Den Abend zu Haus zu verbringen, war nicht verkehrt.
Wir sind noch lange nicht müde, es gibt ja so viel zu bereden,
zum Beispiel zur Leere im Kühlschrank, über Frauen, über alles und jeden.
Das Studium läuft, die Beziehung nur halb, beruflich steht auch noch nichts fest.
Vielleicht wird es klarer, wenn man uns mal mit Abschluss ins Leben entlässt.
Bis dahin woll’n wir uns hüten, den Kopf zu früh zu verlier’n.
Drum werden wir unsre Gedanken äußern und laut diskutier’n.

Wir sitzen zu viert in der Küche und sprechen übers Leben an sich,
es ergibt sich dabei nicht viel Neues unterm Strich.
Und somit reden wir schließlich von der Rentnerin gleich nebenan,
die schon seit Monaten kaum noch hinausgehen kann.
Sie ist ja nur schwer in der Lage, die Beine zur Tür zu bewegen,
und niemand scheint sich zu kümmern, die alte Dame zu pflegen.
Dem Staat sind die Rentner anscheinend egal, weshalb er sie bloß ignoriert.
Das wird sich noch rächen, bald zeigt sich gewiss, wohin diese Politik führt.
Die Fehler sind zwar offensichtlich, doch die Nachbarin bleibt wohl allein.
Wir fragen uns: Wie können Menschen so herzlos und untätig sein?

Wir sitzen zu viert in der Küche und fühlen uns heute sehr klug,
wir haben von dieser Regierung längst schon genug!
Probleme hat auch die Familie, die ein Stockwerk über uns wohnt,
für die sich die Arbeit von Vater und Mutter kaum lohnt.
Das trifft nicht minder die Kinder, sie leiden schulisch am meisten,
die Eltern können sich weder die Zeit noch die Nachhilfe leisten.
Der Kapitalismus, der Wettbewerbsdruck sind ungnädig wie ein Taifun,
weshalb uns erst recht die Politiker stör’n, die reden, doch nie etwas tun.
Die Lösung für viele Probleme sehen wir im Internet.
Wir werden es denen noch zeigen! Doch erst mal geh’n wir zu Bett.


Nach dem Abendessen

(Gedicht)

Ein Rentner sagte nach dem Abendessen
zu seiner Frau: „Ich muss zum Kiosk laufen.
Ich habe heute nämlich glatt vergessen,
dort neue Zigaretten einzukaufen.“

Sie nickte kurz und machte dann den Spül,
nicht ohne ihn dezent drauf hinzuweisen:
„Nimm Deine Jacke mit, es ist schon kühl.
Beeile Dich. Um acht läuft Silbereisen.“

Sein letztes Wort war bloß ein knappes „Tschüss.“
Sie sagte nichts, den Abwasch nur im Blick.
Sie sah im Anschluss fern und dachte bis
um zweiundzwanzig Uhr, er käm zurück.

So fragte sie sich leider viel zu spät,
wozu er denn die Zigaretten brauchte,
obwohl er seit der späten Pubertät
(sprich: über fünf Jahrzehnten) nicht mehr rauchte.


Der Wissensdurstige

(Gedicht)

Sein Wissensdurst war nie zu stillen,
das trieb ihn an, verfolgte ihn
in Form von einer Disziplin:
das Wissen um des Wissens Willen.

Er fand sein Glück im bloßen Denken
und, ohne dieses mitzuteilen,
begann er sich dran aufzugeilen
und sich mit Wissen zu beschenken.

So meinten manche, die ihn trafen:
„Wenn’s ginge, hätte dieser Mann
vermutlich großen Spaß daran,
mit seinem eig’nen Hirn zu schlafen.“

Er gab sein Wissen niemals preis
und diskutierte es auch nie.
Er sagte oft: „Ich bitte Sie!
Mir reicht es doch, wenn ich es weiß.“

Das, was er tat, war sinnentleert
und so verdient es bei Betrachtung
nicht einen Hauch von einer Achtung,
denn Wissen ist allein nichts wert.


Sie warten

(Lied)

Er hat sie einst verlassen, drei Jahre ist das her,
und wie er sie behandelte, war nicht besonders fair.
Trotz allem sehnt sie sich nach der Zeit mit ihm zurück
und meint, sie fände nur in ihm ihr wahres Lebensglück.
Sie stellt das Radio lauter, spielt der Rundfunk Liebeslieder
und meint auch heute noch: Eines Tages kommt er wieder.

Sie wartet und wartet, nichts wird ihr zu viel.
Sie wartet und wartet, denn sie glaubt an ein Ziel.
Sie wartet und wartet bis es sie zermürbt.
Sie wartet und wartet bis die Hoffnung stirbt.

Er sitzt in seinem Zimmer, draußen wird es langsam Nacht,
mit 84 Jahren hat man ihn hierher gebracht.
Morgen wird er 90 und im Pflegeheim gibt’s Kuchen,
er wünscht, dass seine Enkel ihn am Nachmittag besuchen,
obwohl das seit sechs Jahren eher unwahrscheinlich ist.
Doch er ist sich sicher, dass ihn irgendwer vermisst.

