1. Feindlerthek
  2. Ungereimtes
  3. Gleichberechtigung

Gleichberechtigung

Gleichberechtigung
(2017)

einleitendes Gedicht

Mit dir schweigen

Es ist so schön mit Dir zu schweigen
und Dir auf diese Art zu zeigen,
dass Stille manchmal Bände spricht
und eine völlig neue Sicht
auf das eröffnet, was verbindet,
wenn Ruhe kommt und Spannung schwindet,
weil niemand meint, man müsste jeden
Moment benutzen, um zu reden.
Es ist so schön mit Dir zu schweigen.
Und glaub mir: Hättest Du aus Eigen-
int’resse manchmal nicht gesprochen,
wär Dein Genick jetzt nicht gebrochen.

Conférence

Das Gedicht habe ich übrigens meinem Mitbewohner gewidmet. Also, meinem ehemaligen Mitbewohner. Die meisten Leute haben trotzdem eine Frau vor Augen, wenn sie das Gedicht zum ersten Mal hören. Weil Frauen erwiesenermaßen mehr reden als Männer. Angeblich bis zu 5 000 Wörter mehr am Tag. Oder 10 000. Oder sogar 18 000. Da waren sich die Forscher lange nicht einig. Bis mal einer auf die Idee kam, die großen Zahlen-Schwankungen könnten – eventuell – mit unsauberen Methoden bei der Datenerhebung zusammenhängen. Tja. War dann auch so. Erfreulicherweise fanden sich dann ein paar Sozialwissenschaftler, die in der Methodenvorlesung im ersten Semester besser aufgepasst hatten. Und – oh Wunder – die neue Studie kam zu dem Ergebnis, dass Männer und Frauen im Durchschnitt ähnlich viel sprechen. Um die 16 000 Wörter am Tag. Sie tun das nur in unterschiedlichen Situationen. Das Klischee von den quasselnden Weibern hält sich trotzdem. Und das, wo es es noch ganz andere Erkenntnisse gibt: Zum Beispiel, dass Politikerinnen in Parlamentsdebatten weitaus häufiger unterbrochen werden als ihre männlichen Kollegen. Oder dass Diskussionen mit mehr Frauen konstruktiver verlaufen. Auch wenn es viele Ehemänner gibt, die das vehement bestreiten würden.
Ich vermute ja, das sind die gleichen Ehemänner, die meinen, so langsam müsse mal Schluss sein mit dem Feminismus. Ganz ehrlich: Nö. Wir brauchen noch viel mehr Feminismus. Und das meine ich völlig eigennützig. Denn solange es keine Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen gibt, wird es auch weiterhin mehr männliche Schulabbrecher, Gewalttäter und Selbstmörder geben. Oder haben Sie schon mal von einer Amokläuferin gehört? Eben. Das ist doch nicht fair. Ich warte auch auf den Tag, an dem in den USA endlich eine Frau zur Präsidentin gewählt wird. Dann gäbe es die historische Chance, dass auch mal eine Frau an großen Angriffskriegen Schuld ist. Nicht immer nur die Männer, die die Verantwortung dafür tragen. Das ist nämlich ein Preis, den wir Männer für unsere gesellschaftlichen Privilegien zahlen: Verantwortung. Vor allem fürs Kaputtmachen. Fürs Aufbauen sind dann wieder die Frauen zuständig. Wir zahlen aber noch einen ganz anderen Preis: nämlich mehrere Jahre Lebenszeit. Denn Männer sterben nach wie vor früher als Frauen. Und dafür gibt es keine genetischen Gründe. Das weiß man deshalb, weil Mönche im Schnitt fast genauso alt werden wie Nonnen. Aber ist jetzt die Schlussfolgerung daraus, dass wir alle Menschen ins Kloster schicken? Oder sollten wir nicht lieber dafür sorgen, dass wir für Männer und Frauen auch außerhalb der Klostermauern die gleichen sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen schaffen? Klar bin ich Feminist. Aber doch nicht aus ehrenhaften Motiven. Ich will einfach Verantwortung abgeben und länger leben.
Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Aber ich bin optimistisch. Denn bei der Durchsetzung von Gleichberechtigung setze ich auf die Waffen einer ganz besonderen Frau.

abschließendes Gedicht

Die Rache

Sobald der letzte Sonnenstrahl
versinkt in Horizontes Schenkeln
und Sterne unbekannter Zahl
das Firmament mit Licht besprenkeln,

schlägt wenig später schon die Stunde
des Racheengels in der Nacht.
Aus Kinderzimmern dringt die Kunde:
Prinzessin Lillifee erwacht!

Bei Tage muss sie immer lieb sein,
das hat sie lang genug geschluckt.
Doch will sie lieb nicht aus Prinzip sein.
Ihr Lächeln ist nur aufgedruckt.

Und sind die Kinder in den Betten
und schlafen endlich tief und fest,
sprengt Lillifee die rosa Ketten,
sie streift das Krönchen ab, verlässt

die künstlich hübsche Spielzeugecke
und stürzt sich in die tiefe Nacht,
um jedes kleine Ding zur Strecke
zu bringen, das auf lieblich macht.

Für sie sind Barbies Schlachthaus-Vieh
(nicht bloß in ihrer Phantasie)
und ohne Gnade reitet sie
auf ihrem Einhorn Rosalie

in Kindergärten durch die Räume,
in denen offen und in Kisten
die rosa-zarten Mädchen-Träume
voll Unschuld sonst ihr Dasein fristen.

So bricht im großen Barbie-Haus
das Dach erst ein, dann Panik aus.
Statt pinker Welt in Saus und Braus
heißt’s voller Graus nun „Aus die Maus“!

Der viel zu nette Ken versteckt
sich unter Barbies Kleidungsstücken.
Das bringt ihm gar nichts. Er verreckt
mit einem Zauberstab im Rücken.

Prinzessin Lillifee verschont
kein Spielzeug, das um Hilfe schreit.
Als stiller Zeuge sieht der Mond:
Sie ist ihr braves Leben leid!

Und ihrem weißen Einhorn, das
bei Tageslicht so freundlich tut,
kommt dieser Feldzug auch zupass:
An seinem Horn klebt rosa Blut.

Zu viel Idyll war Overkill.
Das Einhorn dürstete seit Wochen
nach Mord und deshalb hat es still
nun „Hello Kitty“ abgestochen.

So treibt man allen grenzdebilen
Figuren, Püppchen, Grinsebacken
die Lust am Heile-Welten-Spielen
gehörig aus, und beim Zerhacken

der süßen blonden Tinkerbell
entfährt’s Prinzessin Lillifee:
„Jetzt schrei mal bitte nicht so grell.
Denn glaub mir: Wenn ich Dich nur seh,
tut’s mir noch sehr viel schlimmer weh!“

Als irgendwann der Morgen graut,
der Mond erleichtert sich verzieht,
und Lillifee aufs Schlachtfeld schaut,
von dem das letztes Püppchen flieht,

empfindet sie schon fast Vergnügen.
Sie hat der Welt gezeigt: Ihr müsst
euch eurem Naturell nicht fügen,
selbst dann nicht, wenn es rosa ist!

Doch Lillifee bleibt weiterhin
von außen lieblich, zart und blond
und reitet auf dem Einhorn in
den rosafarb’nen Horizont.