Er wartet und wartet, nichts wird ihm zu viel.
Er wartet und wartet, denn er glaubt an ein Ziel.
Er wartet und wartet bis es ihn zermürbt.
Er wartet und wartet bis die Hoffnung stirbt.

Jeden Morgen steht sie in der Arbeitsagentur,
seit über sieben Jahren wartet sie dort nur
auf einen Job, um ihre Kinder vernünftig zu ernähr’n,
sie hat schon oft versucht, es ihrem Jüngsten zu erklär’n:
Irgendwann ist sicher ein Angebot in Sicht,
dann kriegt er neue Schuhe und Schlagzeugunterricht.

Sie wartet und wartet, nichts wird ihr zu viel.
Sie wartet und wartet, denn sie glaubt an ein Ziel.
Sie wartet und wartet bis es sie zermürbt.
Sie wartet und wartet bis die Hoffnung stirbt.

Er ist als Sanitäter bei Soldaten stationiert,
hat gemeinsam mit dem Feldarzt manche Glieder amputiert.
Bei 40 Grad im Schatten läuft er durch das Lazarett,
gibt Pillen und spritzt Morphium an jedem zweiten Bett.
Legt er sich zur Ruhe, schläft er erst nach Stunden ein
und hat nur den Gedanken: Irgendwann wird Frieden sein!

Er wartet und wartet, nichts wird ihm zu viel.
Er wartet und wartet, denn er glaubt an ein Ziel.
Er wartet und wartet bis es ihn zermürbt.
Er wartet und wartet bis er vor der Hoffnung stirbt.

Die Menschen auf der Straße rufen: „Mehr Demokratie“,
behaupten, die Politiker hörten nie auf sie!
Die Wut wird bald zum Zorn und der Zorn wird zum Protest,
die Menschen fordern laut, dass man sie mitbestimmen lässt.
Sie drohen der Regierung: „Euch wird kein Schwein mehr wähl’n!“
Dennoch ist Politikern nur eines zu empfehl’n:

Lasst sie warten, lasst sie warten! Wozu die Hoffnung rauben?
Lasst sie warten, lasst sie warten! Sie soll’n an Ziele glauben!
Lasst sie warten, lasst sie warten bis es sie zermürbt!
Lasst sie warten, lasst sie warten, weil alles einmal —


Zweiter Teil

2.1. Human und tierisch verrückt

Wir sind so human

(Lied)

Für gute Taten sind wir immer offen,
wenn man uns in Supermärkte stellt.
Wir haben für den Regenwald gesoffen
und tranken Volvic für die dritte Welt.

„Wir spenden einen Cent an arme Bauern“,
steht auf einem weiteren Produkt.
Moral kann in den Kühlregalen lauern,
wenn man nicht gezielt danebenguckt.
Wir reinigen die Wäsche gern mit Ariel,
an Unicef geht dann ein Teil vom Preis.
So waschen wir die Kleidung nicht nur generell,
sondern auch die Westen wieder weiß.

Wo wir Nöte sah’n,
läuft alles nach Plan,
wir werden dort nicht spar’n!
Wir haben mit Elan
schon so vieles getan,
denn wir sind so human!

Wenn wir uns’re Kleidung nicht mehr tragen,
woll’n wir sie nach Afrika versenden.
Ihr Menschen dort – ihr könnt euch nicht beklagen
und dürft die Kleidung kostenfrei verwenden!
Dann müsst ihr kaum noch selber produzieren,
wir geben euch auch Samen für das Feld.
Ihr dürft nur das Patent nicht ignorieren.
Wir schicken euch viel mehr als ihr bestellt!

Wo wir Nöte sah’n,
läuft alles nach Plan,
wir werden dort nicht spar’n!
Wir haben mit Elan
schon so vieles getan,
denn wir sind so human!

Hartz-IV-Empfänger sind schon arme Schweine
und Schuld daran ist unser Vater Staat.
Doch lassen wir sie sicher nicht alleine
und halten viele Mini-Jobs parat.
Wir helfen gerne Billig-Arbeitskräften,
das ist inzwischen unser neuer Sport.
Wir geben ihnen Jobs in den Geschäften
und bilden sie auf Landeskosten fort.

Wo wir Nöte sah’n,
läuft alles nach Plan,
wir werden dort nicht spar’n!
Wir haben mit Elan
schon so vieles getan,
denn wir sind so human!

Wir wollen Kriege nur noch menschlich führen,
auch die Wirkmittel sind intelligent,
und wenn sich uns’re Gegner einmal rühren,
behandeln wir sie kurz und konsequent:
Halbierte Krüppel lassen sich vermeiden —
mit höchstens einem Arm und einem Bein —
die Menschen sollen nicht mehr lange leiden,
der Tod tritt in Sekundenschnelle ein.

Wo wir Nöte sah’n,
läuft alles nach Plan,
wir werden dort nicht spar’n!
Wir haben mit Elan
schon so vieles getan,
denn wir sind so human!

Und geht es euch letztendlich doch beschissen,
so liegt es nicht an uns, das tut uns leid.
Zum Glück beruhigt uns dann unser Gewissen:
Wir nutzten jede Hilfe-Möglichkeit!


Zum Begriff des Gutmenschen

(Gedicht)

Wer meint, die Sinnverfälschung sei im Rahmen,
gebraucht man „Gutmensch“ immer negativ,
für den kling’s höchstwahrscheinlich auch nicht schief,
benutzt er „Arschloch“ mal als Kosenamen.


Die Bürgschaft

(Gedicht)

In unseren Landen und Zeiten schleicht
niemand zu fiesen Tyrannen,
wie einst Schillers Verse begannen.
Bei dieser Entwicklung denkt man vielleicht,
die Demokratie hätte sehr viel erreicht,
die Arschlöcher wären verschlissen
und alles wär nicht so beschissen.

Doch ist im Land eine Bank einmal krank,
so bürgt der Staat für die Fehler
zum Ärger der mündigen Wähler.
Die Bürger erfahren dann keinerlei Dank,
stattdessen äußert sich krank die Bank:
„Ich bleibe – das ist keine Bitte –
in eurem Bunde die Mitte!“


Das Schäfchen und der Löwe

(Gedicht)

Ein Schäfchen sagte zu der Herde:
„Bleibt Ihr nur schön bei Gras und Buchen.
Ich geh zur Höhle, denn ich werde
den alten Löwen dort besuchen.“

Die andern Schafe schreckten auf
und warnten das naive Tier:
„Beim Löwen gehst Du sicher drauf!
Mach keinen Mist! Bleib lieber hier!“

Das Schäfchen winkte freundlich ab
(soweit das mit den Hufen ging)
und meinte: „In die Falle tapp
ich keineswegs, denn sehr gering

ist die Gefahr, die heutzutage
vom Löwen auszugehen scheint,
sodass ich zu behaupten wage:
Er ist nicht länger unser Feind.

Erst letzte Woche schrieb er mir
in einem Brief, er freue sich,
stünd ich demnächst vor seiner Tür.
Bis später! Ich verziehe mich.“

Der Wortlaut dieses Briefs verriet:
Genaues Lesen kann nicht schaden.
Denn darin wurde explizit
das Tier zum Essen eingeladen.

Das Schäfchen ist nun längst verdaut,
so bleibt alleine die Erkenntnis:
Wirkt manches Raubtier mal vertraut,
so ist das bloß ein Missverständnis.


Die Macht

(Lied)

Sie schreibt das Fettgedruckte und diktiert die Seite eins,
sie dekoriert im Rampenlicht die Welt des schönen Scheins.
Sie schläft mit reichen Säcken und betrügt sie allesamt,
sie schickt gern ihre Helfer und wird selber nicht erkannt.
Sie lässt sich gern bezahlen und sie spielt Monopoly:
Weil sie mit fremden Gütern spielt, verliert sie selbst fast nie.
Sie hat den größten Rachen und auch den längsten Arm,
zudem ist sie die Königin im Honigbienen-Schwarm.

Sie verführt, sie verurteilt, bestiehlt, unterdrückt,
wird verflucht und hochangeseh’n.
Sie wächst, sie verfällt, sie bewegt und beglückt.
Wer kann schon der Macht widersteh’n?

Sie gibt sich gern gebildet und sie liebt den Maskenball,
sie streckt auch mal ein Bein aus und bringt Tanzende zu Fall.
Sie ist der fiese Ohrwurm im Radio der Zeit,
sie ist das Totschlagargument in jedem großen Streit.
Sie ist die morsche Leiter, die bis zum Himmeln reicht,
und sie bestimmt die Farbe, in der man Segel streicht.
Sie steckt in allen Gliedern und sitzt oben drauf als Kopf,
in Filmen drückt sie ab und zu auf den roten Knopf.

Sie verführt, sie verurteilt, bestiehlt, unterdrückt,
wird verflucht und hochangeseh’n.
Sie wächst, sie verfällt, sie bewegt und beglückt.
Wer kann schon der Macht widersteh’n?

Sie dreht die Hähne auf und sie dreht die Hähne zu,
sie sagt zu ihren Opfern normalerweise „Du“.
Sie kocht auch nur mit Wasser, doch verkauft es gern als Wein,
wer Wein bloß aus Geschichten kennt, fällt darauf herein.
Sie sitzt direkt am Schalter, doch macht sie niemals Licht,
sie weiß schon morgen nicht mehr, was sie heut verspricht.
Sie macht die Menschen süchtig und sie schmeckt am besten pur,
sie ist der Druck von oben und sie stellt im Stress die Uhr.

Sie verführt, sie verurteilt, bestiehlt, unterdrückt,
wird verflucht und hochangeseh’n.
Sie wächst, sie verfällt, sie bewegt und beglückt.
Wer kann schon der Macht widersteh’n?

Sie lacht gern über andre, aber niemals über sich,
bei einem Lauf ins Freie ist sie der Seitenstich.
Sie ist der kalte Atem, an dem du dich verbrennst,
und sie schaut erbost, wenn du sie beim Namen nennst.


Am Traualtar

(Gedicht)

Ihr Bürger um den Traualtar,
hier steht das bald vermählte Paar,
geprägt von Krisen und Problemen.
Der Bräutigam heißt Vater Staat,
die Frau, um deren Hand er bat,
ist ein privates Unternehmen.

Der Gatte könnt sich – wie die meisten –
nur eine kleine Wohnung leisten,
drum kommt es auf die Gattin an.
Sie wird sich rührend um ihn kümmern
und ihn in selbst erbauten Trümmern
versorgen, wenn er zahlen kann.

Bei ihr wohnt er angeblich billig.
Für Geld ist sie natürlich willig,
ihn lebenslänglich aufzunehmen.
Die Ehe dient nur einem Ziel:
der Effizienz im großen Stil,
gelenkt von einem Unternehmen.

Der Staat ist längst ein Pflegefall,
drum wird die Gattin überall,
wo sie nur kann, sich deutlich zeigen.
Seitdem sie erstes Blut geleckt,
macht sie sich heut bereits verdeckt
das Leben dieses Staats zu eigen.

Man sieht es klar in ihren Augen:
Sie plant bereits ihn auszusaugen;
doch glaubt er sich in guten Händen.
So leicht entkommt er ihr jetzt nicht,
sind alle Klauseln wasserdicht.
Ach je, wie soll das alles enden?

Ihr Bürger um den Traualtar,
ihr steht nicht bloß zum Klatschen da,
denn Beifall macht auf Dauer dümmer.
Noch hättet Ihr die Chance zu wählen,
bevor die beiden sich vermählen …
Sprecht heute oder schweigt – für immer!


Wir Geister, die ihr rieft

(Gedicht)

Hat der Staat im Bildungswesen
sich doch einmal wegbegeben.
Immer wieder war zu lesen,
das sei absolut daneben.
Tief sitzt diese Wunde,
näht sie bloß nicht zu!
Nutzen wir die Stunde
für den Meister-Coup!
Dank der Lücken,
die da klaffen,
lässt sich’s schaffen
abzuschätzen,
wie wir uns mit Loorbeer’n schmücken
und die Staatsmacht fix ersetzen!

Lasst uns neue Schulen gründen,
aber solche, die was kosten!
Die Idee wird sicher zünden –
erst im Westen, dann im Osten.
Denn die Eltern blechen,
wenn sie sicher sind:
Das, was wir versprechen,
halten wir beim Kind.
Füllt die Lücken,
die da klaffen,
dass wir’s schaffen
(statt zu schwätzen)
bald im Staate durchzudrücken,
ihn in Teilen zu ersetzen!

Deutsche Universitäten,
fern von Humboldts Idealen,
platzen längst aus allen Nähten
und der Staat kann’s kaum bezahlen.
Denn um’s Finanzieren
ist es schlecht bestellt;
besseres Studieren
bieten wir für Geld.
Füllt die Lücken,
die da klaffen,
dass wir’s schaffen
(statt zu schwätzen)
bald im Staate durchzudrücken,
ihn in Teilen zu ersetzen!

Wenn wir bald als Bildungsquellen
kostenlose Arbeitsblätter
Lehrern zur Verfügung stellen,
gelten wir schon bald als Retter
für die leeren Kassen
und im Schulsystem
glaubt man: Wir befassen
uns mit dem Problem!
Füllt die Lücken, füllt die Löcher,
noch und nöcher
mit Int’ressen!
Schüler soll’n aus freien Stücken
alles, was wir bieten, fressen!

Dazu muss es heut gelingen,
in den Bildungsunterlagen
uns’re Werbung einzubringen
für die Lehrer und die Blagen.
Das ist viel subtiler
als man’s von uns kennt.
Jeder dieser Schüler
ist ein Konsument!
Lerne, lerne, blöder Haufen,
denn zum Kaufen
braucht es Deppen,
die nicht zögern und die gerne
jeden Schrott nach Hause schleppen!

Sind wir Geister erst gerufen,
wollen wir für immer bleiben,
und die Mächte, die uns schufen,
werden uns wohl kaum vertreiben.
Ist sein Geld verflossen,
braucht uns dieser Staat –
lächelnd uns entschlossen
schreiten wir zur Tat:
Alle Lücken, die wir finden
und ergründen
woll’n wir füllen,
und es wird uns stets beglücken,
lebt man dann nach unserm Willen!


2.2. Offene Fragen und unfertige Antworten

Mehr als drei Fragezeichen

(Lied)

Sie zeigen gerne ihre Karte und lösen jeden Fall zu dritt.
Wir sind mit ihnen eingeschlafen und nahmen sie auf Reisen mit.
Wir haben ständig mitgefiebert, waren überall dabei –
nicht erst auf der „Toteninsel“, nein, schon beim „Superpapagei“.
Wenn wir ihre Stimmen hörten, waren wir sogleich entspannt –
änderte sich auch das Leben, diese Sache blieb konstant.
Sie versprühten Optimismus, waren wir mal nicht gut drauf,
denn sie lösten jede Spannung durch den Abschlusslacher auf.

Sie blieben jung, wir wurden älter und suchten unsern ersten Job,
doch das änderte nichts an der Freundschaft zu Justus, Peter und Bob,
doch das änderte nichts an der Freundschaft zu Justus, Peter und Bob.

Na na na na na na,
na na na na na na naaa,
na na na na, na na na, na na na,
na na na na na na na na, na na na na.

Nur ab und zu vermissen wir an uns die selbe Lebensart,
denn eine Jugend, die nie endet, haben wir uns kaum bewahrt.
Und es gibt noch etwas andr’es, das wir an den Dreien beneiden:
Gut und Böse können sie sehr viel leichter unterscheiden.
Außerdem sind sie genügsam, wie ihr Arbeitsplatz belegt,
denn der hat sich seit Jahrzehnten nicht vom Schrottplatz wegbewegt.
Manchmal sähen wir das alles gerne unter unsresgleichen,
würden gern die Segel setzen, statt sie einfach nur zu streichen.

Doch wir werden diese Ziele höchstwahrscheinlich nie erreichen,
denn wir sehen im Leben leider mehr als nur drei Fragezeichen.


Widersprüchlicher Rat

(Gedicht)

Ein Vater sprach mit strengem Ton
zum grade eingeschulten Sohn:
„Ab heute übe Dich im Fleiß,
mach zweitens bitte keinen Scheiß
und drittens immer Hausaufgaben.
Vergiss auch ja nicht, Spaß zu haben!
Als fünftes solltest Du notieren:
Den Kopf benutzen, nicht verlieren!
Und sechstens: Auf den Lehrer hören,
ihn siebtens nicht beim Lehren stören,
Du solltest gute Noten schreiben,
und neuntens: Immer oben bleiben!
Und auf Verderben und Gedeih,
entfalte Dich im Leben frei!“

So widersprüchlich das auch scheint,
was dieser Vater alles meint –
der Sohn hat’s irgendwann kapiert
und später BWL studiert.


Liebe auf den ersten Blick

(Gedichte)

Er glaubte fest im frühen Maie:
Das Schicksal führte ihn zu ihr.
Er saß im Hörsaal, fünfte Reihe,
und sie davor, in Reihe vier.

Ihr braunes Haar fiel leicht und locker,
sie anzuseh’n schien fast vermessen.
Es hätte ihn gewiss vom Hocker
gehauen, hätt er drauf gesessen.

Er musste oft nach vorne linsen:
Ihr Blick war klug und konzentriert,
sie hatte dieses Grübchen-Grinsen;
sein Inneres war gleich berührt.

Zwar fühlte sich das richtig an,
doch wollte er noch überlegen,
statt bloß zu träumen, und begann,
die nahe Zukunft abzuwägen:

Mal angenommen, diese Frau
(das wusste er ja nicht genau)
war nicht so jung, wie sie erschien;
am Ende hieße das für ihn,
sie würd ihm in den Ohren liegen
mit Eigenheim und Kinderkriegen.
Vielleicht war’s nicht mehr weit zur Dreißig?
Zwar wirkte sie grad nett und fleißig,
doch wissen Kenner der Natur:
rein biologisch tickt die Uhr.
Auch könnt es sein, dass diese Dame
(ach ja, wie lautete ihr Name?)
noch eine hübsche Schwester hätte,
die wunderbare Menuette
in ihrem Haus zu spielen pflegte
und ihn samt Herz und Geist bewegte –
wodurch er bei der alten Liebe
im Folgenden nur ungern bliebe,
zumal die Schwester jünger wäre.
So stürzte er in die Affäre
mit seiner Schwägerin in spe
und sagte irgendwann Adé
zu jener, die jetzt grad was las
und hier im Hörsaal vor ihm saß.
Womöglich lag er auch nicht richtig
und Kinder war’n ihr nicht so wichtig
in ihren nächsten Lebensplänen,
doch sollte er vielleicht erwähnen:
Auf Dauer wär er sicher nicht
der Typ für einen Kind-Verzicht,
denn – wie bei vielen andern Paaren –
würd er mit fünfunddreißig Jahren
(und ungern später) Vater werden,
um seine Gene hier auf Erden
für Enkel noch zu hinterlassen –
das würd ihm eigentlich gut passen.
Falls diese Frau in Reihe vier
die Zukunftspläne aber schier
unmöglich machte und darauf
bestünde, ihren Lebenslauf
auf Madagaskar fortzusetzen,
dann wär’s wohl schwierig einzuschätzen,
ob sich der Trip zur Insel lohnte
und ob er lieber bei ihr wohnte
als Vater hier im Land zu werden.
Die Reise könnt noch mehr gefährden:
Womöglich stürbe er dann da
an einer Art von Cholera,
bei Palmen, Strand und Himmelblau –
und Schuld daran wär diese Frau.
Dann würde er auch nie erfahren,
was mancher Kumpel in den Jahren
der Reise so getrieben hätt,
denn Telefon und Internet
gäb’s sicher kaum im Tropenland –
das wär ihm sonst gewiss bekannt.
Doch wenn die Frau, die er beäugte
(und die sich grad nach vorne beugte,
um dem Dozenten zuzuhören)
womöglich nur in Kammerchören
ein bisschen Brahms und Schubert säng,
dann wär das alles nicht so eng.
Es gäbe dennoch eine Hürde:
Wie lang es ihm gelingen würde,
Gesang zu Hause zu ertragen,
das konnte er nicht sicher sagen.
Und nähme er zudem noch an,
sie würde plötzlich irgendwann …

So spekulierte er im Stillen,
um zum Ergebnis zu gelangen:
Es sprach wohl gegen seinen Willen,
mit dieser Frau was anzufangen.

Als er den Hörsaal dann verließ,
befreit vom Schwärmerei-Gefühl,
und auf die hübsche Dame stieß,
bemerkte er nur knapp und kühl:

„Wir müssen’s gar nicht erst probieren.
Gemeinsam fänden wir kein Glück.“
Doch wollte sie wohl nichts kapieren.
So ließ er sie verwirrt zurück.


Die Windsegler

(Lied)

Wir haben schon immer die Hebel der Macht
mit Worten verteidigt, mit Waffen bewacht.
Wir haben den Text für Gesetze gesetzt
und haben berufliche Netze vernetzt.
Wir werden auf Einfluss und Macht nicht verzichten
und werden uns stets nach dem Wetterhahn richten –
denn wer in den Sturm eines Zeitlaufs gerät,
muss frühzeitig wissen, woher der Wind weht.

Drum würden wir gern auf den Winden segeln,
ganz gleich, wohin sie uns trügen.
Dann würden die Winde die Richtung regeln,
befreit von menschlichen Lügen.
Wir ließen uns fallen und ließen uns tragen,
ohne zur Seite zu schauen.
Wir müssten auch nicht nach der Zukunft fragen,
könnten wir allein den Winden vertrauen.

Das Springen ersetzt uns den sicheren Stand,
so haben wir eines schon lange erkannt:
Bevor du die Fahne in deinem Takt schwenkst,
muss klar sein, in welchen Wind du sie hängst.
Wir können nichts wissen, wir können bloß meinen,
was vormittags stimmt, lässt sich abends verneinen.
Doch wenn sich der Wind mit einem Mal dreht,
wechseln wir immer ein wenig zu spät.

Wir würden so gern auf den Winden segeln,
ganz gleich, wohin sie uns trügen.
Dann würden die Winde die Richtung regeln,
befreit von menschlichen Lügen.
Wir ließen uns fallen und ließen uns tragen,
ohne zur Seite zu schauen.
Wir müssten auch nicht nach der Zukunft fragen,
könnten wir allein den Winden vertrauen.

Wer mächtig ist, wird von der Seite bedrängt,
sobald eine Fahne im falschen Wind hängt.
Wir schauen genau, wie die Wolken grad zieh’n,
denn unsere Macht ist vom Wind nur gelieh’n.
Doch könnten wir uns in das Wolkenmeer legen
und würden uns nur noch mit diesem bewegen,
dann änderten wir uns mit jedem Detail:
Der Geist wäre leicht, das Gewissen wär frei!

Drum würden wir gern auf den Winden segeln,
ganz gleich, wohin sie uns trügen.
Dann würden die Winde die Richtung regeln,
befreit von menschlichen Lügen.
Wir ließen uns fallen und ließen uns tragen,
abwartend, voller Geduld –
und sollten wir dann in der Höhe versagen,
wäre der Absturz nie unsere Schuld.


Relativ

(Gedicht)

Wenn Tauben vor Betonbau stehen,
erscheinen sie erfreulich bunt;
und mancher meint ein Licht zu sehen,
entdeckt er Grau auf schwarzem Grund.


2.3. Auswege suchen

Der Anschlag (auf den fiktiven Banker Walther Oppermann)

(Lied)

Ich habe nichts gegen den Tyrannenmord,
die alten Griechen hielten viel von ihm.
Nicht jeden Deppen schafft man diplomatisch fort –
deshalb finde ich das manchmal legitim.
Doch mein ich mit Tyrannen nicht die Spitzen,
die man bei uns Volksvertreter nennt,
sondern jene, die woanders sitzen,
außerhalb von unserm Parlament.
In Deutschland wird der Zorn bisweilen nicht genug gepflegt
und viel zu selten wird ein Lobbyist mal umgelegt.
„Um das zu ändern“, dacht ich mir, „fang ich damit an!“
und plante einen Anschlag auf den Banker Oppermann.

Die Zielperson – alles schien zu passen –
musste bald zu einem wichtigen Termin
und hatte sich ein Zimmer buchen lassen
im schicken „Adlon“ in Berlin.
Er würde eine Woche dort verbringen,
ich hatte also Zeit zu spionier’n,
um schließlich, für ein besseres Gelingen,
die Bombe bei dem Banker zu plazier’n.
Ich brauchte eine Strategie für eine Sprengstoff-Falle
und setzte mich zu diesem Zweck in die „Adlon“-Eingangshalle.
Ich bestellte einen Kaffee, um 13 Uhr begann
die Planung für den Anschlag auf Walther Oppermann.

Nach kurzer Zeit schon gesellte sich
eine hübsche junge Frau zu mir.
Sie setzte sich auf einen Stuhl und fragte mich:
„Sind Sie ebenfalls zum Warten hier?“
Ich log: „Ich wart auf einen Freund,
äh, der hilft im Adlon ab und zu dem Koch.
Aber heute braucht er, wie es scheint,
leider bis zur Mittagspause noch.“
Sie nickte und bemerkte: „Sie warten nicht allein.
Mein Vater trifft hier erst in einer guten Stunde ein.“
Ich fragte, wie sie heiße. Sie lächelte mich an
und sagte: „Ich heiß Karin – Karin Oppermann.“

„Wie red’ ich bloß mit ihr? Das ist echt zu dumm“,
hab ich mir im Stillen nur gedacht.
„Tja, ich bringe diese Woche Deinen Vater um“,
war hier vermutlich wenig angebracht.
Sie wirkte aber völlig unbefangen
und fragte, was ich sonst im Leben treib.
So sprach ich von allerlei Belangen
und, dass ich ab und zu Gedichte schreib.
Im Gegenzug erzählte sie vom Studium in der Schweiz
und ihr Kellnerjob am Zürichsee hätte auch so seinen Reiz.
Wir redeten und lachten viel und die Zeit verrann
beim Kaffee mit der Tochter von Walther Oppermann.

Nach vier Getränken war ihr Vater da,
im Mantel kam er durch die Eingangstür,
und als er in der Halle seine Tochter sah,
lief er freudestrahlend gleich zu ihr.
Er drückte ihr zwei Küsse auf die Wange
und sagte, es sei toll, sie hier zu seh’n!
Er habe morgen frei, sie könnten lange
im Zoo von Berlin spazieren geh’n.
Dann stellte sie ihm mich vor und er schien hocherfreut:
„Ich hoffe, junger Mann, Sie habens Warten nicht bereut!“
Er zahlte unsern Kaffee und als ich mich besann,
war klar: Heut plan ich nichts mehr gegen Walther Oppermann.

Und die Moral von der Geschicht
löst nicht das Grundproblem:
An Oppermännern liegt es nicht,
vielmehr wohl am System.
Dennoch wär in unserm Staat
ein Knall nicht sinnentleert —
es steckt in jedem Attentat
auch ein symbolischer Wert!
Aus diesem Grunde will ich schau’n, wie es weitergeht
und wer auf meiner Abschussliste denn als nächstes steht:
Aha, ein Pharmalobbyist – der wäre morgen dran.
Doch weiß ich, dass man Bomben auch per Post verschicken kann,
dann scheitert’s nämlich nicht wie bei Walther Oppermann!


Im Chat

(Gedicht)

hey du – zweimal kleines Dach –
bist du grad noch on und wach –
Punkt, Punkt, Punkt und Fragezeichen –
kann dich nicht im chat erreichen –
Komma – reagier mal drauf –
Doppelpunkt und Klammer auf –
sitze hier und bin echt voll
rofl, keine peilung, lol –
draußen wird’s schon wieder hell –
Komma – HDGDL –
Punkt, Punkt, Punkt – ich geb jetzt ruh –
Semikolon, Klammer zu.

Alternative Schreibweise:
hey du ^^ bist du grad noch on und wach … ?
kann dich nicht im chat erreichen, reagier mal drauf 🙂
sitze hier und bin echt voll
rofl
keine peilung
lol
draußen wird’s schon wieder hell, HDGDL

ich geb jetzt ruh 😉


Party

(Gedicht)

Wir feiern viel, wir feiern gerne
und laden alle Freunde ein –
von nebenan und aus der Ferne,
die Wohnung war noch nie zu klein,

um kräftig auf den Putz zu hauen,
der rieselnd von der Decke fällt,
doch woll’n wir nicht nach oben schauen,
denn uns gehört heut Nacht die Welt!

Die Welt ist nämlich bis zum Morgen
auf diese Wohnung hier beschränkt,
wir werden jeden Gast versorgen
und sind vortrefflich abgelenkt

von allem, das zu lähmen scheint
und uns’re gute Laune trübt;
bei dieser Feier wird vereint
Kontrast zum Alltag eingeübt

mit Gästen, die die Wohnung fluten –
für alle gibt’s genügend Bier;
es klingelt alle paar Minuten
erneut an unsrer Eingangstür.

Die Mukke läuft auf voller Dröhnung,
der Bass wird kräftig aufgedreht,
doch Lärm ist Sache der Gewöhnung,
was unser Nachbar auch versteht,

der schließlich an der Türe hämmert
und ruft, wir hätten wohl nen Schaden,
worauf uns wenig später dämmert:
Wir haben ihn nicht eingeladen!

Das wird jetzt zügig nachgeholt,
damit er nicht beleidigt ist;
er wird begrüßt und laut bejohlt
und bald ist sicher: Er vergisst

die Party, die wir ihm bereiten,
bestimmt nicht! Sie erinnert ihn
an eigene Studentenzeiten –
so fällt es leicht, ihn mitzuzieh’n

aufs Tanzparkett aus Teppichboden,
wo unbemerkt ein Bierfleck schimmelt
und wo sich in den schrägsten Moden
die Hälfte unsrer Gäste tümmelt.

Der Teil, der im Moment nicht tanzt,
hat sich seit zwei, drei Stunden schon
in unsrer Küche gut verschanzt
und pflegt die Kommunikation –

beflissen, ins Gespräch versunken,
und mancher merkt beim kurzen Flirt:
Er wird gerade schöngetrunken –
woran sich aber keiner stört.

Den Küchen-Gästen ist bewusst:
Sie werden hier nicht ewig stehen,
denn später packt auch sie die Lust,
zum Tanzen aus dem Raum zu gehen.

Dann werden sie die Beine schwingen,
sich ganz in der Musik verlieren
und lieber schiefe Lieder singen
als irgendwas zu diskutieren.

So sind letztendlich alle Gäste
mit Körpereinsatz voll dabei
und uns wird klar: Das Allerbeste
an Partys ist: Wir fühl’n uns frei!

Drum feiern wir besonders laut
und kommen erst zur Ruhe, wenn
der Morgen vor den Fenstern graut.
Bis dahin tanzt noch lange, denn:

Wer tanzt, darf auf der Stelle treiben
und kann, obwohl die Richtung fehlt,
ganz einfach in Bewegung bleiben,
weil Ziel und Zeit beim Tanz nicht zählt.


Lass mir meine Melancholie

(Lied)

Die Sonne beginnt sich herniederzusenken,
es liegt mir so fern, schon an morgen zu denken,
zumindest in diesem Moment.
Du sagst, ich solle lächeln, doch ich denke ans Weinen,
das will mir gerade plausibler erscheinen
beim fehlenden Happy End.
Ich fühl mich inzwischen zu müde zum Gähnen,
bewund’re im Stillen die Ästhetik von Tränen.
Das wird nicht für immer so sein,
aber sieh bitte ein:

Lass mir heut Nacht meine Melancholie,
in Moll muss man Schlaflieder singen.
Nimm das so hin und verdräng dabei nie:
Du kannst keinen Frohsinn erzwingen.
Lass mir heut Nacht meine Melancholie
im reißenden Strom der Zeiten.
Wie weit es mich führt und wohin ich auch zieh –
sie darf mich ein Stückweit begleiten.

Nach feurigen Reden und freudigen Tänzen
seh ich nun Scherben im Abendrot glänzen
und bin davon fasziniert.
Alles, was endet, hat einmal begonnen,
vielleicht ist schon bald ein Anfang gewonnen,
während man Altes verliert.
Bevor wir uns aber ans Fortschreiten trauen,
will ich noch mal auf die Gegenwart schauen.
Sie scheint uns womöglich verkehrt,
doch sie hat ihren Wert.

Lass mir heut Nacht meine Melancholie,
in Moll muss man Schlaflieder singen.
Nimm das so hin und verdräng dabei nie:
Du kannst keinen Frohsinn erzwingen.
Lass mir heut Nacht meine Melancholie,
ich möchte nicht einfach vergessen.
Es gibt eben Zeiten, da brauche ich sie,
um Künftiges besser zu messen.

Wir spüren das Scheitern und stehen am Ende,
Du fragst, ob sich alles zum Guten hin wende,
und klingst dabei kaum überzeugt.
Du meinst, dass Du lieber an morgen jetzt denkst
und wirfst mir dann vor, ich hätte mich längst
der Resignation gebeugt.
Mir kam nicht, wie Du glaubst, der Kampfgeist abhanden,
auch ich hab, wie Du, nicht alles verstanden.
Aber, um Neues zu tun, sollte Altes erst ruh’n.

Deshalb: Lass mir heut Nacht meine Melancholie,
in Moll muss man Schlaflieder singen.
Nimm das so hin und verdräng dabei nie:
Du kannst keinen Frohsinn erzwingen.
Lass mir heut Nacht meine Melancholie,
im Morgengrauen wird sie schon weichen.
Frage nie ob, sondern frage stets wie
nur so lässt sich etwas erreichen.